Die Magie, die ich benutze, ist nicht wie die, welche Menschen zum Einsatz bringen, erklärte er. Sie erfordert manchmal wenige bis gar keine Maßnahmen, um zu funktionieren.
Sie versuchte sich klar zu machen, was das bedeutete. Willst du damit sagen, ein Teil deiner Magie hätte eigenmächtig beschlossen, einige meiner Kratzer und Beulen direkt vor Terrans Nase zu heilen, ohne dass du irgendwas dazu getan hättest? Und dass es wieder und wieder geschehen mag, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen könnten?
Einige ihrer Emotionen mussten bis zu Tris durchgedrungen sein, denn als er ihr antwortete, war er spürbar darum bemüht, sie zu beschwichtigen. Ich hätte dich davor warnen müssen, aber ich hatte nicht erwartet, dass es schon so bald geschieht. Ich kann die Heilung natürlich kontrollieren, aber ich war mir nicht darüber im Klaren, dass ich es überhaupt tun muss.
Du wusstest, dass das passieren würde? Was soll das heißen? Und was kommt da noch auf mich zu? Rialla wusste kaum zu sagen, wie sie sich angesichts dieser Entwicklung fühlte; es war eine Mischung aus Verärgerung und Bestürzung.
Wieder erreichte sie ein Gefühl von Schuld seitens Tris. Ich hätte es dir vorher sagen müssen. Es tut mir leid. Ich schätze, es ist gerade ein schlechter Zeitpunkt, die Sache näher zu erörtern, aber wenn wir dies hier hinter uns haben, werde ich dir alles ganz genau erklären.
Rialla schlug die Augen auf, sah, dass Terran in ihre Richtung starrte. Sie vergrub ihr Gesicht wieder in ihren Armen und sagte: Das muss mir einstweilen wohl als Erklärung reichen.
Ohne noch einmal zu Terran zu schauen, begann sie ihr lädiertes Bein zu bearbeiten. Tris’ Magie hatte sich zwar des verkrampften Muskels angenommen, aber sie musste sich unter Terrans ständiger Beobachtung normal verhalten. Ob er wohl ahnte, dass sie mit jemandem Kontakt aufgenommen hatte?
Endlich kehrte Winterseine von seiner Suche zurück; er wirkte nicht sonderlich amüsiert. Und als er sah, dass die Pferde von selbst wiedergekommen waren, trug das nicht eben zur Hebung seiner Stimmung bei.
»Diese blöden Biester«, schimpfte er, als er sich mit einiger Eleganz von seinem Pferd schwang. »Jetzt können wir die Nacht genauso gut hier verbringen. Es zieht ein Sturm auf, und wir würden es vor Einbruch der Dunkelheit ohnehin nicht zur Burg schaffen.«
Rialla war nicht bewusst gewesen, wie nah sie Winterseines Feste bereits waren.
Während Terran sich um das Lagerfeuer kümmerte und einen weiteren Wanderereintopf aus Dörrfleisch zubereitete, lud sein Vater die Pferde ab und pflockte sie in der Nähe an.
Da sich niemand mehr um sie scherte, beschloss Rialla, die Zeit zu nutzen und ein Bad im Bach zu nehmen. Sie entledigte sich ihrer Schuhe, bevor sie, ansonsten voll bekleidet, ins kühle Nass watete.
Zitternd vor Kälte setzte sie sich ins knietiefe Wasser und schrubbte sich die Dreck- und Schweißschicht ab, die sich in den Tagen ihrer wahnsinnigen Verfolgungsjagd durch die Wälder auf ihrer Haut gebildet hatte. Als sie sich wieder sauber fühlte, war ihr ganzer Körper taub vor Kälte, aber das war es wert gewesen. Es war noch immer warm genug, dass ihre Kleidung an der Luft trocknen konnte und sie nicht in feuchten Sachen schlafen musste. Andererseits würde es, wenn sie die schwarzen Wolken am Himmel so betrachtete, heute Nacht wohl regnen.
Sie trat ans Ufer des Bachs und wrang das Wasser aus dem Saum ihrer Tunika. Sie nahm an, dass der Stoff nach dem Trocknen fleckig bleiben würde, aber wenigstens roch er nicht mehr so streng.
»Rialla.«
Zögernd drehte sie sich zu Terran um, der neben dem kleinen Lagerfeuer mit den Kochutensilien hantierte. Winterseine war noch immer mit den Pferden beschäftigt.
»Links von dir stehen ein paar wilde Zwiebeln. Könntest du sie mir pflücken? Und wenn du noch was findest, mit dem wir den Geschmack des Eintopfs verbessern könnten, nur zu.«
Erleichtert ging Rialla auf die Knie und tat, wie ihr geheißen. Einmal auf die Zwiebeln aufmerksam gemacht, waren sie leicht zu finden. Sie mochte sie zwar nicht in ihrem Essen, aber sie erntete trotzdem zwei Hand voll. Danach schaute sie sich um und entdeckte im Schatten eines kleinen Strauchs eine ihr bekannte Pflanze.
Sie ging hinüber und untersuchte die Stelle. Das Kraut sah aus wie das, welches Tris »Weiße Mönchskutte« genannt hatte. Die Weiße Mönchskutte war, wie der Heiler ihr verraten hatte, auch ein äußerst wirksames Schlafmittel. Sie haderte mit sich, doch die Aussicht darauf, schon morgen wieder bei Winterseines Burg einzutreffen, verlieh ihr Mut.
Da Rialla nicht wusste, wie viel Mönchskutte es brauchte, um einen Menschen in Tiefschlaf zu versetzen, sammelte sie kurzerhand alle Blätter ein, die sie finden konnte. Neben den Zwiebelknollen würde das Kraut vielleicht Verdacht erregen, doch sie fand auch etwas Löwenzahn in der Nähe, dessen lanzenförmige Blätter denen der Mönchskutte ein wenig ähnlich sahen.
Sie ging wieder zum Bach und wusch Zwiebeln und Blätter, bevor sie ihre Ausbeute in den Eisenkessel über dem Lagerfeuer warf. Terran dankte ihr mit einem Nicken und rührte weiter in dem Eintopf herum.
Rialla zog sich so weit zurück, wie sie sich traute, und setzte sich auf einen Baumstumpf. Dort fuhr sie sich mit den Fingern durch das feuchte Haar, bis sie es sich aus dem Gesicht flechten konnte. Leider hatte sie nichts, um die Zöpfe abzubinden, aber für eine Weile würde ihre Frisur vielleicht trotzdem halten.
Durch die klammen Kleider auf ihrer Haut fühlte sich die Luft kälter an, als sie tatsächlich war. Zudem frischte der Wind aufgrund des heraufziehenden Sturms spürbar auf. Und doch war es nicht die Kälte, sondern die Sorge, die sie zittern und die Arme um sich schlingen ließ. Sie konnte nur hoffen, dass die Mönchskutte während des Kochvorgangs nicht anfing, verdächtig zu riechen oder sich ungewöhnlich zu verfärben.
Je näher der Abend rückte, umso mehr zog sich der Himmel im Zeichen des nahenden Sommersturms zu. Als Terran sie zum Essen rief, war es schon fast dunkel, und der Wind blies nun stärker.
Nach dem Abendessen schnappte sich Rialla die Schalen und den Topf und brachte sie zum Spülen an den Bach. Sie ließ sich mit dem Säubern ausgiebig Zeit; vielleicht würden die beiden Männer ja einschlafen, bevor Winterseine sie wieder fesselte.
Als sie ans Lagerfeuer zurückkehrte, löste sich der Funken Hoffnung, den sie gehabt hatte, in Nichts auf. Klar umrissen vor dem Schein der Flammen saß Winterseine gemütlich auf einem großen Felsen und warf spielerisch sein Messer in die Luft. In der Ferne wurde Donnergrollen laut.
Langsam ging Rialla zu dem Gepäck hinüber, das Winterseine am Boden aufgestapelt hatte, und verstaute das Geschirr. Mit möglichst ausdruckslosem Gesicht trottete sie alsdann zur Feuerstelle zurück.
»Sklavenmädchen«, gurrte Winterseine mit sanfter Stimme.
Fragend sah sie ihn an, misstraute zutiefst der Zufriedenheit in seiner Stimme.
»Magier gebrauchen eine Menge Kräuter für ihre Sprüche, wusstest du das?« Er lächelte sie an.
Riallas Herz sank, aber sie zeigte keine Regung und schüttelte den Kopf.
»Die Weiße Mönchskutte besitzt einen unverwechselbaren Geschmack, fast ein wenig minzig. Die Zwiebeln hatten das Aroma zunächst überdeckt, sodass ich das Kraut fast nicht herausgeschmeckt hätte. So wie Terran dort drüben.« Winterseine nickte in Richtung des Feuers.
Rialla wandte sich um und sah, dass Terran eingerollt am Boden lag – tief und fest schlafend.
»Andererseits ist er aber auch kein Magier. Ich muss dir danken, Sklavenmädchen.« Winterseines Stimme ließ Rialla wieder herumfahren. »Schon geraume Zeit versuche ich, Terran in genau solch eine Lage zu bringen. Mein armer Tamas ist ganz eingenommen von diesem Altis-Kult, den mein Sohn ins Leben gerufen hat. Insofern wäre es sinnlos gewesen, ihn zu bitten, Terran zu vergiften, so wie er es schon bei meinem Neffen Karsten versucht hat.«