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»Ach, meine Liebe«, begann Winterseine. Er hob einen Ast vom Boden auf und schubste mit diesem das Messer wieder aus dem Feuer. »Die Eliminierung von Familienmitgliedern ist eine alte darranische Tradition. Spionage dagegen ist Verrat, und über den sieht man viel weniger gnädig hinweg. Allerdings kommt mir mit deinem Tod der Beweis für Laeths Spionagetätigkeit abhanden – und dein Tod ist für mich unabdingbar.«

Während er sprach, vollführte er mit der freien Hand eine Geste, und der Drang, das Messer an sich zu nehmen, kehrte zurück. Doch mit Tris’ Stärke konnte Rialla widerstehen, und Winterseine presste ungehalten die Lippen aufeinander. »Wann bist du zur Magierin geworden, Sklavin?«

Die Macht, mit der Tris sie erfüllte, um sich Winterseines Zauber zu erwehren, war so wirkungsvoll wie eine Droge – und genauso gefährlich. Und ungeachtet aller Warnungen, die sie sich selbst zukommen ließ, wanderte ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie sagte: »Wie bereits erwähnt – doch vielleicht habt Ihr’s nicht ganz verstanden –, bin ich keine Sklavin. Bin es schon eine sehr lange Zeit nicht mehr.«

Sie berührte ihre Wange. Mit ihren magieverstärkten Sinnen konnte sie die Narbe erspüren – trotz Tris’ Blendwerkzauber. Und ohne nachzudenken hob sie den Zauber auf, der sie als Winterseines Eigentum kennzeichnete.

Blitze erhellten den nächtlichen Wald, gefolgt von dem unvermeidlichen Donnergrollen.

In der gleichen Sekunde, da Rialla ihn um Hilfe bat, um Winterseines Zauber zu widerstehen, glitt Tris vom Pferd. Er nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab und entließ es in die Freiheit, so es ihn denn zu verlassen wünschte.

Ihm war klar, dass er Rialla nicht rechtzeitig finden würde, um ihr direkt beizustehen; das Band zwischen ihnen würde diese Aufgabe erledigen müssen. Allerdings war er nicht sicher, wie effektiv er ihr auf die Entfernung von Nutzen sein konnte, doch es lag Grüne Magie in dem Sturm, der in der Nacht aufgezogen war. Skrupellos lenkte er das Unwetter zu sich und scherte sich nicht um den Regen, der damit einherging.

Alle seine Gedanken hatten sich nur darum gedreht, Rialla aus Winterseines Kontrolle zu befreien; er hatte die Möglichkeit, dass sie die Magie, die er ihr gegeben hatte, benutzen könnte, zunächst gar nicht in Betracht gezogen. Als sie jedoch begann, seinen Illusionszauber aufzuheben, sprang Tris ihr diskret zur Seite, um die Manipulation zu begleiten.

Auf diese Weise, so ließ er sie wissen, kostet es uns nicht so viel Magie.

Rialla nahm seine Hilfe dankbar an. Das verzauberte Ziegenleder fiel in ihre Hand; die Umrisse der Tätowierung verblassten, doch Tris’ Magie unter ihrer Kontrolle hatte beschlossen, noch mehr zu tun. Die Haut unter ihren Fingerspitzen fühlte sich glatt und makellos an. Alle Narben waren verschwunden. Ihr Lächeln wurde breiter, als sie Winterseine nun direkt in die Augen sah.

»Ich bin weder Sklavin noch Magierin.« Sie trat einen Schritt näher und packte fest seine linke Hand. »Habt Ihr vergessen? Ich bin Empathin.«

Ihre Berührung war für ihn so überraschend erfolgt, dass Winterseine einen Moment lang wie erstarrt dastand. Und dann war es auch schon zu spät. Rialla zog ihn hinein in einen Mahlstrom der Emotionen.

Diesmal war es kein Saal voller Menschen, aus dem sie schöpfen konnte, nur Winterseine allein. Sie überwand ihre instinktive Abscheu vor dem Mann und suchte in seinem Unterbewusstsein nach den schwachen Spuren destruktiver Gefühle, die er sogar vor sich selbst verbarg. Sie ignorierte die schwelende Wut, die mehr als nur einen Hauch von Wahnsinn verriet – die würde ihn kaum mehr erstarken lassen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf seine Ängste, die ständig größer wurden seit dem Tag, da sein Sohn entdeckt hatte, dass der Gott der Nacht in dieser Welt noch existierte.

Sie nahm diese Furcht, unterfütterte sie mit Zweifel und zerrte sie hinauf in sein aktives Bewusstsein …

Winterseine befreite sich aus ihrem Griff. Im Lichtschein des Lagerfeuers konnte sie sehen, dass sein Hemd von Schweiß durchtränkt war.

»Miststück«, stieß er hervor. Sein linker Arm – es war der, den sie berührt hatte – hing schlaff an seinem Körper herab. Nur ein Reflex, denn sie hatte ihm körperlich nichts zuleide getan.

Er vollführte eine schnelle Bewegung mit der rechten Hand. Keine arkane Magiergeste diesmal. Sie sah das Aufblitzen einer Klinge und duckte sich im letzten Moment weg.

Nach der Zeit ihrer Versklavung hatte Rialla in Sianim wie eine Besessene trainiert, um ihr Selbstbewusstsein wieder aufzubauen. Und so ritzte das Messer, das Winterseine aus den Tiefen seines Ärmels hervorgezogen hatte, nur ihren Oberarm, bevor es im Dreck landete.

Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Fußballen und beugte leicht die Knie, als sie nach einer Gelegenheit suchte, ihn noch einmal zu berühren. Und es durfte dabei auch keine Stoffschicht zwischen ihnen sein, das würde die Wirkung nur herabsetzen, nein, sie musste den Kontakt direkt über die Haut herstellen.

Schon ließ das Grauen, das sie an Winterseines Oberfläche gezerrt hatte, wieder nach, und der Sklavenmeister ersetzte es durch Wut. Sie konnte die Rage zwar nicht spüren, aber sie zeichnete sich überdeutlich auf seinem Gesicht ab.

Vorsicht, warnte Tris sie, ohne ihre Konzentration zu stören. Er hat irgendwas vor. Spürst du die Magie, die er gerade ansammelt?

Winterseine lächelte und streckte seine rechte Hand nach ihr aus. Dann machte er eine zupackende Bewegung, und Rialla fühlte einen unbeschreiblichen Schmerz in ihrer Brust explodieren. Sie fiel auf die Knie, schnappte nach Luft, die einfach nicht kommen wollte. Langsam breitete sich Tris’ Wärme in ihrem Oberkörper aus und damit einhergehend die Fähigkeit, wieder zu atmen. Doch der alles lähmende Schmerz blieb.

Es begann zu regnen; die schweren Tropfen prasselten auf den Boden der Lichtung. Winterseine trat einen Schritt auf sie zu. Rialla streckte ihren Arm aus, berührte kurz seinen Stiefel, bevor er wieder zurückwich. Doch der Moment genügte, um den Schmerz in ihrer Brust sowie Tris’ empathisch empfangenes Leid auf Winterseine zu werfen. Selbst durch das schwere Leder hindurch wurde seine Konzentration unterbrochen, und Riallas Qual schwand dahin.

Sie kam auf die Füße, keuchte unter dem Dreifacheffekt ihres, Winterseines und Tris’ Schmerzes. Doch auch dieses Gefühl verblasste schnell. Nun, da Winterseines Magie ihn nicht mehr stören konnte, hatte Tris den kleinen Schaden, der angerichtet worden war, im Nu repariert.

»Es ist Magie in dir!«, beschuldigte Winterseine sie nun. »Ich kann sie doch fühlen!«

In den wenigen Momenten, da sie den Mann berührt und sein Innerstes entblößt hatte, hatte sie seine geheimsten Ängste entdeckt. Nun war es an der Zeit, sich dies zunutze zu machen.

Rialla schüttelte den Kopf und sah dann zu dem schlafenden Terran hinüber. Dabei sorgte sie dafür, dass dem Sklavenmeister ihr bewundernder Blick nicht entging. Mit sanfter Stimme sagte sie: »Aber nein, er ist es.«

Ein Hauch von Furcht schlich sich zurück in Winterseines Miene. »Du hast doch nur mit ihm geschlafen. Und er hat es mit vielen Frauen getrieben.« Es lag Verunsicherung in seiner Stimme.

Da fiel Rialla ein, dass Winterseine es nicht gern gesehen hatte, dass sein Sohn sich mit einer Empathin einließ. Sie lächelte träge, um ihn noch nervöser zu machen. »Aber die waren nicht wie ich.«

»Wenn du so von ihm begeistert bist, warum hast du ihn dann in Schlaf versetzt?«

Rialla stellte fest, dass er nicht mehr auf das achtete, was sie tat, und so schob sie sich zentimeterweise an ihn heran. Sie schüttelte den Kopf. »Er ist nicht wie Ihr. Euer Tod hätte ihn durchaus bekümmert.« Sie nährte seine Ängste mit Worten statt mit Empathie. »Er sieht durchaus den Vorteil, aber er ist zu ehrenhaft für eine solche Tat. Zu dumm, dass Ihr den Eintopf nicht gegessen habt. Ein Tod durch meine Hand wäre viel weniger schmerzhaft gewesen als der, den Altis für Euch vorsieht, falls meine Mission scheitert.«