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Die emotionale Pein, die sie durchlitten hatte, schloss jedes andere Gefühl aus. Sie konnte sich nicht einmal um Tris sorgen. Doch dafür würde noch genug Zeit sein, nahm sie an. Sofern Terran sie lange genug am Leben ließ.

Sie hörte Terran über dem Körper seines Vaters murmeln, doch sie bezweifelte, dass selbst die Götter Winterseines Verstand wiederherstellen konnten. Es wäre gnädiger gewesen, ihn zu töten, doch das war ihr nicht geglückt.

Winterseines Stöhnen verstummte, und Rialla hörte, wie Terran sich erhob und zu den Vorräten ging. Er kam zurück und hob sie mit einem Grunzen vom Boden auf. Jeder andere, der sie auch nur berührt hätte, wäre schreiend zu Boden gegangen. Sie hatte nicht einmal damit begonnen, die Barriere wieder zu errichten, um ihre Emotionen vor anderen abzuschirmen. Doch immer noch konnte sie Terran mental nicht erfassen.

Unwillkürlich zog sie ob der wieder stärker werdenden hämmernden Kopfschmerzen scharf die Luft ein. Terran legte sie auf eine der Decken, wickelte sie darin ein und setzte sie dann behutsam auf. Einen Arm um ihren Oberkörper gelegt, brachte er eine Tasse an ihre Lippen und flößte ihr ein paar Schlucke eines alkoholhaltigen Kräutertrunks ein.

Sie würgte und keuchte, aber das Gebräu zeigte Wirkung, und ihr Zittern ließ langsam nach.

»Besser?«, fragte Terran ruhig und drückte ihr die halbvolle Tasse in die Hand.

Rialla nickte zögernd, und er zog seinen Arm zurück, bis sie eigenständig sitzen konnte. Dann stand er auf, schürte das ersterbende Lagerfeuer, bis die Flammen hell aufloderten. Auf seinem Gesicht war nichts zu lesen.

Von irgendwo aus der Dunkelheit drang aus Winterseines Richtung ein erstickter Schrei an ihre Ohren, und sie bemerkte, wie Terran einen Moment lang innehielt, doch er sah nicht zu seinem Vater hin. Stattdessen wandte er sich um und blickte Rialla direkt an. Mit dem Feuer in seinem Rücken lag sein Gesicht im Schatten, während er selbst sie klar und deutlich sehen konnte. Sie wusste nicht, ob sich auf ihrer Miene irgendein anderes Gefühl widerspiegelte als die Abgestumpftheit, die sie schützte.

»Der Schaden, den er erlitten hat, ist von Dauer?« Wieder klang seine Stimme seltsam abgeklärt.

Rialla nickte. Dann sagte sie in ebenfalls möglichst sachlichem Ton: »Er war schon seit geraumer Zeit nicht mehr ganz … gesund. Früher oder später hätte sein Geist ohnehin dieses Stadium erreicht.«

Terran nickte. »Ich weiß.« Er betrachtete seinen Fuß, als wäre ihm daran gerade etwas ganz Besonderes aufgefallen. »Allein wegen dir bin ich noch am Leben, Rialla. Ich danke dir.«

Dankbarkeit war das Letzte, was Rialla erwartet hatte. Sie legte den Kopf schief, sah ihn misstrauisch an.

Terran seufzte. »Er hätte mich getötet. Tamas warnte mich, nachdem mein Vater sich deswegen an ihn gewandt hatte. Ich nahm Vater beiseite und erklärte ihm, was einem passiert, der es auch nur wagt, mir etwas zuleide zu tun. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ihn das aufhalten würde.

Es fing an, als ich ihn dabei erwischte, wie er sich in Altis’ Namen willfährige Sklaven beschaffte. Altis ist nicht gegen die natürliche Ordnung, aber er hat nun mal keine Verwendung für Sklaven, und er schätzt es nicht, wenn sein Name dazu missbraucht wird, sich persönlich zu bereichern. Als ich Vater das auseinandersetzte, wurde er wütend.

Ich denke, er hat beschlossen, mich aus dem Weg zu räumen, nachdem ich versucht hatte, Karsten zu retten. Ich mochte Karsten, und sein Tod war nicht erforderlich für Altis’ Zwecke. Nein, er lag einzig und allein in meines Vaters Interesse. Ich dachte, ich könnte den Seelenfresser im Zaum halten – das Sumpfbiest, mit dem Vater Karsten beseitigen wollte. Er dachte, dass eine solche Kreatur die darranische Furcht vor Magiern neu entfachen und so die Allianz mit Reth verhindern könne. Doch nachdem die Kreatur dich berührte, hätte ich sie nicht mehr vernichten können, ohne dich im gleichen Augenblick ebenfalls zu töten. Daher gab ich dir die Chance, sie selbst zur Strecke zu bringen. Vater hatte recht: Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass er an jenem Abend so weit gehen könnte, Karsten eigenhändig umzubringen.«

Schweigend lauschte Rialla seinen Worten, trank den Rest des Gebräus und erholte sich allmählich von den Strapazen, während auch ihre Kopfschmerzen nachließen. Als Terran innehielt, stellte sie ihm die Frage, die ihr schon eine Weile unter den Nägeln brannte: »Wie kommt es, dass Ihr Euch so schnell von dem Schlaftrunk erholt habt?«

Terran zuckte die Achseln. »Gift und Drogen beeinträchtigen mich nur insoweit, als Altis dies für nützlich erachtet. Ich habe nicht wirklich geschlafen, konnte mich nur nicht bewegen. Altis wollte, dass Vater kaltgestellt wird, und er hat dich dafür ausgewählt. Weil er wusste, dass ich es nicht tun würde.«

Rialla hob empört den Kopf, und ihre Verärgerung war stärker als ihre Erschöpfung. »Nein!«, rief sie entschieden. »Ich habe Winterseine aus eigenem Antrieb heraus angegriffen. Altis mag Euer Leben lenken, aber meines lenkt er nicht.«

Er lächelte, und es war ein müdes, trauriges Lächeln. »Wirklich nicht?«

Rialla schlug die Decke zurück, erhob sich und entfernte sich vom Feuer.

»Wohin gehst du?« Es lag nichts Bedrohliches in Terrans Stimme, aber Rialla blieb trotzdem stehen und drehte sich zu ihm um. »Dahin, wo ich hingehöre«, erwiderte sie.

»Nach Sianim?«, fragte er. »Du könntest doch bei mir bleiben. Altis weiß schöne Dinge sehr zu schätzen. Und ich auch. Er wird schon bald auch über diese Welt herrschen, weißt du. Und sie wird zu einem eindrucksvollen Ort werden. Er wird keine Gewalt dulden, keine Kriege, keinen Hass. Die Leute werden ihn verehren und kein Bedürfnis mehr verspüren nach Macht oder Gold. Sie werden sich an Altis’ Gesetze halten und in Frieden leben.«

Rialla hielt seinem Blick stand. »Euer Utopia kann nicht funktionieren, solange den Menschen das Recht gegeben ist, eigene Entscheidungen zu fällen. Die Leute werden immer etwas finden, mit dem sie nicht einverstanden sind.«

Terran schüttelte den Kopf. »In Altis’ Königreich erlangen die Menschen Weisheit durch Altis selbst, um immer die richtige Entscheidung zu treffen.«

»Jetzt verstehe ich, warum Altis die Sklaverei nicht ablehnt«, erwiderte Rialla leise. »Weil sie das ist, was ihm im Grunde für jeden einzelnen von uns vorschwebt. Aber ein Sklave ist immer noch ein Sklave, selbst wenn man ihn gut behandelt. Niemals wieder werde ich mich freiwillig in die Unfreiheit begeben, Terran. Eher würde ich sterben.« Es lag Friede in dieser Erkenntnis, ein Friede, den sie nie zuvor verspürt hatte.

»Dann soll es so sein.« Terran nickte und stocherte mit einem Ast im Feuer herum.

Rialla wartete. Nach einer Weile sah Terran auf und lächelte. »Geh zurück nach Sianim. Du hast Altis heute Nacht genug gedient.«

Rialla verlor keine Zeit, die Lichtung zu verlassen, auf der Terran mit seinem wahnsinnigen Vater zurückblieb. Als sie den Schein des Lagerfeuers nicht mehr sehen konnte, hielt sie an und suchte mit ihrer überstrapazierten empathischen Gabe nach einem Zeichen von Tris.

Rialla?

Sie spürte, dass er erschöpft war und Schmerzen litt, aber sie war einfach zu glücklich, dass er noch lebte, um sich darüber große Sorgen zu machen.

Ich komme, sagte sie. Bleib, wo du bist.

Nein, kam es sofort zurück. Mir geht’s gut, und ich bin schneller bei dir als du bei mir.

Rialla suchte sich ein gemütliches Plätzchen im Schutz eines riesigen Baums, wo der Regen sie nicht erreichte. Und wartete.

In weniger als einem Drittel der Zeit, die ein Mensch gebraucht hätte, fand Tris die auf dem feuchten Waldboden schlafende Rialla.

Sie versteifte sich kurz, als er sie in die Satteldecke wickelte, aber sie öffnete nicht einmal die Augen, bis ihr der Geruch von über einem Feuer zubereitetem Essen in die Nase stieg.