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Er sprach von Veränderungen und der Notwendigkeit von Reformen und arbeitete für diese Ziele mit der Hingabe eines Eiferers. Sicher, die Neuerungen, die Lord Karsten in Bezug auf Darrans Gesetzgebung vorgenommen hatte, würden viel Gutes für die Bauern und die Bürger von Darran bringen, doch seine eigenen Leibeigenen hungerten.

Alles in allem zog Rialla den jüngeren Bruder vor, der die Dinge des Lebens viel klarer sah und sich nicht irgendeinem gesellschaftlichen Diktat unterwarf.

Laeth indessen war wieder in die Rolle des verwöhnten und verschwenderischen Sohns geschlüpft und machte sich mit dem darranischen Adel in gleicher Weise gemein, wie er es mit Sianims Söldner getan hatte. Selbst als er neben der Frau seines Bruders, Marri, zu sitzen kam, verlor er nichts von seinem unbekümmerten Charme. Allein Rialla wusste, wie sie in den heimlichen nächtlichen Gesprächen mit Laeth erfahren hatte, dass sich an seinen Gefühlen für Marri nichts geändert hatte.

Im Bankettsaal hielten sich inzwischen über hundert Menschen auf. Laeth hatte Rialla erzählt, dass sich diese Zahl bis morgen Abend verdreifacht haben würde und dass am großen Ball in zwei Tagen über hundert Personen teilnehmen sollten. Am Tag nach dem großen Fest würden sie und Laeth wieder nach Sianim zurückkehren – falls alles gut lief, ohne einen Zwischenfall, aber möglicherweise auch ohne Informationen.

Als Laeth mit dem Essen fertig war und Rialla mit einer Handbewegung vom Tisch entließ, nahm sie eine Position neben einem Fenster ein, wo ihr der Durchzug ein wenig frische Luft verschaffte.

Sie war die einzige Sklavin im Saal. Es galt als vulgär und war mithin ungewöhnlich, dass man Sklaven zu solchen Anlässen mitbrachte, doch Laeth tat Einwände in dieser Richtung achselzuckend ab und meinte, er hätte die Sklavin erst kürzlich erworben und müsse sie noch eine Weile im Auge behalten. Da jeder sehen konnte, dass sie eine kostspielige Anschaffung gewesen war (die Tätowierung wies Rialla als hochausgebildete Tänzerin aus und zeigte auch, wer ihr Erzieher gewesen war), regte sich niemand deswegen auf.

Laeth war ins Gespräch mit einer kleinen Gruppe vertieft, bestehend aus Lord Karsten, dem gewieften fuchsgesichtigen Lord Jarroh, Karstens ständiger Begleiter, und Lady Marri, deren Hand den Arm ihres Gatten tätschelte und die dabei starr zu Boden blickte. Kurz fragte sich Rialla, was wohl das Thema war. Laeths Miene zeigte das sardonische Lächeln, das er immer dann aufsetzte, wenn er seine Gefühle zu verbergen trachtete, während Karsten unter seiner dunklen Haut erblasst zu sein schien.

Mit wachsender Neugier stellte Rialla fest, wie sich der Schweiß auf Karstens Stirn sammelte und dann an seinen Schläfen herabtropfte. Jetzt sagte er etwas zu den Anwesenden und verbeugte sich knapp, um sich zu entschuldigen. Bevor er sich zum Gehen wandte, berührte er kurz die Schulter seiner Frau und übergab sodann ihre besitzergreifende Hand dem Arm von Lord Jarroh.

Als er sich umwandte, um davonzugehen, brach Karsten plötzlich zusammen und fiel auf die Knie. Laeth war nur einen Moment vor Lord Jarroh, der durch Lady Marris Griff ein wenig in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war, an der Seite seines Bruders. Laeth schaffte es, eine Schulter unter Karstens Achsel zu schieben, um ihn dann zu einem dick gepolsterten Sofa zu tragen.

Ihre sprunghafte Empathiefähigkeit erwählte sich just diesen Moment, um zum Leben zu erwachen, und Rialla krümmte sich fast körperlich angesichts des Schmerzes, den Karsten erlitt. Gleichzeitig war das Sofa nah genug, um mitzubekommen, dass dem Lord dabei kein Laut über die Lippen kam. Fest ergriff er Laeths Hand und schloss die Augen.

Da Laeth am Fuß des Sofas kniete, blieb Marri nichts anderes übrig, als sich eine kleine Bank heranzuziehen und sich am Fußende darauf niederzulassen.

Mit gebieterischer Geste rief Lord Jarroh einen Diener herbei, der ein Tablett mit leeren Gläsern trug. Seine schneidende Stimme trug weit, und so vernahm Rialla, wie er sagte: »Schicke einen der Burschen hinunter ins Dorf. Und mach es dringend, denn Lord Karsten ist erkrankt.« Seine Worte hatten so viel Biss, dass der Diener auf der Stelle hinausrannte, ungeachtet der leeren Gläser, die dabei zu Boden fielen und zersprangen.

Da fiel Lord Jarrohs Blick auf Rialla, die er nun ebenfalls herbeizitierte. »Geh in die Küche und lass eines der Mädchen saubere Tücher und heißes und kaltes Wasser herbeibringen. Suche auch einen Hausdiener, der ein paar Decken besorgen soll.« Wäre da nicht der nervöse Muskel gewesen, der in seinem Gesicht auf und nieder zuckte, Rialla hätte ihn für ebenso ungerührt gehalten, wie er nach außen hin wirkte.

Geradeso schnell wie der Diener zuvor verließ sie den Saal, um Lord Jarrohs Auftrag auszuführen. Dessen Name besaß die gleiche Strahlkraft wie seine Stimme: Rialla musste nur erwähnen, wer sie geschickt hatte, und das Personal aus Haus und Küche überschlug sich förmlich in dem Wunsch, zu Diensten zu sein. Als sie wieder zum Bankettsaal zurückkehrte, bemerkte sie einen Fremden in Dienstbotenkleidung, der aus dem Speisezimmer schlüpfte.

Es hätte sie nicht weiter gekümmert, da Lord Jarroh den Bankettsaal gerade von unerwünschten Zuschauern räumen ließ, doch das Gesicht des Mannes sagte ihr nichts. Dabei war sich Rialla sicher, inzwischen sämtliche Dienstboten von Westholdt zu kennen, zumindest vom Sehen. Diesem Mann war sie hingegen nie zuvor begegnet, und doch bewegte er sich durch die Halle, als wäre er hier zu Hause.

Rialla sah sich kurz um, aber außer ihnen war niemand hier, also setzte sie dem Fremden unauffällig nach. In den breiten Korridoren im Erdgeschoss der Feste war es schwierig, sich ungesehen fortzubewegen, doch der Diener schien sie nicht zu bemerken. Fast gemütlich schlenderte er zu einer reich verzierten Tür aus Messing und Holz und verschwand dann nach draußen.

Vor der Feste schlug er ohne besondere Eile den Weg zu dem Gelände mit den Ställen ein, auf dem sich auch das burgeigene Vieh befand. Rialla zögerte, ihm zu folgen; es gab nicht viele Gründe, warum eine Sklavin sich bei den Ställen herumtreiben sollte. Man könnte sie zur Rede stellen, und sie wusste nicht, ob sie es riskieren sollte, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Immer noch unschlüssig, was sie tun sollte, sah sie, wie der Diener aus den Stallungen zurückkehrte. Er saß nun auf einem edlen Vollblut, das bereits fertig gesattelt auf ihn gewartet haben musste.

Gemächlich ritt der Fremde zum Außentor. Als er hindurchtrabte, preschte ein anderer Reiter auf einem schäumenden Gaul an ihm vorbei und in den Innenhof. Zu Riallas Überraschung kam er direkt neben ihr vor der protzigen Tür zum Stehen. Nur kurz konnte sie einen Blick auf das bärtige Gesicht des Mannes werfen, der sich jetzt aus dem Sattel schwang, ihr die Zügel zuwarf und dann die Satteltaschen von dem Pferd hob.

»Führ ihn in die Ställe und sorg dafür, dass man ihn versorgt«, befahl er ihr, und verschwand dann ohne eine Antwort abzuwarten durch die Tür im Innern der Feste.

Sie rieb dem verschwitzten Wallach über den Kopf, um ihn zu beruhigen. Er war ein kräftiges Tier und in guter Verfassung, und doch stammte er aus keiner besonderen Zucht, war also keinesfalls ein Pferd, das ein Adliger reiten würde.

Der Fremde, der soeben angekommen war, hatte trotz seines selbstbewussten Auftretens nicht die Kleider eines Edelmanns getragen. Rialla nahm daher an, dass dies der Heiler gewesen war, nach dem Lord Jarroh hatte schicken lassen; ein Bote hätte es in der inzwischen verstrichenen Zeit gut und gern zum Dorf und wieder zurück geschafft.