Der Schwanz des Kzin peitschte hin und her, hin und her.
(Schließlich: Das war keine Kerze in der Mitte. Das war eine Sonne!)
»Inzwischen wissen Sie«, sagte Chiron, »daß wir uns seit zweihundertvier Jahren irdischer Zeitrechnung entlang der galaktischen Achse nach Norden bewegen. Nach Kzinti-Zeitrechnung sind das…«
»Zweihundertsiebzehn Jahre.«
»Richtig. Während dieser Zeit haben wir natürlich den Raum ringsum nach möglichen Gefahren und unerwarteten Hindernissen abgesucht. Wir entdeckten, daß der Stern EC-1752 von einem uncharakteristisch dichten und schmalen Band aus dunkler Materie umgeben ist. Wir nahmen an, daß der Ring aus Staub oder Stein bestand. Doch seine Form war überraschend regelmäßig.
Vor ungefähr drei Monaten erreichte unsere Weltenflotte eine Position, wo der Ring den Stern völlig verdeckte. Wir fanden heraus, daß der Ring scharfe Konturen aufwies. Weitere Untersuchungen enthüllten, daß er weder aus Gas noch aus Staub und schon gar nicht aus Asteroidengestein besteht, sondern ein festes Band von ganz erheblicher Belastbarkeit darstellt. Selbstverständlich beunruhigte uns diese Entdeckung sehr.«
»Wie konnten Sie auf die Belastbarkeit des Materials schließen?« erkundigte sich Der-zu-den-Tieren-spricht.
»Spektralanalyse und Frequenzschwankungen lieferten uns eine relative Geschwindigkeitsdifferenz. Der Ring rotiert eindeutig um seine Sonne, mit einer Geschwindigkeit von 770 Meilen pro Sekunde. Die Geschwindigkeit reicht aus, um die Anziehungskraft der Sonne zu überwinden und zusätzlich eine Zentripetalbeschleunigung von 9,94 Meter pro Sekundenquadrat zu erzeugen. Bedenken Sie die notwendige Zähigkeit, um eine Konstruktion wie diese nicht unter der Belastung auseinanderbrechen zu lassen.«
»Schwerkraft«, sagte Louis.
»Offensichtlich.«
»Schwerkraft. Eine Spur geringer als auf der Erde.
Irgend jemand lebt dort. Auf der Innenseite des Rings. Finagles Finger!« rief Lous Wu, als ihm die volle Bedeutung seiner Worte aufging. Die kleinen Härchen entlang seiner Wirbelsäule richteten sich auf. Louis hörte das Wisch-wisch des Kzintischwanzes, der durch die Luft peitschte.
Es war nicht das erste Mal, daß Menschen auf überlegene Intelligenzen getroffen waren. Bisher hatten sie stets Glück gehabt…
Abrupt sprang Louis auf und trat an die Kuppelwand. Es funktionierte nicht. Der Ring und der Stern wichen vor ihm zurück, bis er eine glatte Fläche berührte. Doch er bemerkte etwas, das ihm bisher entgangen war. Der Ring war gescheckt. Die blaue Innenseite war von rechteckigen Schatten mit regelmäßigen Zwischenräumen überzogen.
»Haben Sie eine bessere Aufnahme?«
»Wir können sie vergrößern«, erwiderte der Puppenspieler mit seiner Kontraaltstimme. Der G2-Stern sprang Louis entgegen und glitt strahlend hell rechts an ihm vorbei, so daß Louis nun auf die beleuchtete innere Oberfläche des Ringes blickte. Die Vergrößerung war verschwommen, und Louis konnte nur vermuten, daß die helleren, weißeren Bereiche Wolkenfelder darstellten. Dunkleres Blau war Festland, während das hellere Blau Wasserflächen darstellte.
Die Schattenflächen traten deutlich hervor. Der Ring schien von Rechtecken überzogen — langen Abschnitten von schimmerndem Babyblau folgten regelmäßig kürzere in einem tief dunklen Marineblau, an die sich stets wieder ein hellblauer Abschnitt anschloß. Wie eine gestrichelte Linie.
»Irgend etwas erzeugt diese Schatten«, sagte Louis. »Irgend etwas in der Umlaufbahn?«
»Genau das. Zwanzig rechteckige Gebilde rotieren zwischen Ring und Zentralgestirn in einer Kemplerer-Rosette um die Sonne. Wir wissen nicht, zu welchem Zweck.«
»Wie auch? Es schon zu lange her, seit Sie Ihre Sonne hinter sich gelassen haben. Diese Rechtecke im Orbit dienen wahrscheinlich dazu, Tag und Nacht zu erzeugen. Sonst wäre es auf der Innenfläche des Ringes immer zwölf Uhr mittags.«
»Jetzt verstehen Sie, weshalb wir Sie um Hilfe baten. Erfahrungen fremder Spezies können nur nützlich sein.«
»Mm hmmm. Wie groß ist der Ring? Haben Sie ihn genauer untersucht? Haben Sie Sonden losgeschickt?«
»Wir haben den Ring so gründlich wie möglich studiert, ohne unsere Geschwindigkeit zu drosseln und ohne anderweitig Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Selbstverständlich schickten wir keine Sonden aus. Wir hätten sie mit Hyperwellen fernsteuern müssen, und man hätte das Signal zu uns zurückverfolgen können.«
»Man kann ein Hypersignal nicht orten. Das ist theoretisch unmöglich!«
»Vielleicht haben die Konstrukteure des Rings andere Theorien entwickelt.«
»Hmmm.«
»Wir haben den Ring mit anderen Instrumenten untersucht.« Während Chiron sprach, wichen die Farben auf der Kuppelwand einem schwarzweißgrauen Muster. Konturen verschwammen und gerieten ins Wanken. »Wir haben Photographien und Hologramme in sämtlichen elektromagnetischen Frequenzen. Falls Sie daran Interesse haben…«
»Sie zeigen nicht viel Einzelheiten.«
»Nein. Das Licht wird zu sehr von Schwerkraftfeldern und Sonnenwinden abgelenkt. Kosmische Staubwolken und interstellare Gase trugen einen weiteren Teil dazu bei, die Aufnahmen unscharf zu machen. Unsere Teleskope können den Ring nicht weiter auflösen.«
»Also haben Sie wirklich nicht viel herausfinden können.«
»Ich würde sagen, wir haben im Gegenteil ziemlich viel herausgefunden. Eine Sache ist besonders verblüffend: Der Ring hält ungefähr vierzig Prozent aller Neutrinos ab.«
Teela blickte verwirrt drein. Der Kzin gab ein verblüfftes Geräusch von sich, und Louis pfiff sehr leise durch die Zähne.
Das schloß alles aus!
Normale Materie, selbst die ungeheuer komprimierte Materie im Herzen eines Sterns, hielt so gut wie keine Neutrinos auf. Ein Neutrino durchdrang mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Bleibarriere von mehreren Lichtjahren Dicke.
Ein Objekt in einem Slaver-Stasisfeld reflektierte sämtliche Neutrinos. Das gleiche galt für eine General-Products-Zelle.
Aber es gab absolut nichts, das 40 Prozent aller Neutrinos aufhielt und den Rest durchließ.
»Also etwas ganz Neues«, sagte Louis nachdenklich. »Chiron, wie groß ist dieser Ring? Wie massiv?«
»Der Ring besitzt eine Masse von zweimal zehn hoch dreißig Gramm, einen Durchmesser von null Komma neun fünf mal zehn hoch acht Meilen und eine Breite von etwas weniger als zehn hoch sechs Meilen.«
Louis war nicht gewohnt, in abstrakten Potenzen zu denken. Er versuchte die Zahlen in Gedankenskizzen zu übertragen. Er hatte richtig vermutet, als er sich den Ring wie ein zollbreites Geschenkband vorgestellt hatte, das auf der Kante stand und zu einem Kreis aufgespannt war. Der Ring besaß einen Radius von über neunzig Millionen Meilen — schätzungsweise sechshundert Millionen Meilen Umfang —, war jedoch von Rand zu Rand nur knapp eine Million Meilen breit. Seine Masse war kaum größer als die des Planeten Jupiter…
»Irgendwie erscheint er mir nicht massiv genug«, sagte Louis. »Ein Ding von dieser Größe sollte soviel Masse besitzen wie eine größere Sonne.«
Der Kzin stimmte Louis zu. »Man hat die absurde Vorstellung, daß Milliarden von Lebewesen auf einer Konstruktion leben, die kaum dicker ist als ein Buchfilm.«
»Ihre Vorstellung ist falsch«, entgegnete der Puppenspieler mit den silbernen Locken. »Bedenken Sie die Dimensionen. Bestünde der Ring aus Schiffslegierung, wäre er ungefähr fünfzig Fuß dick.«
Fünfzig Fuß? Das war kaum zu glauben.
Teela hatte die Augen nach oben zur Decke gerichtet und bewegte leise die Lippen. »Er hat recht«, sagte sie. »Die Mathematik leuchtet mir ein. Aber wozu das Ganze? Warum sollte jemand so ein Ding bauen?«
»Raum.«
»Raum?«
»Lebensraum«, bekräftigte Louis. »Das ist der Sinn des Ganzen. Sechshundert Billionen Quadratmeilen Oberfläche, die dreimillionenfache Oberfläche der Erde. Es ist wie drei Millionen Planeten, alle flach ausgewalzt und aneinandergefügt. Drei Millionen Welten in Gleiterreichweite. Das löst jedes Bevölkerungsproblem.