Die G2-Sonne war ein gleißender weißer Punkt. Louis hatte die irdische Sonne vom Rand des Solsystems aus gesehen, wenn er von anderen Sternen heimgekehrt war, und sie sah dieser hier sehr ähnlich. Nur, daß diese hier von einem kaum wahrnehmbaren Halo umgeben war. Louis würde den Anblick nie vergessen. Das erste Mal, daß er die Ringwelt sah. Selbst vom Rand des Systems aus war sie mit bloßem Auge zu erkennen.
Der-zu-den-Tieren-spricht ließ die großen Fusionsmotoren mit voller Kraft laufen. Er fuhr die flachen Thrusterscheiben aus dem Flügel, richtete sie nach achtern und fügte ihre Schubkraft zum Rückstoß der Fusionsmotoren hinzu. Die Lying Bastard glitt rückwärts in das System hinein wie eine strahlende Zwillingssonne und verzögerte mit beinahe zweihundertfacher Erdbeschleunigung.
Teela wußte nichts von alledem, weil Louis ihr nichts erzählte. Er wollte sie nicht unnötig in Angst versetzen. Falls die Kabinenschwerkraft auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zusammenbrach —, sie alle würden so flachgequetscht wie eine Wanze unter einem Absatz.
Doch die Kabinengravitation arbeitete mit unaufdringlicher Perfektion. Im gesamten Lebenserhaltungssystem war lediglich die schwache Gravitation der Puppenspielerwelt zu spüren — und das stetige, dumpfe Dröhnen der Fusionsmotoren. Die Vibrationen bahnten sich einen Weg durch die einzige verfügbare Öffnung, einen Kabelschacht von Oberschenkeldicke, und nachdem sie erst einmal in der General-Products-Zelle waren, spürte man sie überall an Bord.
Selbst im Hyperraum zog Der-zu-den-Tieren-spricht es vor, ein transparentes Schiff zu steuern. Er wollte ein gutes Sichtfeld haben, und der Blinde Fleck schien ihm nichts auszumachen. Das Schiff war auch jetzt noch durchsichtig, mit Ausnahme der privaten Kabinen, und der resultierende Anblick war zumindest gewöhnungsbedürftig.
Lounge und Brücke, Wände, Decken und Böden, die alle ineinander übergingen, waren nicht so sehr durchsichtig als unsichtbar. In der Leere schwebten massive Blöcke: Der-zu-den-Tieren-spricht in seiner Pilotenliege, umgeben von der hufeisenförmigen Konsole mit den roten und grünen Lichtern und Schaltern; die neonleuchtenden Ränder von Durchgängen, die Ansammlung von Liegesitzen um den Tisch in der Lounge, der Block undurchsichtiger Kabinen im Heck und nicht zu vergessen das flache Dreieck des Deltaflügels. Dahinter und ringsum schimmerten Sterne. Das Universum schien sehr nahe… und irgendwie statisch. Der beringte Stern lag genau hinter dem Heck, versteckt hinter den Kabinen, und sie konnten nicht zusehen, wie er wuchs.
Die Luft roch nach Ozon und Puppenspielern.
Nessus, der sich wegen des dumpfen Grollens von zweihundert g eigentlich vor Angst hätte einrollen müssen, schien sich in Gesellschaft der anderen auf seinem Liegestuhl am Tisch der Lounge erstaunlich wohl zu fühlen.
»Sie kennen keine Hyperwellen«, sagte er. »Die Mathematik des Systems spricht eindeutig dafür. Hyperwellen sind ein Oberbegriff für die Antriebsmathematik des Hyperraums, und sie haben keinen Hyperraumantrieb.«
»Vielleicht haben sie die Hyperwellen zufällig entdeckt.«
»Nein, Teela. Wir können die Hyperwellenbänder abhorchen, da es während des Bremsmanövers sonst nichts zu tun gibt; aber…«
»Ich habe tanj genug vom Warten!« Teela sprang unvermittelt auf und rannte fast aus der Lounge.
Louis beantwortete den fragenden Blick des Puppenspielers mit einem ärgerlichen Schulterzucken.
Teela war in schlechter Stimmung. Die Woche im Hyperraum hatte sie vor Langeweile fast umgebracht, und die Aussicht, weitere eineinhalb Tage tatenlos darauf zu warten, daß das Bremsmanöver endete, brachte sie dazu, die Wände hochzugehen. Was erwartete sie von Louis? Konnte er die Gesetze der Physik ändern?
»Wir müssen warten«, stimmte Der-zu-den-Tieren-spricht zu. Er sprach aus seinem Kontrollraum, und vielleicht waren ihm die emotionalen Untertöne von Teelas letzten Worten entgangen. »Die Hyperbänder sind frei von Signalen. Ich kann garantieren, daß die Erbauer der Ringwelt keinen Versuch unternommen haben, sich vermittels irgendeiner bekannten Hyperfrequenztechnik mit uns in Verbindung zu setzen.«
Das Thema der Kontaktaufnahme war immer weiter in den Mittelpunkt gerückt. Solange sie sich nicht mit den Erbauern der Ringwelt in Verbindung setzen konnten, war ihre Anwesenheit in diesem bewohnten System Banditentum. Bisher deutete allerdings nichts darauf hin, daß man sie entdeckt hatte.
»Meine Empfänger sind offen«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Sobald sie versuchen, sich auf elektromagnetischen Frequenzen mit uns zu verständigen, werden wir es wissen.«
»Nicht, wenn sie das Offensichtliche versuchen«, entgegnete Louis.
»Mag sein. Viele Spezies haben das kalte Wasserstoffband benutzt, um nach anderen Intelligenzen in der Umlaufbahn fremder Sonnen zu suchen.«
»Zum Beispiel die Kdatlyno. Sie haben die Kzinti auf diese Weise entdeckt.«
»Und wir haben sie unterworfen.«
Interstellarer Funk ist durch die Emissionen der Sterne verrauscht. Nur auf dem Einundzwanzig-Zentimeter-Band herrscht vergleichsweise Ruhe. Die Störungen werden durch endlose Kubiklichtjahre kalten interstellaren Wasserstoffes ausgesiebt. Es war das Band, das jede intelligente Spezies verwenden würde, um mit einer fremden Rasse in Verbindung zu treten. Unglücklicherweise machte der novaheiße Wasserstoff aus den Antrieben der Lying Bastard dieses Band nutzlos.
»Denken Sie daran,«, sagte Nessus, »daß unser geplanter Freifallorbit den Ring auf keinen Fall überkreuzen darf!«
»Das haben Sie schon viel zu oft gesagt, Nessus. Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet.«
»Wir dürfen den Bewohnern der Ringwelt nicht als drohende Gefahr erscheinen. Ich hoffe, Sie vergessen das nicht!«
»Sie sind ein Puppenspieler. Sie vertrauen nichts und niemandem.«
»Nur die Ruhe«, sagte Louis müde. Die andauernden Reibereien waren ein Ärgernis, auf das er verzichten konnte. Er zog sich zum Schlafen in seine Kabine zurück.
Stunden vergingen. Die Lying Bastard fiel der beringten Sonne entgegen, während sie abbremste. Ein Zwillingsspeer aus Novalicht und Novahitze eilte ihr voraus.
Der-zu-den-Tieren-spricht fand keinen Hinweis auf nach dem Schiff tastendes kohärentes Licht. Entweder hatten die Ringweltler die Lying Bastard noch immer nicht bemerkt, oder sie besaßen keine Kommunikationslaser.
Während der Woche im Hyperraum hatte der Kzin einen Großteil seiner Freizeit mit den Menschen verbracht. Louis und Teela hatten Gefallen an der Kabine des Kzin entwickelt: an der leicht höheren Gravitation, den Hololandschaften aus orange-gelbem Dschungel und der fremdartigen alten Burg; den scharfen, ständig wechselnden Gerüchen der unbekannten Welt. Ihre eigene Kabine war eintönig dekoriert und zeigte lediglich ein paar Stadtlandschaften und Meeresfarmen, halb überwuchert von genetisch maßgeschneiderten Algenkulturen. Dem Kzin gefiel ihre Kabine besser als Louis und Teela selbst.
Einmal hatten sie sogar versucht, gemeinsam in der Kabine des Kzin zu essen. Doch der Kzin »aß« wie ein verhungernder Wolf, und er beklagte sich, daß menschliches Essen wie angebrannter Abfall roch. Damit war dieses Thema erledigt.
Jetzt unterhielten sich Teela und Der-zu-den-Tieren-spricht gedämpft am einen Ende des Loungetisches. Louis hing seinen Gedanken nach und lauschte auf das entfernte Dröhnen der Fusionsantriebe.
Er war daran gewöhnt, sein Leben einer künstlichen Kabinengravitation anzuvertrauen. Seine eigene Yacht beschleunigte mit dreißig g. Doch seine eigene Yacht wurde von Thrustern angetrieben, und Thruster verursachten keine Geräusche.
»Nessus?« fragte er in die Stille der brennenden Sonnen.
»Ja, Louis?«
»Was wissen Sie über den Blinden Fleck, was wir nicht wissen?«
»Ich verstehe die Frage nicht.«