Aber das konnte noch lange dauern. Die Ringwelt war groß. Groß genug für alles.
KAPITEL FÜNFZEHN
TRAUMSCHLOSS
Louis war ganz in Gedanken versunken, während die beiden Flugräder neben seinem eigenen niedergingen. Er schrak auf, als Der-zuden-Tieren-spricht bellte: »Louis! Sie nehmen den SlaverDesintegrator von meinem Flugrad und graben damit ein Loch, in dem wir Deckung finden. Teela, Sie kommen her und versorgen meine Wunden.«
»Ein Loch?«
»Ja. Wir graben uns ein wie Tiere und warten auf den Anbruch der Nacht.«
»Ja.« Louis schüttelte sich. Er hätte selbst darauf kommen müssen, anstatt dem verletzten Kzin das Denken zu überlassen. Sie durften nicht riskieren, von einer aufreißenden Wolkendecke überrascht zu werden. Den Spiegelblumen fehlte lediglich ein wenig Sonne, um die kleine Gruppe zu grillen. In der Nacht jedoch…
Louis vermied es, den Kzin anzusehen, während er das Flugrad durchsuchte. Ein Blick hatte ihm genügt. Der Kzin war am größten Teil des Körpers schwarz verbrannt. Die Wunden näßten durch die ölige Asche, die einst Fell gewesen war. Weite Risse zeigten nacktes hellrotes Fleisch darunter. Der Gestank nach verbrannten Haaren war stark und erregte Übelkeit.
Louis fand den Desintegrator: Er sah aus wie eine doppelläufige Schrotflinte mit einem halb geschmolzenen Griff. Die Waffe direkt daneben ließ ihn säuerlich grinsen. Hätte der Kzin vorgeschlagen, die Spiegelblumen mit den Flashlasern zu verbrennen, wäre Louis in seinem benebelten Zustand wahrscheinlich sogar einverstanden gewesen.
Louis nahm die Waffe und wandte sich rasch ab. Er fühlte sich unwohl und schämte sich wegen seiner Schwäche. Er konnte die Schmerzen nachvollziehen, die Der-zu-den-Tieren-spricht erlitt. Teela konnte dem Kzin besser helfen als Louis. Sie wußte nichts von Schmerzen.
Louis zielte in einem Winkel von dreißig Grad nach unten. Er hatte den Helm seines Druckanzugs geschlossen. Da er es nicht eilig hatte, zog er nur einen der beiden Abzüge durch.
Schnell entstand ein Loch. Louis konnte nicht sehen, wie schnell, weil er schon nach einem Augenblick in einer gewaltigen Staubwolke stand. Ein kleinerer Hurrikan blies ihm aus der Richtung ins Gesicht, in die der Strahl fiel. Louis mußte sich heftig gegen den Wind stemmen.
Im Kegel des Strahls wurden Elektronen zu neutralen Partikeln. Erde und Fels zerfielen unter der Abstoßung gleichgeladener Kerne in Atome und schossen Louis in einem mononuklearen Nebel entgegen. Louis war froh, daß er den Helm aufgesetzt hatte.
Schließlich schaltete er den Desintegrator wieder ab. Das entstandene Loch sah groß genug aus für alle drei mitsamt den Flugrädern.
So schnell, dachte er. Und fragte sich, wie schnell das Werkzeug sich erst in den Boden fressen würde, wenn er beide Läufe einsetzte. Aber dann würde ein Strom fließen, dachte er und bediente sich der Umschreibung, die der Kzin benutzt hatte. Im Augenblick konnte er gut auf derartige Experimente verzichten.
Teela und Der-zu-den-Tieren-spricht waren abgestiegen. Der-zuden-Tieren-spricht war inzwischen fast am ganzen Körper haarlos. Ein großer orangefarbener Rest Fell bedeckte den Rücken und das Hinterteil, wo er gesessen hatte, und ein breiter Streifen zog sich über das Gesicht und die Augenpartie. Überall sonst lag die nackte, von Adern durchzogene, rotviolette Haut blank, an zahlreichen Stellen durchbrochen von tiefen roten Rissen. Teela übersprühte die Wunden mit einem Spray, das zu einem weißen Schaum quoll, wo es auftraf.
Der Gestank nach versengten Haaren und verbranntem Fleisch hielt Louis davon ab, dem Kzin zu nahe zu kommen. »Fertig«, sagte er.
Der Kzin blickte auf. »Ich kann wieder sehen, Louis.«
»Gut.« Louis hatte sich ernsthafte Sorgen gemacht.
»Der Puppenspieler hat medizinische Ausrüstung aus Militärbeständen mitgenommen. Sie sind dem, was unsere zivilen Ärzte haben, weit überlegen. Er hätte überhaupt keinen Zugang zu militärischer Ausrüstung haben dürfen!« Der Kzin klang wütend. Vielleicht vermutete er Bestechung; vielleicht hatte er damit sogar recht.
»Ich werde mich mit Nessus in Verbindung setzen«, sagte Louis. Er schlug einen weiten Bogen um Teela und Der-zu-den-Tierenspricht. Der Kzin war inzwischen von Kopf bis Fuß mit weißem Schaum bedeckt. Es roch überhaupt nicht mehr.
»Ich weiß, wo Sie stecken«, sagte er zu dem Puppenspieler.
»Wunderbar, Louis. Und wo bin ich?«
»Sie sind hinter uns. Sie haben einen Bogen geflogen, sobald Sie außer Sicht waren. Teela und Der-zu-den-Tieren-spricht wissen nichts davon. Sie wissen nicht, wie Puppenspieler denken.«
»Erwarten Sie allen Ernstes, daß ein Puppenspieler ihnen den Weg freimacht? Vielleicht ist es besser, sie weiterhin in diesem Glauben zu lassen. Wie stehen die Aussichten, daß sie mich wieder bei sich dulden werden?«
»Ich arbeite noch daran. Vielleicht später. Lassen Sie mich erzählen, warum ich mich gemeldet habe…« Er berichtete dem Puppenspieler von dem riesigen Spiegelblumenfeld. Er beschrieb gerade das Ausmaß der Verletzungen, die Der-zu-den-Tieren-spricht erlitten hatte, als das flache Gesicht Nessus aus dem Aufnahmebereich der Interkomkamera verschwand.
Louis wartete ein paar Augenblicke, ob der Puppenspieler wieder auftauchen würde. Dann schaltete er ab. Er war sicher, daß Nessus nicht lange in katatonischer Starre verharren würde. Der Puppenspieler war zu verdammt besorgt um sein eigenes Leben.
Noch blieben zehn Stunden Tageslicht. Die kleine Gruppe wartete im Desintegratorloch auf den Einbruch des Abends.
Der-zu-den-Tieren-spricht schlief die ganze Zeit. Sie führten ihn in den Graben und gaben ihm dann ein Spray aus dem Kzinti-Medikit, um ihn in Schlaf zu versetzen. Der weiße Schaum war auf seinem Körper zu einem schaumstoffartigen Verband erstarrt.
»Der einzige federnde Kzin des Universums«, sagte Teela.
Louis versuchte ebenfalls zu schlafen. Er döste eine Zeitlang vor sich hin. Einmal wachte er auf und sah über sich helles Tageslicht und die scharf umrissenen Schatten des Grabens ringsum. Er drehte sich um und sank erneut in Schlaf…
Und wachte kurz darauf schreckerfüllt wieder auf. Schatten! Wenn er sich zu weit aufgesetzt hätte, wäre er zu Asche verbrannt worden!
Aber jetzt waren die Wolken wieder zurück und verhinderten, daß die Spiegelblumen angriffen.
Endlich wurde es am Horizont dunkel. Als die Dunkelheit näher rückte, machte sich Louis daran, die anderen zu wecken.
Sie flogen unter der Wolkendecke. Es war lebenswichtig, daß sie die Spiegelblumen sehen konnten. Wenn es dämmerte, bevor sie das riesige Spiegelblumenfeld hinter sich ließen, mußten sie sich auch am folgenden Tag noch einmal eingraben.
Hin und wieder steuerte Louis sein Rad tiefer und riskierte einen genaueren Blick.
Eine Stunde lang flogen sie weiter… dann wurden die Spiegelblumen spärlicher. Sie kamen in eine Gegend, wo nur vereinzelt Spiegelblumen wuchsen; halb ausgewachsene Pflanzen zwischen den verbrannten Stümpfen eines ehemaligen Waldes. Hier schien tatsächlich noch Gras mit den Spiegelblumen zu konkurrieren.
Dann gab es gar keine Spiegelblumen mehr.
Und Louis konnte endlich schlafen.
Louis schlief wie ein Toter. Es war noch immer Nacht, als er erwachte. Er sah sich um und erblickte einen hellen Lichtfleck voraus und spinwärts.
Er war vollkommen erschlagen und nahm deswegen zuerst an, es sei ein Glühwürmchen, das sich in der Schallfalte verfangen hatte, oder irgend etwas ähnlich Dummes. Es war noch immer da, nachdem er sich die Augen gerieben hatte.
Er drückte auf den Interkomknopf, um mit Der-zu-den-Tierenspricht zu reden.
Das Licht wurde größer und deutlicher. Vor der Schwärze der Ringweltnacht leuchtete es hell wie reflektiertes Sonnenlicht.