»Genau«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Ohne Transferkabinen ist es der einzige praktikable Weg, größere Strecken auf der Ringwelt zurückzulegen. Wahrscheinlich war es das wichtigste Transportsystem.«
»Aber sie liegen tausend Meilen hoch! Aufzüge?«
»Überall am Randwall. Dort zum Beispiel.« Inzwischen waren die silbernen Punkte zu winzigen Schlaufen angewachsen, weit voneinander entfernt und vor dem darunterliegenden Land durch Berggipfel verborgen. Eine Röhre, so schlank, daß sie aus dieser Entfernung fast unsichtbar war, führte von einer der Schlaufen einen gewaltigen Berghang hinunter, bis sie in einer Wolkenschicht am Boden der Ringweltatmosphäre verschwand.
»Die elektromagnetischen Schlaufen bilden in der Nähe der Aufzugschächte regelrechte Cluster. Überall sonst stehen sie bis zu einer Million Meilen auseinander. Ich nehme an, sie werden lediglich zum Beschleunigen und Abbremsen und für Korrekturen benötigt. Ein Fahrzeug könnte bis zum freien Fall beschleunigt werden, um mit 770 Meilen in der Sekunde den Rand entlangzufahren, bis es in der Nähe eines weiteren Aufzugs von einem anderen Schlaufencluster wieder abgebremst wird.«
»Es würde bis zu zehn Tage dauern, auf die andere Seite der Ringwelt zu gelangen! Beschleunigungs- und Abbremsmanöver nicht mit eingerechnet.«
»Trivial. Sie benötigen sechzig Tage, um Silvereyes zu erreichen, die am weitesten von der Erde entfernte Kolonie. Sie würden sogar viermal so lang benötigen, um den Bekannten Weltraum von einem Rand zum anderen zu durchqueren.«
Er hatte recht. Und der Lebensraum auf der Ringwelt war größer als der aller bewohnbaren Planeten des Bekannten Weltraums zusammen. Sie haben für Platz gesorgt, als sie dieses Ding gebaut haben. »Konnten Sie Anzeichen von Aktivität erkennen? Werden die Linearbeschleuniger noch von irgend jemandem benutzt?«
»Die Frage ist ohne Bedeutung. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Das Panorama änderte sich. Die Landschaft glitt seitwärts und expandierte langsam. Es war Nacht. Dunkle Wolken zogen über dunkles Land, und dann…
»Erleuchtete Städte. Wunderbar.« Louis schluckte. Es war zu plötzlich gekommen. »Also ist nicht alles tot. Wir können Hilfe bekommen.«
»Ich denke eher nicht. Es wird vielleicht schwierig zu finden sein… ah.«
»Finagles schwarze Hand!«
Das Schloß, offensichtlich das Schloß, in dem sie sich befanden, schwebte gleichmütig über einem Meer aus Licht. Fenster, Neon, Ströme von gleichförmig dahinziehenden Staubkörnern, wahrscheinlich Fahrzeugen… merkwürdig geformte schwebende Bauwerke… wundervoll.
»Bandaufzeichnungen! Tanj! Wir sehen alte Bänder! Ich dachte, es seien Live-Übertragungen.« Einen großartigen Augenblick lang hatte es ganz danach ausgesehen, als sei ihre Suche vorüber. Helle, geschäftige Städte, auf einer Karte mit höchster Genauigkeit eingezeichnet… doch diese Bilder mußten Ewigkeiten alt sein.
»Ich dachte genau das gleiche gestern nacht, viele Stunden lang. Ich hatte nicht den Hauch eines Verdachts, bis es mir nicht gelingen wollte, den Tausende von Meilen langen Meteoritenkrater zu finden, den die Lying Bastard bei ihrer Landung gezogen hat.«
Louis war sprachlos. Er schlug dem Kzin auf die nackte rot- und lavendelfarbene Schulter. Sie war fast außerhalb seiner Reichweite.
Der Kzin ignorierte die vertrauliche Geste. »Nachdem ich das Schloß lokalisiert hatte, ging alles ganz schnell. Passen Sie auf.« Die Sicht glitt rasch nach Backbord. Das dunkle Land verschwamm, und sämtliche Einzelheiten verschwanden. Dann waren sie über einem schwarzen Ozean.
Die Kamera schien zurückzuweichen…
»Sehen Sie? Die Bucht eines der beiden großen Salzwassermeere liegt in unserem Weg zum Randwall. Der Ozean selbst ist mehrere Male größer als alle Meere der Erde oder Kzins. Die Bucht allein ist größer als unser größtes Meer.«
»Noch mehr Verzögerungen! Können wir ihn überqueren?«
»Vielleicht können wir das. Aber uns erwarten noch größere Hindernisse als das dort.« Der Kzin streckte die Hand nach einem silbernen Knopf aus.
»Warten Sie. Ich möchte einen genaueren Blick auf diese Inselgruppen werfen.«
»Warum, Louis? Meinen Sie, wir könnten dort anhalten, um Verpflegung aufzunehmen?«
»Nein… Sehen Sie, die Inseln bilden sämtlich Gruppen, und zwischen den Gruppen liegen riesige Flächen Ozean. Nehmen Sie zum Beispiel diese Gruppe hier.« Louis’ Zeigefinger umkreiste die Abbildungen auf dem Schirm. »Sehen Sie sich diese Formation hier an und werfen Sie einen Blick auf jene Karte dort.«
»Ich verstehe nicht.«
»Und diese Gruppe hier, in der von Ihnen so genannten Bucht… vergleichen Sie sie mit der Karte hinter Ihnen. Die Kontinente auf den Kegelschnitten sind ein wenig verzerrt… Verstehen Sie jetzt? Zehn Welten, zehn Inselgruppen. Nicht im Maßstab eins zu eins, aber jede Wette, daß diese Insel so groß ist wie Australien, und der ursprüngliche Kontinent auf dem Globus dort sieht nicht größer aus als Eurasien.«
»Welch ein makabrer Scherz. Louis, ist das typisch menschlicher Sinn für Humor?«
»Nein, nein! Sentimentalität. Es sei denn…«
»Ja?«
»Ich hatte noch gar nicht daran gedacht. Die erste Generation… sie mußten ihre eigenen Welten hinter sich lassen, aber sie wollten etwas als Erinnerung behalten. Drei Generationen später war es nur noch komisch. So ist es immer.«
Der Kzin wartete, bis er sicher war, daß Louis ausgeredet hatte. Dann fragte er ein wenig zaghaft: »Glaubt ihr Menschen eigentlich, daß ihr uns Kzinti versteht?«
Louis lächelte und schüttelte den Kopf.
»Gut«, sagte der Kzin und wechselte das Thema. »Ich habe letzte Nacht einige Zeit damit zugebracht, den nächstgelegenen Raumhafen zu erkunden.«
Sie standen auf der Nabe der Miniaturringwelt und blickten durch einen rechteckigen Bildschirm in die Vergangenheit.
Die Vergangenheit, die sich ihren Augen erschloß, war eine Vergangenheit der großartigsten Errungenschaften. Der-zu-den-Tierenspricht hatte die Kamera auf den Raumhafen fokussiert, ein breites, vorspringendes Sims auf der raumwärts gelegenen Seite des Randwalls. Sie beobachteten, wie ein riesiger Zylinder mit stumpfen Enden und Tausenden hell erleuchteter Fenster in elektromagnetischen Feldern gelandet wurde. Die Felder leuchteten in Pastellfarben, wahrscheinlich, damit die Maschinenführer sie visuell manipulieren konnten.
»Es ist ein Endlosband«, erklärte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Ich habe es letzte Nacht eine ganze Weile angesehen. Die Passagiere scheinen direkt durch den Randwall zu gehen, als hätten sie eine Art Osmoseprozeß verwendet.«
»Ah«, sagte Louis niedergeschlagen. Das Raumhafensims lag Ewigkeiten spinwärts von ihrem jetzt Standort — so weit, daß die Entfernung, die sie bereits zurückgelegt hatten, wie ein winziger Schritt aussah.
»Ich habe einem Schiff beim Start zugesehen. Sie benutzten keinen Linearbeschleuniger dazu. Er wurde nur für Landungen eingesetzt, um die Geschwindigkeit des ankommenden Schiffes der Eigengeschwindigkeit der Ringwelt anzupassen. Zum Start kippten sie die Schiffe einfach ins All hinaus.
Genau wie der Blätteresser vermutet hat, Louis. Erinnern Sie sich an diese merkwürdige Falltür? Die Ringwelt rotiert schnell genug, damit ein elektromagnetisches Ramfeld operieren kann. Louis, hören Sie mir überhaupt zu?«
Louis schüttelte sich. »Tut mir leid, Sprecher. Ich muß andauernd daran denken, daß unser Trip siebenhunderttausend Meilen länger wird als vorgesehen.«
»Möglicherweise können wir ihr Haupttransportsystem benutzen. Die kleineren Linearbeschleuniger auf dem Randwall.«
»Mit Sicherheit nicht. Das sind wahrscheinlich alles nur noch Ruinen. Zivilisation tendiert dazu sich auszubreiten, falls es ein geeignetes Transportsystem gibt.