»›Sie benutzen eine verbotene Wellenlänge und verstoßen…‹ An den Rest entsinne ich mich nicht«, sagte der Priester. »Wir sollten diese Unterhaltung besser beenden. Du hast irgend etwas Altes aufgeweckt. Etwas Böses…« Der Priester unterbrach sich, denn Louis’ Translator hatte erneut zu reden angefangen, erneut in der Sprache des Priesters. »›… verstoßen gegen Gesetz Nummer Zwölf und behindern Wartung und Reparatur…‹ Hast du genug Macht, um es aufzuhalten…?«
Was immer der Priester sonst noch sagte, es wurde nicht mehr übersetzt.
Die Translatorscheibe wurde plötzlich in Louis’ Hand rotglühend. Er schleuderte sie heftig weg. Sie glühte weiß und leuchtete hell auf, als sie auf dem Boden auftraf — glücklicherweise, ohne jemanden zu verletzen (soweit Louis sehen konnte). Dann übermannte ihn der Schmerz, und er war halb blind vor Tränen.
Er sah noch, wie der Priester ihm zunickte, sehr formell und sehr majestätisch.
Louis erwiderte das Nicken mit ausdruckslosem Gesicht. Er war zu keiner Zeit von seinem Flugrad abgestiegen. Jetzt gab er Gas, und die Maschine schoß in die Luft. Louis steuerte auf das Schloß zu.
Als sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnten, verzog er es vor Schmerz. Er stöhnte laut und benutzte ein Wort, das er früher einmal auf Wunderland gehört hatte — von einem Mann, der ein tausend Jahre altes Stück Steubenkristall fallengelassen hatte.
KAPITEL SIEBZEHN
DAS STURMAUGE
Sie verließen das schwebende Schloß in Richtung Backbord. Über ihnen war der stahlgraue Deckel, der in dieser Gegend als Himmel diente. Über den Spiegelblumenfeldern hatten die Wolken ihnen das Leben gerettet. Jetzt wirkte ihr Grau nur noch deprimierend.
Louis betätigte drei Sensoren in der Konsole, um seine Maschine in der gegenwärtigen Höhe zu verankern. Er mußte genau hinsehen, was er tat. Seine Rechte war fast taub wegen der Medikamente und der aufgesprühten Haut und den weißen Pflastern auf den Fingerspitzen. Er betrachtete seine Hand nachdenklich. Es hätte schlimmer kommen können…
Das Bild des Kzin erschien über der Konsole. »Louis, warum steigen wir nicht über die Wolken?«
»Weil wir vielleicht etwas übersehen könnten.«
»Aber wir haben unsere Karten!«
»Würden wir darauf ein Spiegelblumenfeld entdecken?«
»Sie haben recht«, erwiderte Der-zu-den-Tieren-spricht und schaltete ab.
Der Kzin und Teela hatten im Kartenraum gewartet, während Louis unten bei dem Priester gewesen war. Sie hatten die Zeit genutzt und konturierte Karten ihrer Route zum Randwall skizziert. Sie hatten sogar die Städte eingezeichnet, die auf dem Vergrößerungsschirm als helle gelbe Flecken zu erkennen gewesen waren.
Dann hatte irgend jemand Anstoß an der Funkfrequenz genommen, die sie benutzten. Reserviert von wem, zu welchem Zweck, und wie lange war das her? Warum hatte es bis zu diesem Zeitpunkt keine Probleme gegeben? Louis vermutete irgendeine alte Automatik, ähnlich der Meteoritenabwehr, die die Lying Bastard abgeschossen hatte. Vielleicht funktionierte diese hier nur noch hin und wieder, in unregelmäßigen Abständen.
Und die Translatorscheibe von Der-zu-den-Tieren-spricht war weißglühend geworden und an seiner Hand kleben geblieben. Es würde Tage dauern, bevor er die Hand wieder benutzen konnte, selbst unter Einsatz der »Wundermedizin« aus Militärbeständen der Kzinti. Die Sehnen benötigten Zeit, um sich zu regenerieren.
Die Karten machten es ein wenig leichter. Wiederaufflackernde Zivilisationen würden sich mit so gut wie hundertprozentiger Sicherheit zuerst in den großen Metropolen zeigen. Die kleine Flotte konnte diese Städte überqueren und nach Lichtern oder aufsteigendem Rauch Ausschau halten.
Nessus Rufknopf leuchtete auf der Konsole. Er leuchtete bereits seit Stunden. Louis antwortete endlich.
Er sah die wirre braune Mähne des Puppenspielers und die weiche Haut seines Rückens, die sich im Rhythmus seines Atems bewegte. Einen Augenblick lang glaubte Louis, der Puppenspieler sei erneut in katatonische Starre zurückgefallen. Dann hob er einen seiner dreieckigen Köpfe und flötete: »Guten Tag, Louis! Gibt es Neuigkeiten?«
»Wir entdeckten ein schwebendes Bauwerk«, berichtete Louis. »Mit einem Kartenraum.« Er erzählte dem Puppenspieler von dem Schloß, das die Eingeborenen Himmel getauft hatten, von dem Kartenraum darin, dem Bildschirm, den Globen an den Wänden und den Karten darunter, von dem Priester und dessen Geschichte und Weltbild. Eine ganze Zeitlang beantwortete er die Fragen des Puppenspielers, bis er selbst eine stellte.
»Nessus, funktioniert Ihre Translatorscheibe eigentlich noch?«
»Nein, Louis. Vor kurzer Zeit wurde sie mit einem Mal vor meinen Augen glühend heiß. Ich habe mich tödlich erschrocken. Ich wagte nicht, in Katatonie zu versinken, sonst hätte ich es bestimmt getan. Aber ich weiß nicht, was es zu bedeuten hatte.«
»Nun, die restlichen Scheiben sind ebenfalls zerstört. Teelas Scheibe ist in ihrer Box geschmolzen und hat eine Brandspur auf ihrem Flugrad hinterlassen. Der-zu-den-Tieren-spricht und ich haben uns die Hände verbrannt. Wissen Sie was? Ich schätze, wir müssen die Sprache der Ringwelt lernen.«
»Ja, Louis.«
»Ich wünschte, der alte Mann hätte etwas über den Niedergang der Ringzivilisation gewußt. Ich hatte eine Idee…« Und er berichtete dem Puppenspieler von seiner Theorie der mutierten Kolibakterien.
»Gut möglich«, sagte Nessus. »Nachdem sie erst die Technik der Transmutation verloren hatten, konnten sie sich nie wieder erholen.«
»Oh? Warum nicht?«
»Sehen Sie sich um, Louis. Was sehen Sie?«
Louis blickte sich um. Er entdeckte ein aufziehendes Gewitter, ein gutes Stück voraus; er sah Hügel, Täler, eine weit entfernte Stadt, zwei Berggipfel, deren Spitzen im schmutziggrauen, halb transparenten Farbton des Ringweltfundaments schimmerten…
»Landen Sie irgendwo auf der Ringwelt und graben Sie nach unten. Was finden Sie?«
»Dreck«, sagte Louis. »Und?«
»Und dann?«
»Noch mehr Dreck. Felssohle. Ringweltfundament«, sagte Louis. Während er dies sagte, schien sich die Landschaft ringsum zu verändern. Die Sturmwolken, Berge, die Stadt spinwärts und die Stadt, die hinter ihnen schrumpfte, der leuchtend helle Fleck weit weg am unendlichen Horizont, der vielleicht ein weiteres Meer aus Spiegelblumen war… all das zeigte sich plötzlich als die Hülse, die es eigentlich war. Der Unterschied zwischen einem echten Planeten und diesem hier war der gleiche wie der zwischen einem echten menschlichen Gesicht und einer hohlen Maske.
»Graben Sie auf einer x-beliebigen Welt«, fuhr der Puppenspieler fort. »Irgendwann stoßen Sie zwangsläufig auf irgendeine Art von Metallerz. Hier finden Sie vierzig Fuß Erdboden — und dann das Ringweltfundament. Dieses Material kann nicht verarbeitet werden. Wenn man es durchstoßen könnte, würde der Schürfer auf Vakuum treffen — ein schlimmer Lohn für seine Mühen.
Setzen Sie auf den Ring eine Zivilisation, die imstande ist, den Ring zu errichten. Notwendigerweise besitzt sie die Technologie billiger Materieumwandlung. Sobald diese Zivilisation die Technologie der Materieumwandlung verliert — gleichgültig, aus welchem Grund — was würde bleiben? Sicherlich hat sie keine Rohstoffe gelagert. Es gibt kein Erz. Das gesamte Metall des Rings wäre in Maschinen und Werkzeugen verbaut, der Rest wäre Rost. Selbst interplanetare Raumfahrt würde ihnen nicht weiterhelfen, weil es im gesamten System nichts mehr gäbe, was abgebaut werden könnte. Die Zivilisation würde niedergehen und nie wieder auferstehen.«
Leise fragte Louis: »Wann haben Sie das herausgefunden?«
»Schon vor einiger Zeit. Es schien für unser Überleben ohne Bedeutung.«
»Also haben Sie es auch nicht erwähnt, richtig?« sagte Louis. Wie viele Stunden hatte er sich mit diesem Problem beschäftigt! Und plötzlich schien alles so offensichtlich. Welch eine Falle! Welch eine schreckliche Falle für denkende Wesen!