»Während unserer Reise nach draußen.«
»Der Patriarch wird mir einen Namen geben, wenn ich ihm so ein Schiff bringe, davon bin ich überzeugt. Welchen Namen soll ich wählen? Vielleicht…« Der Kzin stieß ein Fauchen aus, das die Tonleiter hinaufkletterte.
Der Puppenspieler antwortete in der gleichen Sprache.
Louis rutschte verdrossen auf seinem Stuhl hin und her. Er verstand die Heldensprache nicht und überlegte, die beiden allein zu lassen — doch dann kam ihm eine bessere Idee. Er zog das Hologramm des Puppenspielers aus der Tasche und warf es quer durch den Raum in den haarigen Schoß des Kzin.
Der Kzin nahm es vorsichtig mit eingezogenen Krallen und hielt es hoch.
»Das sieht aus wie ein beringter Stern«, bemerkte er. »Was ist es?«
»Es hat mit unserem Reiseziel zu tun«, sagte der Puppenspieler. »Mehr darf ich im Augenblick nicht dazu sagen.«
»Wie geheimnisvoll. Wann werden wir aufbrechen?«
»In ein paar Tagen vermutlich. Meine Agenten suchen im Augenblick nach einem qualifizierten vierten Mitglied für unser Erkundungsteam.«
»Bis dahin müssen wir uns also mit Geduld wappnen. Louis, wollen wir uns unter Ihre Gäste mischen?«
Louis stand auf und streckte sich. »Warum nicht? Verschaffen wir ihnen einen Nervenkitzel. Sprecher-zu-den-Tieren, bevor wir das Büro verlassen, möchte ich Ihnen noch einen Vorschlag machen. Betrachten Sie es bitte nicht als einen Angriff auf Ihre Würde. Es ist nur so eine Idee von mir…«
Die Gäste hatten sich in Gruppen aufgelöst: ein Teil sah 3D-Filme, andere spielten Bridge und Poker; Liebespaare und größere Liebesgruppen zogen sich zurück; ein Teil lauschte Geschichtenerzählern oder war einfach Opfer der Langeweile. Draußen auf dem Rasen, unter einer dunstigen frühen Morgensonne, hatte sich eine gemischte Gruppe aus Gelangweilten und Xenophilen eingefunden: die Gruppe im Freien schloß Nessus und Der-zu-den-Tieren-spricht ein. Auch Louis Wu gehörte dazu, Teela Brown und ein überlasteter Bartender.
Der Rasen gehörte zu der Sorte, die nach uraltem britischem Rezept gepflegt wurde: fünfhundert Jahre lang säen und rollen. Fünfhundert Jahre, die in einem Börsencrash geendet hatten, aus welchem Louis Wu mit Geld hervorgegangen war und eine höchst ehrenwerte adlige Familie nicht. Das Gras war grün und glänzte und bestand offensichtlich aus natürlich gezüchtetem Material. Niemand hatte seine Gene auf der Suche nach einer zweifelhaften Verbesserung manipuliert. Am Ende des sanft geneigten grünen Abhangs lag ein Tennisplatz, wo kleine Gestalten umhersprangen und mit großem Eifer ihre überdimensionierten Fliegenklatschen schwangen.
»Sport ist doch etwas Wunderbares«, sagte Louis. »Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und zuschauen.«
Teelas Lachen überraschte ihn. Er dachte flüchtig an die Millionen von Witzen, die sie nie gehört hatte, die alten und uralten, die niemand mehr erzählte. Von den Millionen Witzen, die Louis auswendig kannte, waren sicher neunundneunzig Prozent schlichtweg obsolet. Vergangenheit und Gegenwart lassen sich schlecht vermischen.
Der Bartender glitt in geneigter Position herbei. Louis’ Kopf lag in Teelas Schoß, und da er die Tasten nicht erreichen konnte, ohne sich aufzusetzen, mußte der Bartender sich zu ihm hinunterbeugen. Louis tastete die Bestellung für zwei Mokkas ein, fing die Getränke auf, als sie im Ausgabeschlitz erschienen, und reichte eines davon Teela.
»Sie sehen aus wie ein Mädchen, das ich einmal kannte«, sagte Louis. »Haben Sie je von Paula Cherenkow gehört?«
»Die Karikaturistin? Geboren in Boston?«
»Ja. Sie lebt heute auf We Made It.«
»Das ist meine Ururgroßmutter. Wir haben sie schon einmal besucht.«
»Sie hat vor langer Zeit mein Herz ins Schleudern gebracht. Sie könnten ihre Zwillingsschwester sein.«
Teelas Lachen sandte ein angenehmes Vibrieren durch Louis’ Wirbelsäule. »Ich verspreche Ihnen, daß ich Ihnen nicht das Herz ins Schleudern bringen werde, wenn Sie mir erzählen, was das überhaupt bedeutet.«
Louis dachte nach. Der Ausdruck stammte von ihm selbst; er beschrieb, was damals in ihm vorgegangen war. Louis hatte ihn nicht oft benutzt, doch er hatte ihn auch nie erklären müssen. Sie hatten immer alle gewußt, was er damit gemeint hatte.
Ein ruhiger, friedlicher Morgen. Wenn er jetzt zu Bett ging, würde er zwölf Stunden durchschlafen. Müdigkeit und Erschöpfung erreichten einen neuen Höhepunkt. Teelas Schoß war ein bequemes Ruhekissen. Die Hälfte von Louis’ Gästen waren Frauen, und viele von ihnen waren in früheren Jahren Gattinnen oder Geliebte gewesen. In der ersten Phase der Geburtstagsfeier hatte er zurückgezogen mit drei Frauen gefeiert, die früher einmal eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hatten und umgekehrt.
Drei? Vier? Nein, es waren nur drei gewesen. Und heute schien es, daß er immun war gegen Herzschleudern. Zweihundert Jahre hatten zuviel Narbengewebe über seine Persönlichkeit wachsen lassen. Und jetzt ruhte sein Kopf bequem und ruhig im Schoß einer Fremden, die wie Paula Cherenkow aussah.
»Ich verliebte mich in sie«, erzählte er. »Wir kannten uns schon jahrelang. Wir hatten uns sogar ein paarmal verabredet. Und dann, eines Nachts, kamen wir ins Gespräch, und Peng! — ich war verliebt. Ich glaube, sie liebte mich ebenfalls.
Wir gingen nicht ins Bett diese Nacht — nicht zusammen, meine ich. Ich bat sie, mich zu heiraten. Sie gab mir einen Korb. Sie hatte ihre Karriere im Sinn. Sie hatte keine Zeit für die Ehe, sagte sie. Wir planten einen Trip in den Amazonas-Nationalpark, gewissermaßen als Ersatz für eine Woche Hochzeitsreise.
Die folgende Woche war voller Höhen und Tiefen. Zuerst kamen die Höhen. Ich hatte die Fahrkarten und das Hotel reserviert. Haben Sie sich jemals so heftig in jemanden verliebt, daß Sie glaubten, Sie wären seiner nicht würdig?«
»Nein.«
»Ich war jung. Ich verbrachte zwei Tage damit, mich zu überzeugen, ich wäre Paula Cherenkows würdig. Es gelang mir auch. Dann rief sie an und sagte die Reise ab. Ich kann mich nicht mehr entsinnen, warum. Aber es war sicher ein triftiger Grund.
Ich führte sie in dieser Woche ein paarmal zum Essen aus. Nichts passierte. Ich versuchte, sie nicht unter Druck zu setzen. Gut möglich, daß sie gar nicht ahnte, wie sehr ich selbst unter Druck stand. Ich durchlitt Höhen und Tiefen wie ein Jo-Jo. Dann fiel ihre Barriere. Sie mochte mich. Wir hatten Spaß zusammen. Wir sollten gute Freunde bleiben, sagte sie.
Ich war nicht ihr Typ«, erzählte Louis. »Ich dachte, wir wären verliebt. Vielleicht hat sie das auch geglaubt, eine Woche lang. Sie war nicht grausam. Sie wußte nur nicht, was in mir vorging.«
»Aber ich verstehe nicht, wie Ihr Herz schleudern konnte?«
Louis blickte zu Teela Brown auf. Silberaugen sahen ihn treuherzig an, und Louis begriff, daß sie nicht ein einziges Wort verstanden hatte.
Louis hatte sich viel mit fremden Wesen befaßt. Aus Instinkt oder Erfahrung hatte er gelernt zu spüren, wann ein Begriff zu fremdartig war, um von einem anderen Wesen aufgenommen oder verstanden zu werden. Auch hier gab es eine unüberwindbare Kluft.
Welch ein gewaltiger Graben trennte Louis Wu von diesem zwanzigjährigen Geschöpf! War er wirklich so drastisch gealtert? Und falls ja, war Louis Wu überhaupt noch ein menschliches Wesen?
Teela wartete mit naiven Augen auf Erleuchtung.
»Tanj!« fluchte Louis und sprang auf. Schmutzklumpen lösten sich von seiner Robe und rutschten über den Saum.
Nessus der Puppenspieler erging sich in einem Vortrag über Ethik. Er unterbrach sich (buchstäblich, da er zum Entzücken seiner Zuhörer mit beiden Mündern zugleich sprach) und wandte sich zu Louis um. Nein, er habe noch nichts von seinen Agenten gehört, antwortete er auf Louis’ Frage.
Der-zu-den-Tieren-spricht, ähnlich umringt wie der Puppenspieler, lag wie ein orangefarbener Hügel ausgebreitet auf dem Rasen. Zwei Frauen kraulten ihn hinter den Ohren, hinter diesen seltsamen Kzinti-Ohren, die sich wie rosafarbene chinesische Fächer aufspannen oder flach gegen den Kopf legen konnten. Die Ohren waren weit aufgespannt, und Louis bemerkte die Tätowierung im Gewebe.