»Es macht die Dinge schwierig, nicht wahr?« kicherte Louis. Für ihn lag Vergnügen im Lösen von Problemen. »Aber es ist erst die halbe Antwort. Wenn wir davon ausgehen…«
Der Puppenspieler kreischte.
Louis war schockiert. Er hatte nicht erwartet, daß es Nessus so schwer treffen würde. Der Puppenspieler heulte zweistimmig. Dann, ohne ersichtliche Hast, steckte er die beiden Köpfe unter den Bauch. Louis sah nur noch die wirre Mähne, die den Höcker mit dem Gehirn darin bedeckte.
Dann meldete sich Teela über Interkom.
»Ihr habt euch über mich unterhalten«, sagte sie ruhig. (Louis erinnerte sich, daß sie nicht nachtragend sein konnte. Machte das die Fähigkeit, nachtragend zu sein, zu einem Überlebensfaktor?) »Ich habe versucht, eurer Unterhaltung zu folgen, aber ich habe nichts verstanden. Was ist mit Nessus?«
»Mein großes Maul. Ich habe ihm Angst eingejagt. Wie sollen wir dich jetzt finden?«
»Kannst du mir nicht sagen, wo ich bin?«
»Nessus hat den einzigen Positionsanzeiger. Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem er uns nicht verraten hat, wie die Notschaltung aktiviert wird.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, erwiderte Teela.
»Er wollte sichergehen, daß er einem wütenden Kzin davonfliegen konnte. Na ja, egal. Was hast du nicht verstanden?«
»Fast alles. Ihr habt euch immer wieder gefragt, warum ich herkommen wollte. Louis, ich wollte nicht herkommen. Ich bin mit dir gekommen, weil ich dich liebe!«
Louis nickte. Sicher. Wenn Teela zur Ringwelt mußte, dann brauchte sie ein Motiv, um mit Louis Wu mitzukommen. Es war nicht gerade schmeichelhaft.
Sie liebte ihn um ihres eigenen Glücks willen. Einst hatte er geglaubt, sie würde ihn um seiner selbst willen lieben.
»Ich fliege über eine Stadt«, sagte Teela unvermittelt. »Ich erkenne ein paar Lichter. Nicht viele. Es muß eine große, dauerhafte Energiequelle gegeben haben. Der-zu-den-Tieren-spricht kann sie wahrscheinlich auf seiner Karte sehen.«
»Ist sie einen Blick wert?«
»Ich habe dir schon gesagt, es gibt Lichter! Vielleicht…« Ihre Stimme brach ohne jede Warnung ab.
Louis starrte auf den leeren Platz über seiner Konsole. Dann rief er: »Nessus!«
Keine Reaktion.
Louis aktivierte die Sirene.
Nessus kam hervor wie eine Familie von Schlangen aus einem brennenden Zoo. Unter anderen Umständen hätte Louis laut gelacht: Zwei sich hektisch entwirrende Hälse, die anschließend wie zwei Fragezeichen über der Konsole schwebten. »Was ist los, Louis?« bellte der Puppenspieler.
Der-zu-den-Tieren-spricht hatte augenblicklich auf Louis’ Notruf reagiert. Anscheinend hatte er auf Anweisungen und Aufklärung gewartet.
»Irgend etwas ist mit Teela passiert.«
»Gut«, sagte Nessus. Und zog die Köpfe wieder ein.
Wütend schaltete Louis die Sirene ab, wartete einen Augenblick, und schaltete sie erneut ein. Nessus reagierte wie zuvor. Diesmal redete Louis zuerst.
»Wenn wir nicht herausfinden, was mit Teela passiert ist, werde ich Sie töten«, sagte er.
»Ich habe den Tasp«, erwiderte Nessus. »Er funktioniert bei Kzinti und Menschen gleichermaßen. Sie haben seine Auswirkungen bei Der-zu-den-Tieren-spricht gesehen.«
»Glauben Sie, er würde mich davon abhalten, Sie zu töten?«
»Ja, Louis. Das glaube ich.«
»Um was«, fragte Louis gefährlich leise, »wollen wir wetten?«
Der Puppenspieler dachte nach. »Teela zu retten ist wohl kaum so gefährlich wie diese Wette. Ich hatte vergessen, daß sie Ihre Gefährtin ist.« Er sah nach unten. »Sie erscheint nicht mehr auf meinem Positionsanzeiger. Ich kann nicht sagen, wo sie sich befindet.«
»Bedeutet das, daß ihr Flugrad beschädigt wurde?«
»Ja, und zwar schwer. Der Sender befindet sich neben einem der Thrusteraggregate. Vielleicht ist sie auf eine andere funktionierende Maschine gestoßen, ähnlich der, die unsere Kommunikatorscheiben zerstört hat.«
»Hm. Aber Sie wissen, wo sie war, als die Kommunikation zusammenbrach?«
»Zehn Grad spinwärts von Backbord. Ich weiß nicht, wie weit sie entfernt war, doch das können wir aus der Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Maschine errechnen.«
Sie flogen in einer weitläufigen Kurve nach der handgezeichneten Karte von Der-zu-den-Tieren-spricht. Zwei Stunden lang suchten sie vergeblich nach den Lichtern der Stadt, und Louis fragte sich allmählich, ob sie sich verflogen hatten.
Dreitausendfünfhundert Meilen hinter dem Hurrikan, den sie Sturmauge getauft hatten, endete die Linie auf der Karte von Derzu-den-Tieren-spricht an einer Küste mit einer Hafenstadt. Hinter der Küste befand sich eine Bucht von der Größe des atlantischen Ozeans. Weiter konnte Teela nicht gekommen sein. Die Hafenstadt war ihre letzte Chance…
Unvermittelt tauchten hinter einer täuschend sanft ansteigenden Hügelkette Lichter auf.
»Hochziehen!« flüsterte Louis aufgeregt, ohne zu wissen, warum er flüsterte. Der-zu-den-Tieren-spricht hatte die Flugräder allerdings schon mitten in der Luft angehalten.
Sie schwebten auf der Stelle und studierten das Terrain und die Lichter.
Das Terrain: Stadt. Überall Stadt. Unter ihnen, schattig im blauen Licht des Bogens, standen Häuser wie Bienenkörbe mit runden Fenstern, durch Gassen voneinander getrennt, die zu schmal waren, um den Namen Straße zu verdienen. Weiter voraus: Mehr vom Gleichen. Noch weiter voraus: Höhere, größere Bauwerke, bis hin zu Wolkenkratzern und Schwebebauten.
»Sie hatten unterschiedliche Baustile«, flüsterte Louis. »Die Architektur… sie ist anders als in Zignamucklickklick. Ein anderer Stil…«
»Wolkenkratzer«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Und das, obwohl sie so unendlich viel Raum hatten auf der Ringwelt?«
»Um zu beweisen, daß sie es konnten. Nein, das wäre dämlich«, sagte Louis. »Es würde keinen Sinn machen, wenn sie so etwas wie die Ringwelt bauen konnten.«
»Vielleicht kamen die hohen Bauwerke später, während des Niedergangs der Zivilisation?«
Die Lichter: strahlend weiße Fensterreihen, ein Dutzend einzelner Türme, die von der Spitze bis zur Basis in Licht getaucht waren. Sie standen zusammengeballt im Stadtzentrum, wie Louis es bei sich nannte, weil sich alle sechs Schwebebauten ebenfalls dort befanden.
Und noch etwas: Ein kleiner Vorort spinwärts vom Stadtzentrum leuchtete in düsterem Orange.
Im ersten Stock eines der Bienenkorbhäuser saßen sie zu dritt um die Karte von Der-zu-den-Tieren-spricht.
Der Kzin hatte darauf bestanden, die Flugräder mit hinein zu nehmen. »Sicherheitshalber.« Das Licht stammte aus den Scheinwerfern des Flugrads von Der-zu-den-Tieren-spricht, weich zurückgeworfen von einer gekrümmten Wand. Ein Tisch mit Ausformungen für Teller und Unterteller war zusammengebrochen und zu Staub zerfallen, als Louis darübergewischt hatte. Auf dem Boden lag zollhoch Staub. Die Farbe an der gekrümmten Wand war abgebröckelt und lag entlang der Basis als himmelblauer Staub auf dem Boden.
Louis spürte, wie das Alter der Stadt ihn bedrückte.
»Als die Bänder aus dem Kartenraum angefertigt wurden, war das hier eine der größten Städte auf der gesamten Ringwelt«, sagte Derzu-den-Tieren-spricht. Er fuhr mit der gekrümmten Klaue über die Karte. »Ursprünglich entstand die Stadt auf dem Reißbrett. Ein Halbrund mit der flachen Seite zur See. Das Schloß namens Himmel muß erst viel später erbaut worden sein, als die Stadt sich bereits weit entlang der Küste ausgedehnt hatte.«
»Schade, daß Sie keinen Stadtplan angefertigt haben«, sagte Louis. Auf der handgezeichneten Karte des Kzin war nichts als ein schraffierter Halbkreis zu sehen.
Der-zu-den-Tieren-spricht hob die Karte auf und faltete sie zusammen. »So eine verlassene Metropole birgt sicher viele Geheimnisse. Wir müssen vorsichtig sein. Falls die Zivilisation sich auf dieser Welt — auf diesem Artefakten — überhaupt je wieder erholen kann, dann sicher dort, wo Hinweise auf die verlorenen Technologien zu finden sind.«