Mitten in diesem Labyrinth aus schwebendem Schrott hing kopfüber das Flugrad des Kzin. Der kahle Kopf und der orangefarbene Streifen Fell über dem Gesicht mit der schwarzen Augenmaske ragte zwischen den geformten Ballons hervor. Der Kzin hatte einen seiner mächtigen klauenbewehrten Arme hervorgestreckt, um die Seite seiner Maschine zu betasten.
»Gut«, sagte Nessus. »Licht. Ich wollte genau das vorschlagen. Verstehen Sie die Implikationen? Jeder einzelne elektrische oder elektromagnetische Schaltkreis Ihrer Maschinen ist ausgebrannt, vorausgesetzt, er arbeitete in dem Augenblick, in dem Sie angegriffen wurden. Sie wurden ein zweites Mal angegriffen, Sprecher-zuden-Tieren, und wahrscheinlich auch Sie, Louis, als Sie in das Gebäude gezogen wurden.«
»Ein Gebäude, das ziemlich eindeutig ein Gefängnis darstellt«, stieß Louis hervor. Sein Kopf fühlte sich allmählich an wie ein Wasserballon, der zu voll wurde. Louis hatte Schwierigkeiten beim Reden. Er konnte nicht die andern allein alle Arbeit machen lassen, selbst wenn diese Arbeit lediglich darin bestand, kopfüber in einem elektromagnetischen Feld hängend über Alientechnologie zu spekulieren.
»Und wenn es tatsächlich ein Gefängnis darstellt«, fuhr er fort, »wieso gibt es dann nicht einen dritten Strahler hier drin? Für den Fall, daß wir noch funktionierende Waffen besitzen. Und die besitzen wir.«
»Ganz ohne Zweifel gibt es einen dritten Strahler«, sagte Nessus. »Allerdings beweisen Ihre funktionierenden Scheinwerfer, daß der dritte Strahler nicht mehr arbeitet. Die Waffen sind offensichtlich Automatiken; ansonsten hätten Sie inzwischen Wachen gesehen. Der-zu-den-Tieren-spricht kann seinen Slaver-Desintegrator ohne Gefahr einsetzen.«
»Das höre ich gern«, sagte Louis. »Allerdings habe ich mich ein wenig umgesehen…«
Louis und Der-zu-den-Tieren-spricht schwebten in einem wahren Sargassosee, nur in der Luft. Von den drei archaischen Jetpacks war eines noch besetzt. Das Skelett war klein, aber humanoid. Nicht eine Spur von Haut war auf den weißen Knochen zurückgeblieben. Die Kleidung war teuer gewesen. Fetzen davon existierten noch: Heller, farbenprächtiger Stoff, einschließlich einem verwitterten gelben Umhang, der vom Unterkiefer des Skeletts gerade nach unten hing.
Die anderen Flugapparate waren leer. Die Knochen mußten irgendwo geblieben sein… Louis legte mit einer Kraftanstrengung den Kopf in den Nacken, weiter… weiter…
Der Boden des Polizeigebäudes war ein breiter konischer Schacht. Ringsum entlang den Wänden verliefen konzentrische Kreise von Zellen. Die Türen waren Falltüren über den Eingängen. Radiale Treppen verliefen bis zum Zentrum des Schachts. In diesem Schacht und ringsherum lagen die Knochen, nach denen Louis suchte. Sie schimmerten ihm schwach von weit unten entgegen.
Kein Wunder, daß der Mann in dem ruinierten Jetpack Angst gehabt hatte, sich loszuschnallen. Die anderen, die in Fahrzeugen und Jetpacks hier oben gefangen gewesen waren, hatten den langen Sturz in den Tod einem qualvollen Verdursten vorgezogen.
»Ich wüßte nicht, worauf Sprecher-zu-den-Tieren seinen SlaverDesintegrator richten sollte«, sagte Louis.
»Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen«, sagte der Kzin.
»Wenn er ein Loch in die Wand schießt, hilft uns das überhaupt nichts. Genausowenig wie in die Decke, die wir ebenfalls nicht erreichen können. Falls er den Generator trifft, der uns hier festhält, stürzen wir neunzig Fuß in die Tiefe. Wenn er ihn nicht trifft, bleiben wir hier hängen, bis wir verhungert oder verdurstet sind. Oder bis wir uns losschnallen und selbst erlösen.«
»Ja«, sagte Nessus.
»Ja? Das ist alles? Einfach nur ja?«
»Ich brauche mehr Informationen. Würden Sie mir bitte beschreiben, was Sie um sich herum sehen? Ich sehe nur einen Teil von einer gekrümmten Wand.«
Sie wechselten sich in der Beschreibung des konischen Zellenblocks ab, jedenfalls von dem, was sie im gedämpften Licht des Scheinwerferkegels sehen konnten. Der-zu-den-Tieren-spricht schaltete seinen eigenen Scheinwerfer ebenfalls ein, und das half ein wenig.
Als Louis alles berichtet hatte, hing er noch immer kopfüber auf seinem Flugrad fest, ohne Nahrung und Wasser und über einem tödlichen Abgrund.
Louis spürte, wie allmählich Panik in ihm aufzusteigen drohte. Noch hatte er sie unter Kontrolle, doch sie wurde stärker. Bald würde sie durchbrechen.
Und er überlegte, ob Nessus sie im Stich lassen würde.
Es war nicht gut. Es war eine Frage mit einer nur zu offensichtlichen Antwort. Der Puppenspieler hatte Dutzende von Gründen, sie allein zurückzulassen, und keinen einzigen, um ihnen zu Hilfe zu kommen.
Außer, er hoffte noch immer, zivilisierte Eingeborene in dieser Stadt zu finden.
»Die schwebenden Fahrzeuge und das Alter der Skelette deuten darauf hin, daß sich niemand um die Anlagen des Zellenblocks kümmert«, spekulierte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Das Feld, das uns eingefangen hat, scheint ein paar Fahrzeuge eingefangen zu haben, nachdem die Stadt verlassen worden ist; danach gab es keine Flugmaschinen mehr auf der Ringwelt. Also arbeitet die Automatik weiter. Nichts hat in all den Jahren ihre Energiereserven vermindert.«
»Vielleicht ist das so«, sagte Nessus. »Aber irgend jemand überwacht unsere Unterhaltung.«
Louis war plötzlich hellwach. Es sah, wie der Kzin die Ohren aufstellte.
»Es erfordert außergewöhnliche Technologien, einen fokussierten Strahl abzuhören. Da taucht die Frage auf, ob der Lauscher über einen Translator verfügt.«
»Was können Sie über ihn sagen?«
»Nur die Richtung, in der er sitzt. Der Ursprung der Störung liegt unmittelbar in Ihrer Nähe. Vielleicht befindet sich der Lauscher irgendwo über Ihnen.«
Reflexhaft versuchte Louis nach oben zu sehen. Keine Chance. Er hing mit dem Kopf nach unten zwischen zwei aufgeblasenen Ballons und mit dem Flugrad zwischen sich und der Decke.
»Wir haben die Ringweltzivilisation gefunden«, sagte er laut.
»Vielleicht. Allerdings glaube ich, daß ein zivilisiertes Wesen die dritte Waffe wieder instandgesetzt hätte. Aber die Hauptsache… warten Sie, lassen Sie mich überlegen.«
Der Puppenspieler fing an, Beethoven zu flöten. Oder die Beatles. Oder sonst irgend etwas, das klassisch klang. Soweit Louis es beurteilen konnte, erfand der Puppenspieler die Töne, während er flötete.
Und als er sagte, er wolle überlegen, schien er das wortwörtlich gemeint zu haben. Das Flöten schien kein Ende zu nehmen. Louis wurde allmählich durstig. Und hungrig. Sein Kopf hämmerte.
Er hatte die Hoffnung schon mehrfach aufgegeben, als der Puppenspieler sich wieder meldete. »Ich hätte es vorgezogen, den Slaver-Desintegrator einzusetzen, doch das können wir nicht. Louis, Sie werden jetzt gebraucht. Sie stammen von Primaten ab, folglich sind Sie ein besserer Kletterer als Der-zu-den-Tieren-spricht. Sie werden den Kzin sichern…«
»Klettern?«
»Wenn ich fertig bin, können Sie Ihre Fragen stellen, Louis. Nehmen Sie Ihren Flashlaser. Punktieren Sie damit den vorderen Ballon. Sie klammern sich an das Gewebe, sobald er Sie freigibt und Sie zu fallen drohen. Sie klettern daran nach oben und auf Ihr Flugrad. Anschließend…«
»Sie haben den Verstand verloren!«
»Lassen Sie mich bitte ausreden, Louis. Der Zweck all dieser Aktivitäten liegt darin, die dritte Waffe zu vernichten. Wahrscheinlich gibt es sogar zwei davon. Eine befindet sich über der Tür, durch die Sie hineingekommen sind, oder vielleicht auch darunter. Die andere kann überall sein. Der einzige Hinweis ist, daß sie höchstwahrscheinlich aussieht wie die erste.«
»Sicher. Vielleicht aber auch nicht. Na ja, egal. Was glauben Sie, wie ich schnell genug das Gewebe eines explodierenden Ballons zu packen bekommen soll, um… nein, das geht nicht. Vergessen Sie’s.«
»Louis, wie soll ich zu Ihnen kommen, wenn Sie die Waffen nicht außer Betrieb setzen?«