Louis grinste. »Oder einem Tau. Binden Sie eine Leine an Ihr Flugrad und schleppen Sie es hinter sich her.«
»Das wird nicht nötig sein. Das Flugrad wird von einem reaktionslosen Thruster angetrieben. Wir können es im Innern des Gebäudes lassen.«
»Sie haben also bereits daran gedacht, was? Aber dieser Thruster ist schrecklich stark. Wenn das Flugrad sich hier drin losreißt…«
»Ja…« Der Puppenspieler drehte sich zu Prill um und sprach langsam und lange in der Sprache der Ringweltgötter mit ihr. Schließlich wandte er sich wieder an Louis. »Es gibt einen Vorrat an Isolierschaumstoff. Wir können das Flugrad darin einpacken und nur die Kontrollen frei lassen.«
»Finden Sie das nicht ein wenig übertrieben?«
»Louis, wenn das Flugrad sich losreißt, könnte ich verletzt werden!«
»Also… vielleicht. Können Sie das Gebäude landen, wenn es sein muß?«
»Ja. Ich kann die Höhe kontrollieren.«
»Dann benötigen wir auch kein Erkundungsfahrzeug. In Ordnung, wir machen es so.«
Louis ruhte sich aus, ohne zu schlafen. Er lag auf dem Rücken in einem großen ovalen Bett. Seine Augen standen offen. Er starrte durch das Bullaugenfenster in der Decke.
Ein Schimmer von Sonnenkorona zeigte sich am Rand der weichenden Schattenblende. Die Morgendämmerung war nicht mehr weit, doch der Bogen leuchtete noch immer strahlend blau in einem schwarzen Himmel.
»Ich muß den Verstand verloren haben«, sagte Louis zu sich selbst.
Und: »Was sonst können wir tun?«
Das Schlafzimmer hatte wahrscheinlich zur Suite des Gouverneurs gehört. Jetzt bildete es den Kontrollraum. Zusammen mit Nessus hatte Louis das Flugrad in das Stehklo gezwängt und die Zwischenräume mit Schaumstoff ausgegossen. Anschließend hatte er — mit Halrloprillalars Hilfe — Strom durch das Plastik geschickt und es so gehärtet. Das Stehklo hatte genau die richtige Größe für das Flugrad.
Das Bett roch nach Alter. Es knarrte, wenn Louis sich bewegte.
»Die Faust Gottes«, sagte Louis Wu in die Dunkelheit. »Ich habe sie gesehen. Tausend Meilen hoch. Es ergibt einfach keinen Sinn. Warum hätten sie einen so hohen Berg bauen sollen? Nicht, wenn…« Er verstummte.
Und richtete sich plötzlich kerzengerade in seinem Bett auf. Und rief: »Schattenblendendraht!«
Ein Schatten fiel in das Schlafzimmer.
Louis erstarrte. Der Eingang lag im Dunkel. Nach den geschmeidigen Bewegungen und der Form der Schatten war es eine nackte Frau, die auf ihn zukam.
Litt er jetzt an Halluzinationen? War das der Geist von Teela Brown? Die Gestalt war bei ihm, bevor er sich zu einem Entschluß durchringen konnte. Voller unglaublichem Selbstvertrauen setzte sie sich neben ihm auf das Bett. Sie streckte die Hand aus, berührte sein Gesicht und strich mit den Fingerspitzen über seine Wangen.
Sie war fast kahl. Ihr Haar war dunkel und voll und lang, und es federte, wenn sie sich bewegte, doch es entsprang einem lediglich zollbreiten Kranz rings um ihre Schädelbasis. In der Dunkelheit verschwanden ihre Gesichtszüge fast völlig. Ihr Körper allerdings war wundervoll. Zum ersten Mal sah Louis ihre Figur. Sie war schlank und muskulös wie eine professionelle Tänzerin. Ihre Brüste waren hoch angesetzt und schwer.
Wenn nur ihr Gesicht zum Körper gepaßt hätte.
»Verschwinde«, sagte Louis, ohne grob zu werden. Er packte sie am Handgelenk und unterbrach sie bei ihrem Tun. Es hatte sich angefühlt wie die Gesichtsmassage eines Barbiers, unendlich entspannend. Louis stand auf, zog sie freundlich auf die Beine und nahm sie bei den Schultern. Wenn er sie jetzt einfach umdrehte und ihr einen Klaps auf den Hintern gab…? Sie strich mit den Fingerspitzen über die Seiten seines Halses. Jetzt benutzte sie beide Hände. Sie berührte seine Brust, hier und dort, und plötzlich war Louis Wu blind vor Verlangen. Seine Hände umschlossen ihre Schultern wie Schraubzwingen.
Sie ließ ihn los und wartete — ohne einen Versuch zu machen, ihm beim Ausziehen seines Overalls zu helfen. Als er mehr Haut zeigte, streichelte sie ihn da und dort, und dort, nicht immer an den Stellen, wo Nervenenden sich ballten. Und jedesmal war es Louis, als hätte sie direkt das Lustzentrum seines Gehirns stimuliert.
Er loderte vor Lust. Hätte sie ihn jetzt weggestoßen, er würde sie mit Gewalt genommen haben. Er mußte sie haben…
… irgendein berechnender Teil seines Verstandes wußte, daß sie ihn genauso schnell wieder abkühlen konnte, wie sie ihn angeheizt hatte. Er fühlte sich wie ein junger Satyr, doch er spürte verschwommen, daß er zugleich auch nur eine wächserne Puppe war.
Für den Augenblick gab es nichts, was ihm mehr egal gewesen wäre.
Halrloprillalars Gesicht war noch immer vollkommen ausdruckslos.
Sie brachte ihn an den Rand eines Orgasmus und hielt ihn dort, hielt ihn, hielt ihn… Als schließlich der Augenblick kam, war es, als würde Louis vom Blitz getroffen. Der Blitz hörte und hörte nicht auf, eine einzige, flammende Entladung der Ekstase.
Irgendwann war es vorbei. Louis merkte kaum, daß sie im Begriff stand zu gehen. Sie schien genau zu wissen, wie gründlich sie ihn geschafft hatte. Er schlief, bevor sie an der Tür war.
Und wachte auf mit dem Gedanken: Warum hat sie das getan?
Zu tanj analytisch, beantwortete er sich selbst die Frage. Sie ist einsam. Sie muß schon sehr lange hier sein. Sie ist eine Meisterin ihrer Kunst, und sie hat lange keine Gelegenheit gehabt, diese Kunst auszuüben…
Kunst. Sie mußte mehr über Anatomie wissen als viele Medizinprofessoren. Ein Doktortitel in Prostitution? Es war mehr am ältesten Gewerbe der Menschheit, als im ersten Augenschein ersichtlich wurde. Louis Wu erkannte einen Experten auf seinem Gebiet, wenn er ihn sah. Diese Frau war eine Expertin.
Berühre diese Nerven in der richtigen Reihenfolge, und das Subjekt reagiert so und so. Das richtige Wissen kann einen Mann in eine Marionette verwandeln…
… eine Marionette von Teela Browns Glück…
Er hatte es fast. Er war so dicht dran, daß die Antwort, als sie schließlich da war, keine Überraschung mehr bedeutete.
Nessus und Halrloprillalar kamen rückwärts aus dem Kühlraum. Hinter sich zogen sie den verhüllten Kadaver eines flügellosen Vogels her, der größer war als ein Mensch. Nessus hatte ein Stück Tuch benutzt, damit er das tote Fleisch nicht mit dem Mund berühren mußte.
Louis übernahm die Last des Puppenspielers. Zusammen mit Prill zog er, mit beiden Händen, genau wie sie. Er erwiderte ihr grüßendes Nicken und fragte Nessus: »Wie alt ist sie?«
Nessus zeigte keine Überraschung. »Ich weiß es nicht, Louis.«
»Sie kam letzte Nacht zu mir ins Zimmer.« Das würde nicht reichen. Ein Alien konnte nichts mit dieser Aussage anfangen. »Sie wissen, daß wir uns nicht nur zur Reproduktion paaren, sondern auch zur Entspannung?«