Sie trennten sich, um zu Abend zu essen. Nessus aß allein, indem er seine Küchenautomatik beanspruchte. Louis und Prill aßen gegrilltes Fleisch, und der Kzin zog sich ebenfalls zurück, um seine Ration roh zu essen.
Anschließend ging der Sprachunterricht weiter. Louis haßte es. Die anderen waren ihm so weit voraus, daß er sich vorkam wie ein Kretin.
»Louis, wir müssen die Sprache lernen! Unsere Reisegeschwindigkeit ist gering, und wir benötigen Nahrung! Wir werden immer wieder mit den Eingeborenen handeln müssen!«
»Ich weiß. Ich mochte Fremdsprachen noch nie.«
Es wurde dunkel. Selbst in dieser Entfernung vom Sturmauge war die Wolkendecke lückenlos. Die Nacht war schwarz wie das Innere eines Drachenschlunds. Louis verlangte nach einer Pause im Unterricht. Er war müde und gereizt und völlig verunsichert. Die anderen ließen ihn ausruhen.
In zehn Stunden würden sie das Sturmauge passieren.
Er warf sich unruhig im Bett hin und her und fand keinen richtigen Schlaf, als Prill zu ihm zurückkehrte. Ihre Hände streichelten ihn lasziv, und er wollte sie zu sich ziehen.
Sie wich zurück. Dann redete sie in ihrer eigenen Sprache, allerdings stark vereinfacht, damit Louis sie verstehen konnte.
»Du Anführer?«
Verschlafen dachte Louis nach. »Ja«, sagte er schließlich, weil die tatsächliche Situation zu komplex war.
»Machen, daß Zweiköpfiger mir geben Maschine.«
»Was?« Louis suchte krampfhaft nach Worten. »Geben was?«
»Maschine, die machen Halrloprillalar glücklich. Halrloprillalar wollen. Du nehmen.«
Louis lachte auf. Er meinte zu wissen, auf was sie hinauswollte.
»Du wollen Halrloprillalar? Du nehmen Maschine«, sagte sie wütend.
Der Puppenspieler hatte etwas, das sie wollte. Sie hatte keine Macht über ihn, weil er kein Mensch war. Louis Wu war der einzige Mensch in der Gruppe. Ihre Macht würde ihn zu ihrem Diener machen. Es hatte immer funktioniert; war sie nicht eine Göttin?
Vielleicht hatte Louis’ Behaarung sie in die Irre geführt. Vielleicht hatte sie angenommen, daß Louis zu einer der behaarten unteren Kasten gehörte, vielleicht ein halber Baumeister wegen seines kahlen Gesichts, doch auf keinen Fall mehr. Folglich war er nach dem Fall der Städte geboren worden und kannte die Lebensdroge nicht. Er war also noch jung und unerfahren.
»Die Idee war gar nicht schlecht«, sagte Louis auf Interspeak. Prill ballte wütend die Fäuste, als sie seinen Spott bemerkte. »Ein dreißigjähriger Mann wäre Wachs in deinen Händen. Aber ich bin keine Dreißig.« Er lachte erneut.
»Die Maschine. Wo Zweiköpfiger haben?« In der Dunkelheit beugte sie sich über ihn, ein verführerischer, wunderschöner Schatten. Ihr nackter Schädel glänzte schwach, und das schwarze Haar fiel wallend über die Schultern. Ihr Duft benebelte Louis.
Er fand die Worte, um zu sagen: »Unter Haut, an Knochen festgemacht. Ein Kopf.«
Prill gab ein knurrendes Geräusch von sich. Sie schien verstanden zu haben; das Gerät war chirurgisch implantiert. Sie wandte sich ab und ging.
Louis überlegte kurz, ob er ihr folgen sollte. Er wollte sie mehr, als er sich selbst einzugestehen bereit war. Doch sie würde Macht über ihn besitzen, wenn er das zuließ, und ihre Motive deckten sich nicht mit denen von Louis Wu.
Das Rauschen des Windes wurde nach und nach stärker. Louis Schlaf wurde leichter… und ging in einen erotischen Traum über.
Er schlug die Augen auf.
Prill kniete rittlings über ihm wie ein Sukkubus. Ihre Finger streichelten sanft über seine Brust und seinen Unterleib. Ihre Lippen bewegten sich rhythmisch, und Louis bewegte sich mit ihnen. Sie spielte auf ihm wie auf einem Musikinstrument.
»Wenn ich mit dir fertig bin, gehörst du mir«, summte sie leise. In ihrer Stimme lag Erregung, doch es war nicht die Erregung einer Frau, die mit einem Mann schlief. Es war die Erregung, die jemand verspürt, der Macht über einen anderen ausübt.
Ihre Berührung bereitete Louis überirdische Freuden. Sie kannte ein schreckliches, uraltes Geheimnis: daß jede Frau mit einem Tasp geboren wird, und daß seine Macht grenzenlos ist, wenn sie lernt, ihn richtig einzusetzen. Halrloprillalar würde ihn einsetzen, ihn wieder wegnehmen, erneut einsetzen, erneut wegnehmen… bis Louis darum betteln würde, ihr dienen zu dürfen.
Irgend etwas veränderte sich in ihr. Ihr Gesicht konnte es nicht zum Ausdruck bringen, doch Louis merkte, wie Halrloprillalars Erregung stieg. Mit einem Mal spürte auch sie Lust. Sie bewegte sich anders.
Sie kamen gemeinsam. Eine Woge der unglaublichsten Wonne rollte über Louis hinweg.
Sie blieb die ganze Nacht über bei ihm. Hin und wieder wachten sie auf und liebten sich, um anschließend weiterzuschlafen. Wenn Prill zu diesen Zeiten Enttäuschung spürte, behielt sie es für sich. Vielleicht lag es auch daran, daß Louis es nicht sah. Er wußte nur, daß sie nicht mehr länger mit ihm spielte wie mit einem Instrument. Sie spielten ein Duett.
Irgend etwas war mit ihr geschehen. Und Louis hatte auch schon einen Verdacht, was das gewesen sein mochte.
Der Morgen dämmerte grau und stürmisch. Wind pfiff um das alte Bauwerk. Regen klatschte gegen das große Panoramafenster der Brücke und wurde vom Wind durch zerbrochene Fenster weiter oben gepeitscht. Die Unwahrscheinlich befand sich sehr nah am Sturmauge. Louis zog sich an und verließ die Brücke. Er traf Nessus draußen im Korridor.
»Sie!« brüllte er.
»Ja, Louis?« erwiderte der Puppenspieler.
»Was haben Sie letzte nacht mit Prill angestellt?«
»Zeigen Sie ruhig ein wenig Dankbarkeit, Louis. Sie hat versucht, Macht über Sie zu gewinnen. Sie wollte Sie konditionieren, einen gefügigen Diener aus Ihnen machen. Ich habe es selbst gehört.«
»Sie haben den Tasp gegen sie verwendet!«
»Ich gab ihr drei Sekunden auf halber Energie, während Sie beide in reproduktive Aktivitäten verwickelt waren. Jetzt ist sie konditioniert, Louis.«
»Sie Monstrum! Sie egoistisches Monstrum!«
»Kommen Sie nicht näher, Louis!«
»Prill ist ein Mensch mit einem freien Willen!«
»Was ist mit Ihrem eigenen freien Willen?«
»Ich war nicht in Gefahr. Sie kann mich nicht kontrollieren!«
»Macht Ihnen sonst noch etwas Sorgen? Louis, Sie beide sind nicht das erste menschliche Paar, dem ich bei reproduktiven Aktivitäten zugesehen habe. Wir hatten das Gefühl, wir müßten alles über Ihre Spezies in Erfahrung bringen. Kommen Sie nicht näher, Louis!«
»Sie hatten kein Recht dazu!« Louis hatte nicht vorgehabt, den Puppenspieler anzugreifen. Er ballte wütend die Fäuste, doch er beabsichtigte nicht, sie zu benutzen. Zornig trat er einen weiteren Schritt vor…
… und befand sich in allerhöchster Ekstase.
Inmitten der reinsten Glückseligkeit, die er jemals verspürt hatte, wußte Louis, daß der Puppenspieler den Tasp gegen ihn einsetzte. Ohne einen einzigen Gedanken an die Konsequenzen trat Louis aus.
Er nahm alle Kraft zusammen, die der Tasp ihm gelassen hatte. Es war nicht viel, doch er setzte sie ein, und er trat den Puppenspieler in den Larynx unterhalb des linken Kiefers.
Die Konsequenzen waren schrecklich. Nessus sagte: »Glup!« und stolperte rückwärts, und er schaltete den Tasp ab.
Er schaltete den Tasp ab.
Sämtliche Sorgen und Ängste der Menschheit brachen gleichzeitig über Louis Wu herein. Er ließ die Schultern hängen und wandte sich von Nessus ab. Er wollte weinen, aber mehr noch als das wollte er, daß der Puppenspieler sein Gesicht nicht sehen konnte. Louis ging.