… doch die wirkliche Marionette bist du selbst. Du wirst für den Rest deines Lebens an den Fäden deines Glücks tanzen. Finagle weiß, ob du überhaupt einen freien Willen besitzt. Wenn, dann wirst du sicherlich Schwierigkeiten haben, ihn durchzusetzen.«
Teela war leichenblaß geworden. Ihre Schultern waren steif und gerade. Sie weinte nicht, doch es kostete sie sichtliche Selbstbeherrschung. Früher hatte sie diese Selbstbeherrschung nicht besessen.
Sucher kniete in der Ecke und beobachtete Louis und Teela, während sein Daumen gedankenverloren über die Schwertklinge strich. Es konnte ihm kaum entgangen sein, daß Teela unglücklich war wegen dem, was Louis ihr zu sagen hatte. Er schien noch immer zu glauben, daß sie Louis Wu gehörte.
Louis wandte sich zu dem Puppenspieler um. Er war nicht überrascht zu sehen, daß Nessus sich zu einer Kugel zusammengerollt, die Köpfe unter den Bauch gesteckt und sich aus dem Universum zurückgezogen hatte.
Louis packte den Puppenspieler am Knöchel seines Hinterbeins. Er stellte fest, daß er den Puppenspieler mit ein wenig Anstrengung auf den Rücken drehen konnte. Nessus wog kaum mehr als Louis Wu.
Und es gefiel ihm überhaupt nicht. Der Knöchel zitterte in Louis’ Hand.
»Sie sind für all das verantwortlich«, sagte Louis zu ihm. »Sie mit Ihrer monströsen Selbstgefälligkeit! Ihre Selbstgefälligkeit macht mir mindestens genausoviel zu schaffen wie der gewaltige Fehler, den Ihre Rasse begangen hat. Wie kann jemand so mächtig und entschlossen und gleichzeitig so unglaublich dumm sein kann, ist mir ein absolutes Rätsel. Kapieren Sie endlich, daß alles, was uns zugestoßen ist, nichts weiter ist als ein Nebeneffekt von Teela Browns Glück?«
Die Kugel, die Nessus war, zog sich womöglich noch enger zusammen. Sucher beobachtete den Puppenspieler fasziniert.
»Wenn Sie wieder zu Hause bei Ihrer Weltenflotte sind, dann erzählen Sie Ihren Hintersten, daß es gefährlich ist, sich in menschliche Paarungsgewohnheiten einzumischen. Erzählen Sie ihnen, daß genügend Teela Browns sämtliche Gesetze der Wahrscheinlichkeit umstoßen könnten. Und auf atomarer Ebene sind selbst die Naturgesetze nichts weiter als Wahrscheinlichkeiten. Erzählen Sie ihnen, das Universum sei ein zu kompliziertes Spielzeug für ein intelligentes vorsichtiges Wesen.
Erzählen Sie ihren Hintersten das, wenn ich Sie wieder nach Hause gebracht habe«, sagte Louis Wu. »Und jetzt rollen Sie sich gefälligst wieder auseinander! Augenblicklich! Ich brauche den Schattenblendendraht, und Sie werden ihn für mich suchen! Wir sind fast am Sturmauge vorbei. Kommen Sie heraus, Nessus…!«
Der Puppenspieler entrollte sich und stand auf. »Sie beschämen mich, Louis Wu…«, setzte er an zu protestieren.
»Das wagen Sie hier vor allen zu sagen?« Der Puppenspieler verstummte. Wortlos drehte er sich um und beobachtete durch das Panoramafenster den Sturm.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
DAS GÖTTERSPIEL
Die Eingeborenen, die den Himmel anbeteten, sahen sich mit einem Mal mit zwei schwebenden Gebäuden konfrontiert.
Wie bereits zuvor wimmelte der Altarplatz auch diesmal wieder vor Gesichtern wie eine Wiese voll goldener Löwenzahnblüten. »Wir sind wieder einmal an einem heiligen Tag angekommen«, mutmaßte Louis. Er hielt nach dem kahlrasierten Priester Ausschau, doch er konnte ihn nirgends entdecken.
Nessus blickte sehnsüchtig zu dem Schloß namens Himmel hinüber. Die Brücke der Unwahrscheinlich befand sich auf gleicher Höhe wie der Kartenraum des Schlosses. »Damals hatte ich keine Gelegenheit, mir das anzusehen. Jetzt könnte ich hinüber«, klagte der Puppenspieler.
»Wir nehmen den Desintegrator und schießen ein Loch hinein«, schlug Der-zu-den-Tieren-spricht vor. »Dann können wir Sie an einem Seil oder über eine Leiter hinbringen.«
»Jetzt bin ich zum zweiten Mal hier und kann die Gelegenheit nicht wahrnehmen.«
»Es ist nicht so gefährlich wie viele andere Dinge, die Sie zuvor hier unternommen haben.«
»Aber wenn ich Risiken eingegangen bin, dann deshalb, weil ich nach Antworten suchte. Jetzt weiß ich alles über die Ringwelt, was mein Volk wissen muß. Jetzt riskiere ich mein Leben nur noch, um meinem Volk dieses Wissen zu bringen. Louis, dort ist Ihr Schattenblendendraht.«
Louis nickte ernst.
Die gesamte spinwärts gelegene Region der Stadt war von etwas bedeckt, das auf den ersten Blick aussah wie eine schwarze Rauchwolke. Nach der Art zu urteilen, wie er sich auf die Umrisse der Häuser gelegt hatte, mußte der Draht sowohl dicht als auch schwer sein. Ein einzelner Obelisk mit Fenstern darin ragte durch die Masse. Der Rest war zugedeckt.
Es mußte der Schattenblendendraht sein. Aber es war entsetzlich viel davon!
»Wie sollen wir bloß diese Masse Draht transportieren?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Louis, weil ihm nichts anderes einfiel. »Wir landen und werfen erstmal einen Blick auf die Sache.«
Sie landeten das halb zerstörte ehemalige Polizeigebäude spinwärts vom Platz mit dem Altar.
Louis schaltete die Schwebemotoren nicht aus. Die Unwahrscheinlich berührte kaum den Boden. Die ehemalige Beobachtungsplattform über den Zellen wurde zur Landerampe der Unwahrscheinlich. Die Masse des Gebäudes hätte sie unter sich begraben.
»Wir müssen uns einen Weg ausdenken, wie wir mit diesem Zeug hantieren«, sagte Louis. »Vielleicht tut es ein Handschuh aus dem gleichen Material. Oder wir wickeln es auf eine Spule aus Fundamentsubstanz.«
»Wir haben weder das eine noch das andere. Wir müssen mit den Eingeborenen reden«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Vielleicht kennen sie alte Legenden, alte Werkzeuge, alte heilige Relikte. Außerdem hatten sie drei Tage Zeit zu lernen, wie man den Draht anfaßt.«
»Dann muß ich mitkommen.« Das Zögern des Puppenspielers war offensichtlich. Er zitterte plötzlich. »Sprecher, Ihre Sprachkenntnisse sind nicht ausreichend. Wir müssen Halrloprillalar zurücklassen, um das Gebäude in die Höhe zu bringen, falls es nötig werden sollte. Es sei denn… Louis, könnte Teelas eingeborener Liebhaber überredet werden, für uns zu verhandeln?«
Es tat weh, wenn Nessus auf diese Weise über Sucher sprach. »Selbst Teela sagt, daß er kein Genie ist«, entgegnete Louis. »Ich würde ihm die Führung der Verhandlungen nicht anvertrauen.«
»Genausowenig wie ich, Louis. Brauchen wir den Schattenblendendraht wirklich?«
»Ich weiß es nicht. Wenn ich nicht unter Drogen stehe und ein Opfer von Halluzinationen bin, dann werden wir ihn benötigen. Ansonsten…«
»Schon gut, Louis. Ich werde mitkommen.«
»Sie müssen meinem Urteil nicht vertrauen…«
»Ich werde mitkommen.« Der Puppenspieler zitterte erneut. Das merkwürdigste an Nessus Stimme war, daß sie so klar und rein war und nie auch nur die leiseste Spur einer Emotion zeigte. »Ich weiß, daß wir den Draht brauchen. Welcher Zufall ließ ihn so nah bei unserer Absturzstelle herunterkommen? Sämtliche Zufälle führen zu Teela Brown. Würden wir den Draht nicht benötigen, wäre er nicht hier.«
Louis entspannte sich. Nicht, weil Nessus Feststellung Sinn ergeben hätte, denn das tat sie nicht. Doch sie untermauerte Louis’ eigene dürftige Schlußfolgerungen. Und so schöpfte Louis aus den Worten des Puppenspielers Trost und sagte ihm nicht, welchen Unsinn er von sich gegeben hatte.
Sie gingen die Landerampe hinunter und traten aus dem Schatten der Unwahrscheinlich. Louis trug einen Flashlaser bei sich. Der-zuden-Tieren-spricht hielt die Slaverwaffe. Seine Muskeln bewegten sich beim Gehen geschmeidig und waren unter dem erst einen halben Zoll nachgewachsenen Fell nicht zu übersehen. Nessus blieb anscheinend unbewaffnet. Er bevorzugte seinen Tasp und den Platz am weitesten hinten.