»Cool!« Leo grinste. »Dein Pferd hat genormte Steckdosen!«
Ihre gute Laune war jedoch nicht von Dauer. Auf der anderen Seite des Beckens zerbrach der Käfig des Riesen und es klang, als bräche ein Baum in zwei Stücke. Die äußere Schicht aus Ranken platzte von oben her auseinander und es regnete Steine und Holzstücke, als der Riese sich befreite und aus der Erde stieg.
Jason hatte gedacht, nichts könnte entsetzlicher aussehen als Enceladus.
Das war ein Irrtum.
Porphyrion war noch größer und noch muskulöser. Er strahlte keine Hitze aus und schien auch kein Feuer speien zu können, aber er hatte etwas noch Grauenhafteres an sich – eine Art Stärke, fast wie Magnetismus, als ob er so groß und dicht sei, dass er sein eigenes Gravitationsfeld besaß.
Wie Enceladus sah der Riesenkönig von der Taille aufwärts aus wie ein Mensch in einer Bronzerüstung und von der Taille abwärts hatte er schuppige Drachenbeine; seine Haut hatte die Farbe von Limabohnen. Die Haare waren grün wie Sommerblätter, zu langen Zöpfen geflochten und mit Waffen geschmückt – Dolchen, Äxten, riesigen Schwertern, manche verbogen und blutverschmiert –, vielleicht Trophäen, die er in anderen Zeitaltern Halbgöttern weggenommen hatte. Als der Riese die Augen öffnete, waren die leuchtend weiß, wie polierte Murmeln. Er holte tief Luft.
»Am Leben!«, brüllte er. »Gaia sei gepriesen.«
Jason stieß ein wenig heroisches Wimmern aus, von dem er hoffte, dass seine Freunde es nicht hören konnten. Er war sehr sicher, dass kein Halbgott diesen Typen besiegen könnte. Porphyrion könnte Berge versetzen. Er könnte Jason mit einem Finger zerdrücken.
»Leo«, sagte Jason.
»Hä?« Leos Mund stand weit offen. Sogar Piper war überwältigt.
»Macht weiter«, sagte Jason. »Befreit Hera.«
»Und was hast du vor?«, fragte Piper. »Du kannst doch nicht im Ernst …«
»Einen Riesen ablenken wollen?«, fragte Jason. »Was bleibt mir anderes übrig?«
»Hervorragend!«, brüllte der Riese, als Jason auf ihn zukam. »Ein Appetithäppchen! Wer bist du? Hermes? Ares?«
Jason spielte mit dem Gedanken, diese Idee zu verfolgen, aber eine innere Stimme riet ihm davon ab.
»Ich bin Jason Grace«, sagte er. »Sohn des Jupiter.«
Die weißen Augen durchbohrten ihn. Hinter ihm kreischte Leos Kreissäge und Piper redete dem Käfig einschläfernd zu und versuchte, die Angst aus ihrer Stimme zu verbannen.
Porphyrion warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Köstlich!« Er schaute zum bewölkten Nachthimmel hoch. »Also, Zeus, du opferst mir einen Sohn? Ich weiß diese Geste zu schätzen, aber sie wird dich nicht retten.«
Der Himmel grollte nicht einmal. Keine Hilfe von oben. Jason war auf sich selbst angewiesen.
Er ließ seine Behelfskeule sinken. Seine Hände waren voller Splitter, aber das spielte jetzt keine Rolle. Er musste für Leo und Piper Zeit erkaufen, und ohne eine echte Waffe würde das nicht gehen.
Er musste sich zuversichtlicher stellen, als er sich fühlte.
»Wenn du wüsstest, wer ich bin«, brüllte Jason zu dem Riesen hoch, »würdest du dir meinetwegen Sorgen machen, nicht wegen meines Vaters. Ich hoffe, du hast deine zweieinhalb Minuten der Wiedergeburt genossen, Riese, denn ich schicke dich jetzt auf direktem Weg zurück in den Tartarus.«
Der Riese kniff die Augen zusammen. Er stellte einen Fuß auf den Beckenrand und ging in die Hocke, um sich seinen Gegner besser ansehen zu können. »Also … wir fangen mit Prahlerei an, ja? Wie in den alten Zeiten. Sehr gut, Halbgott. Ich bin Porphyrion, der König der Riesen, der Sohn der Gaia. Ich habe mich in alten Zeiten aus dem Tartarus erhoben, dem Abgrund meines Vaters, um die Götter herauszufordern. Um den Krieg zu beginnen, habe ich Zeus’ Gemahlin gestohlen.« Er grinste zum Käfig der Göttin hinüber. »Hallo, Hera!«
»Mein Gemahl hat dich schon einmal vernichtet, Monster!«, sagte Hera. »Er wird es wieder tun!«
»Hat er eben nicht, meine Liebe! Zeus war nicht mächtig genug, um mich zu töten. Er musste sich auf einen jämmerlichen Halbgott verlassen, der ihm half, und trotzdem hätten wir fast gewonnen. Diesmal werden wir vollenden, was wir damals begonnen haben. Gaia erwacht. Sie hat uns mit vielen tüchtigen Dienern versehen. Unsere Armeen werden die Erde beben lassen – und wir werden euch mit der Wurzel ausrotten!«
»Das werdet ihr nicht wagen«, sagte Hera, aber sie wurde immer schwächer. Jason konnte es ihrer Stimme anhören. Piper flüsterte dem Käfig weiter etwas zu und Leo sägte, aber in Heras Gefängnis stieg die Erde immer weiter und reichte ihr jetzt bis zur Taille.
»Ach ja«, sagte der Riese. »Die Titanen haben versucht, euer neues Zuhause in New York anzugreifen. Kühn, aber wirkungslos. Gaia ist weiser und viel geduldiger. Und wir, ihre größten Kinder, sind viel, viel stärker als Kronos. Wir wissen, wie wir euch Olympier ein für alle Mal töten können. Ihr müsst wie verfaulte Bäume ausgegraben werden – eure ältesten Wurzeln müssen herausgerissen und verbrannt werden.«
Der Riese musterte Piper und Leo stirnrunzelnd, als ob er sie gerade erst bemerkt hätte. Jason trat vor und brüllte, um Porphyrions Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
»Du hast gesagt, ein Halbgott habe dich getötet«, brüllte er. »Wie denn, wenn wir so jämmerlich sind?«
»Glaubst du, das erzähle ich dir? Ich wurde erschaffen, um Zeus zu ersetzen, geboren, um den Herrn des Himmels zu vernichten. Ich werde seinen Thron übernehmen. Ich werde seine Frau übernehmen – und wenn sie mich nicht will, werde ich die Erde ihre Lebenskraft verzehren lassen. Was du vor dir siehst, Kind, ist nur meine geschwächte Form. Ich werde stündlich stärker werden, bis ich unbesiegbar bin. Aber ich bin durchaus schon jetzt in der Lage, dich zu einem Fettfleck zu zerquetschen.«
Er erhob sich zu seiner vollen Größe und streckte die Hand aus. Ein sieben Meter langer Speer kam aus der Erde geschossen. Er packte ihn und stampfte dann mit seinen Drachenfüßen auf den Boden. Die Ruinen bebten. Überall auf dem Hof fingen Monster an, sich wieder zusammenzuschließen: Sturmgeister, Wölfe und Erdgeborene, alle antworteten dem Ruf des Riesenkönigs.
»Super«, murmelte Leo. »Mehr Feinde hatten wir ja auch dringend gebraucht.«
»Du musst dich beeilen!«, sagte Hera.
»Weiß ich!«, fauchte Leo.
»Schlaf jetzt ein, Käfig«, sagte Piper. »Feiner müder Käfig. Ja, ich rede mit einem Haufen Ranken. Das ist überhaupt nicht seltsam.«
Porphyrion schüttelte seinen Speer über den Ruinen, zerstörte einen Schornstein und verstreute Holz und Steine über dem Hof. »So, Kind des Zeus! Ich habe genug geprahlt. Jetzt bist du an der Reihe. Wie war das noch, du willst mich also vernichten?«
Jason sah den Kreis aus Monstern an, die ungeduldig auf den Befehl ihres Herrn warteten, um sie in Fetzen zu reißen. Leos Kreissäge kreischte noch immer und Piper redete weiter, aber es kam ihm hoffnungslos vor. Heras Käfig war jetzt fast vollständig mit Erde gefüllt.
»Ich bin der Sohn des Jupiter!«, brüllte Jason und rief die Winde herbei, um das klarzustellen, worauf er sich fast einen Meter über den Boden hob. »Ich bin ein Kind Roms, ein Konsul der Halbgötter, der Praetor der Ersten Legion.« Jason wusste nicht genau, was er da redete, aber er ratterte es herunter, als ob er es schon oft gesagt hätte. Er streckte die Arme aus, zeigte die Tätowierung aus Adler und SPQR, und zu seiner Überraschung schien der Riese sie zu erkennen.
Für einen Moment sah Porphyrion tatsächlich verunsichert aus.
»Ich habe das trojanische Meeresungeheuer vernichtet«, fuhr Jason fort. »Ich habe den schwarzen Thron des Kronos umgestürzt und den Titanen Krios mit eigenen Händen getötet. Und jetzt werde ich dich vernichten, Porphyrion, und dich deinen eigenen Wölfen zum Fraß vorwerfen.«
»Meine Güte«, murmelte Leo. »Hast du rotes Fleisch gegessen?«