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Plötzlich verwandelte sich Leos Triumphgefühl in ein schlechtes Gewissen. »Es war anders, dieser Bunker hat mich gefunden. Es war vorherbestimmt. Und das ist gut so.«

»Ich hoffe, du hast Recht«, sagte Chiron.

»Das habe ich!« Leo zog die alte Zeichnung aus der Tasche und breitete sie vor aller Augen auf dem Tisch aus.

»Da«, sagte er stolz. »Aeolus hat sie mir zurückgebracht. Ich habe sie mit fünf Jahren gezeichnet. Das ist meine Bestimmung.«

Nyssa runzelte die Stirn. »Leo, das ist eine Buntstiftzeichnung eines Bootes.«

»Seht doch!« Er zeigte auf das größte Blatt am Schwarzen Brett – den Bauplan des griechischen Dreiruderers. Langsam weiteten sich die Augen seiner Mitbewohner, als sie die beiden Zeichnungen verglichen. Die Anzahl von Masten und Rudern, sogar die Verzierungen von Schilden und Segeln, alles war genau wie auf Leos Zeichnung.

»Das ist unmöglich«, sagte Nyssa. »Dieser Bauplan ist doch mindestens ein Jahrhundert alt.«

»WEISSAGUNG – UNKLAR – FLUG«, las Jake Mason von den Notizen auf dem Bauplan vor. »Das ist ein Bauplan für ein fliegendes Schiff. Seht ihr, das ist die Landevorrichtung. Und die Waffen – heiliger Hephaistos: rotierende Geschosse, Armbrüste, Panzerung aus himmlischer Bronze. Das wäre eine superscharfe Kriegsmaschine. Ist die je gebaut worden?«

»Noch nicht«, sagte Leo. »Seht euch die Galionsfigur an.«

Es gab keinen Zweifel – die Gestalt vorn am Schiff war ein Drachenkopf. Ein ganz besonderer Drachenkopf.

»Festus«, sagte Piper. Alle drehten sich um und sahen den Drachenkopf auf dem Tisch an.

»Er soll unsere Galionsfigur sein«, sagte Leo. »Unser Talisman, unser Auge auf See. Es ist meine Aufgabe, dieses Schiff zu bauen. Ich werde es Argo II nennen. Und, Leute, ich werde eure Hilfe brauchen.«

»Argo II«, Piper lächelte. »Nach Jasons Schiff.«

Jason schien sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen, aber er nickte. »Leo hat Recht. Dieses Schiff ist genau, was wir für unsere Reise brauchen.«

»Was für eine Reise?«, fragte Nyssa. »Ihr seid doch gerade erst wiedergekommen.«

Piper ließ ihre Finger über die alte Buntstiftzeichnung wandern. »Wir müssen uns Porphyrion, dem Riesenkönig, entgegenstellen. Er hat gesagt, dass er die Götter mit der Wurzel ausrotten wird.«

»In der Tat«, sagte Chiron. »Vieles von Rachels Großer Weissagung ist für mich noch immer ein Mysterium, aber eines steht fest: Ihr drei – Jason, Piper und Leo – gehört zu den sieben Halbgöttern, die diese Reise antreten müssen. Ihr müsst euch den Riesen in ihrer Heimat stellen, wo sie am stärksten sind. Ihr müsst sie aufhalten, ehe sie Gaia ganz aufwecken können, ehe sie den Olymp zerstören.«

»Äh …« Nyssa trat von einem Fuß auf den anderen. »Sie reden hier nicht von Manhattan, oder?«

»Nein«, sagte Leo. »Es geht um den ursprünglichen Olymp. Wir müssen nach Griechenland segeln.«

LV

Jason

Jason wartete allein in Hütte 1.

Annabeth und Rachel mussten jeden Moment zum Treffen der Hüttenältesten auftauchen, und Jason brauchte Zeit zum Nachdenken.

Seine Träume in der Nacht zuvor waren so schlimm gewesen, dass er nicht darüber sprechen wollte – nicht einmal mit Piper. Seine Erinnerung war noch immer undeutlich, aber immer wieder kamen Bruchstücke dazu. Die Nacht, in der Lupa ihn im Wolfshaus getestet hatte, um festzustellen, ob er Welpe oder Futter war. Dann die lange Wanderung nach Süden zu … er konnte sich nicht erinnern, aber er hatte Momente aus seinem alten Leben gesehen. Den Tag, an dem er tätowiert worden war. Den Tag, an dem er auf einen Schild gehoben und zum Praetor ausgerufen worden war. Die Gesichter seiner Freunde: Dakota, Gwendolyn, Hazel, Bobby. Und Reyna. Ganz bestimmt hatte es ein Mädchen namens Reyna gegeben. Er wusste nicht genau, was sie ihm bedeutet hatte, aber bei dieser Erinnerung fragte er sich, was er für Piper empfand … und ob er hier gerade einen Fehler machte. Das Problem war, dass er Piper sehr gernhatte.

Jason brachte seine Habseligkeiten in den Alkoven in der Ecke, wo seine Schwester einmal geschlafen hatte, und pinnte Thalias Foto wieder an die Wand, weil er sich dann nicht so allein fühlte. Er starrte an der stirnrunzelnden Statue des Zeus hoch, der so mächtig und stolz war, aber die Statue machte ihm keine Angst mehr. Sie machte ihn nur traurig.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst«, sagte Jason zu der Statue.

Die Statue schwieg. Ihre gemalten Augen schienen ihn anzustarren.

»Ich wünschte, ich könnte persönlich mit dir sprechen«, sagte Jason. »Aber ich weiß ja, dass das nicht geht. Die römischen Götter wollen nicht so viel mit den Sterblichen zu tun haben, und – na ja, du bist immerhin der König. Du musst ein Vorbild sein.«

Weiterhin Schweigen. Jason hatte auf irgendetwas gehofft – ein lauteres Donnergrollen als sonst, ein helles Licht, ein Lächeln. Nein, das lieber doch nicht. Ein Lächeln wäre unheimlich gewesen.

»Ich kann mich an einige Dinge erinnern«, sagte er. Je mehr er redete, umso weniger befangen fühlte er sich. »Ich weiß noch, dass es hart ist, ein Sohn des Jupiter zu sein. Dauernd erwarten alle, dass ich die Führung übernehme, aber immer fühle ich mich allein. Ich vermute, so geht es dir auch da oben auf dem Olymp. Ständig kritisieren die anderen Götter deine Entscheidungen. Manchmal ist es schwer, das Richtige zu tun, und die anderen mäkeln an dir herum. Und du kannst mir nicht zu Hilfe kommen, wie andere Götter das vielleicht könnten. Du musst mich auf Distanz halten, damit es nicht aussieht, als ob du Günstlinge hättest. Ich glaube, ich will damit nur sagen …«

Jason holte tief Luft. »Ich verstehe das alles. Das ist schon in Ordnung. Ich werde versuchen, mein Bestes zu tun. Ich hoffe, du kannst dann stolz auf mich sein. Aber ich könnte wirklich einen guten Rat brauchen, Dad. Wenn es irgendetwas gibt, was du tun kannst – dann hilf mir, damit ich meinen Freunden helfen kann. Ich habe Angst, dass ich sie in den Tod führe. Ich weiß nicht, wie ich sie beschützen soll.«

Sein Nacken prickelte. Jason spürte, dass jemand hinter ihm stand. Er drehte sich um und sah eine Frau in einem schwarzen Gewand mit Kapuze, mit einem Umhang aus Ziegenfell über den Schultern und einem römischen Schwert in den Händen – einem Gladius, das noch in der Scheide steckte.

»Hera«, sagte er.

Sie streifte die Kapuze ab. »Für dich war ich immer schon Juno. Und dein Vater hat dir bereits Hilfe gesandt, Jason. Er hat dir Piper und Leo geschickt. Das sind nicht nur Menschen, für die du verantwortlich bist. Sie sind auch deine Freunde. Hör auf sie und alles wird gut gehen.«

»Hat Jupiter Euch hergeschickt, um mir das zu sagen?«

»Niemand schickt mich irgendwohin, Heros«, sagte sie. »Ich bin keine Botin.«

»Aber Ihr habt mir das alles eingebrockt. Warum habt Ihr mich in dieses Camp geschickt?«

»Ich glaube, das weißt du«, sagte Juno. »Die Anführer mussten ausgetauscht werden. Nur so konnte der Abgrund überbrückt werden.«

»Ich habe mich aber nicht einverstanden erklärt.«

»Nein. Aber Zeus hat mir dein Leben gegeben und ich helfe dir, deine Bestimmung zu erfüllen.«

Jason versuchte, seinen Zorn zu unterdrücken. Er schaute auf sein orangefarbenes Camp-T-Shirt und die Tätowierung auf seinem Arm und wusste, dass beides nicht zusammengehörte. Er war zu einem wandelnden Widerspruch geworden – einer Mischung, die so gefährlich war, dass nur Medea sie zusammenbrauen konnte.

»Ihr gebt mir nicht alle meine Erinnerungen zurück«, sagte er. »Obwohl Ihr das versprochen hattet.«

»Die meisten werden sich mit der Zeit einstellen«, sagte Juno. »Aber du musst deinen eigenen Weg zurück finden. Du brauchst die kommenden Monate bei deinen neuen Freunden, in deinem neuen Zuhause. Du bist dabei, ihr Vertrauen zu gewinnen. Wenn ihr in eurem Schiff lossegelt, wirst du ein Anführer in diesem Camp sein. Und du wirst bereit sein, zum Friedensstifter zwischen zwei großen Mächten zu werden.«