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Gegenüber von einem steinernen Kamin mit einem knisternden Feuer standen mehrere Ledersofas. In eine Ecke war ein piepender und blinkender altmodischer Pac-Man-Spielautomat eingeklemmt. An der Wand hing eine Sammlung von Masken – lächelnde und stirnrunzelnde griechische Theatermasken, gefiederte Mardi-Gras-Masken, Karnevalsmasken aus Venedig mit riesigen schnabelähnlichen Nasen, geschnitzte hölzerne Masken aus Afrika. Weinranken schlangen sich durch ihre Münder, so dass sie mit Blättern besetzte Zungen zu haben schienen. Bei einigen quollen rote Trauben aus den Augenlöchern.

Aber das Seltsamste war der ausgestopfte Leopardenkopf über dem Kamin. Er sah so echt aus, seine Augen schienen Jason zu verfolgen. Dann fauchte er und Jason wäre fast das Herz stehengeblieben.

»Aber, Seymour«, tadelte Chiron. »Jason ist ein Freund. Benimm dich.«

»Das Ding lebt ja!«, sagte Jason.

Chiron griff in die Seitentasche an seinem Rollstuhl und zog eine Packung Hundekekse hervor. Er warf dem Leoparden einen zu und der fing ihn auf und leckte sich die Lippen.

»Du musst die Dekorationsstücke verzeihen«, sagte Chiron. »Das sind alles Abschiedsgeschenke unseres ehemaligen Direktors, als er auf den Olymp gerufen wurde. Er dachte, das würde uns helfen, die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Mr D hatte einen seltsamen Sinn für Humor.

»Mr D«, sagte Jason. »Dionysos?«

»Hmm, hmm.« Chiron schenkte Limonade ein, aber seine Hände zitterten ein wenig. »Was Seymour betrifft – Mr D hat ihn von einem Flohmarkt auf Long Island gerettet. Der Leopard ist Mr Ds heiliges Tier, musst du wissen, und Mr D war entsetzt, dass jemand ein solch edles Wesen ausgestopft hatte. Er beschloss, ihm das Leben zu schenken, unter der Voraussetzung, dass ein Leben als Kopf an der Wand besser ist als gar kein Leben. Ich muss zugeben, es ist ein barmherzigeres Schicksal, als es Seymours früherem Besitzer zuteil wurde.«

Seymour zeigte seine Reißzähne und schnupperte in der Luft herum, wie auf der Suche nach weiteren Leckerbissen.

»Wenn er nur ein Kopf ist«, sagte Jason, »wo verschwindet das Essen, wenn er frisst?«

»Frag lieber nicht«, sagte Chiron. »Bitte, setz dich.«

Jason trank einen Schluck Limonade, obwohl er Schmetterlinge im Bauch hatte. Chiron lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und versuchte ein Lächeln, aber Jason sah, wie bemüht es war. Die Augen des alten Mannes waren tief und dunkel wie Brunnen.

»Also, Jason«, sagte er. »Würde es dir etwas ausmachen, mir zu erzählen – äh – woher du kommst?«

»Wenn ich das wüsste.« Jason erzählte ihm die ganze Geschichte, von dem Moment, wo er im Bus aufgewacht war, bis zu dem Beinahe-Absturz über Camp Half-Blood. Er sah keinen Grund, Details zu verschweigen, und Chiron war ein guter Zuhörer.

Als Jason fertig war, nippte der alte Mann an seiner Limonade.

»Ich verstehe«, sagte Chiron. »Und du hast sicher Fragen an mich.«

»Nur eine«, erwiderte Jason. »Wie haben Sie das gemeint, als Sie gesagt haben, ich müsste tot sein?«

Chiron musterte ihn voller Besorgnis, als erwarte er, Jason könne in Flammen aufgehen. »Mein Junge, weißt du, was dieses Zeichen auf deinem Arm bedeutet? Die Farbe deines Hemdes? Kannst du dich überhaupt an irgendetwas erinnern?«

Jason schaute die Tätowierung auf seinem Unterarm an. SPQR, der Adler, zwölf gerade Striche.

»Nein«, sagte er. »An nichts.«

»Weißt du, wo du bist?«, fragte Chiron. »Hast du begriffen, was das hier für ein Ort ist und wer ich bin?«

»Sie sind Chiron, der Zentaur«, sagte Jason. »Ich vermute, Sie sind der aus den alten Geschichten, der griechische Helden trainiert hat, wie Herkules. Das hier ist ein Camp für Halbgötter, die Kinder der olympischen Gottheiten.«

»Du glaubst also, dass diese Götter noch existieren?«

»Ja«, sagte Jason, ohne zu zögern. »Ich meine, ich glaube nicht, dass wir sie anbeten oder ihnen Hühner opfern sollen oder so, aber sie sind immer noch da, weil sie ein mächtiger Teil der Zivilisation sind. Sie wandern von Land zu Land, wenn das Zentrum der Macht sich verlagert – wie sie aus dem antiken Griechenland nach Rom gewandert sind.«

»Das hätte ich nicht besser sagen können.« Etwas in Chirons Stimme hatte sich geändert. »Du weißt also schon, dass es die Götter gibt. Du bist schon anerkannt worden, oder?«

»Kann sein«, antwortete Jason. »Das weiß ich ja eben nicht.«

Seymour der Leopard fauchte.

Chiron wartete und Jason begriff, was soeben passiert war. Der Zentaur war in eine andere Sprache übergewechselt und Jason hatte ihn verstanden und automatisch in derselben Sprache geantwortet.

»Quis erat –«, Jason geriet ins Stocken und machte dann einen bewussten Versuch, Englisch zu sprechen. »Was war das denn?«

»Du kannst Latein«, stellte Chiron fest. »Die meisten Halbgötter verstehen ein paar Ausdrücke, natürlich. Das liegt ihnen im Blut, aber nicht so sehr wie Altgriechisch. Ohne viel Übung kann niemand fließend Latein sprechen.«

Jason versuchte, diese Aussage zu begreifen, aber ihm fehlten zu viele Erinnerungsstücke. Noch immer hatte er das Gefühl, dass er nicht hier sein dürfte. Es war falsch – und gefährlich. Aber immerhin war Chiron nicht bedrohlich. Der Zentaur schien sich sogar Sorgen um ihn zu machen, um seine Sicherheit zu fürchten.

Das Feuer spiegelte sich in Chirons Augen wider und ließ sie gereizt aufflackern. »Ich habe deinen Namensvetter unterrichtet, du weißt schon, den ersten Jason. Er hatte einen harten Weg vor sich. Ich habe viele Helden kommen und gehen sehen. Ab und zu geht es gut für sie aus. Aber meistens ist das nicht der Fall. Es bricht mir jedes Mal das Herz; es ist, wie ein Kind zu verlieren, wenn einer meiner Schüler stirbt. Deine Anwesenheit hier könnte eine Katastrophe sein.«

»Danke«, sagte Jason. »Sie sind sicher ein mitreißender Lehrer.«

»Es tut mir leid, mein Junge, aber so ist es eben. Ich hatte gehofft, dass nach Percys Erfolg …«

»Sie meinen Percy Jackson, Annabeths Freund, den Verschollenen?«

Chiron nickte. »Ich hatte gehofft, dass wir nach seinem Sieg im Titanenkrieg und der Rettung des Olymps ein wenig Frieden haben würden. Dass ich vielleicht einen letzten Triumph genießen könnte, ein gutes Ende und danach in aller Stille in Pension gehe. Ich hätte es besser wissen müssen. Das letzte Kapitel rückt näher, wie schon einmal. Das Schlimmste steht noch aus.«

Der Spielautomat in der Ecke machte ein Geräusch wie pju-pju-pju-pju, als sei soeben ein Pac-Man gestorben.

»Ohh-kay«, sagte Jason. »Also – letztes Kapitel, schon mal passiert. Schlimmstes steht noch bevor. Klingt spannend, aber können wir an der Stelle wieder einsetzen, wo ich eigentlich tot sein müsste? Diese Stelle gefällt mir nicht.«

»Ich fürchte, ich kann das nicht erklären, mein Junge. Ich habe beim Fluss Styx und bei allem Heiligen geschworen, dass ich niemals …« Chiron runzelte die Stirn. »Aber du bist hier, was diesen Eid bricht. Auch das dürfte nicht möglich sein. Ich begreife das nicht. Wer könnte so etwas tun? Wer …«

Seymour der Leopard heulte auf. Sein Mund erstarrte, halb offen. Der Spielautomat hörte auf zu piepen. Das Feuer hörte auf zu knistern und die Flammen wurden hart wie rotes Glas. Die Masken starrten Jason mit ihren grotesken Traubenaugen und den belaubten Zungen schweigend an.

»Chiron?«, fragte Jason. »Was ist hier …«

Auch der alte Zentaur war erstarrt. Jason sprang vom Sofa, aber Chiron starrte noch dieselbe Stelle an, sein Mund war mitten im Satz offen stehengeblieben. Seine Augen blinzelten nicht. Seine Brust bewegte sich nicht.

Jason, sagte eine Stimme.

Für einen entsetzlichen Moment glaubte Jason, der Leopard habe gesprochen. Dann brodelte düsterer Nebel aus Seymours Mund und Jason kam ein noch schrecklicherer Gedanke: Sturmgeister.