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Er zerrte die Goldmünze aus seiner Tasche. Er brauchte sie nur in die Luft zu werfen und sie verwandelte sich in ein Schwert.

Der Nebel nahm die Gestalt einer Frau in schwarzen Gewändern an. Ihr Gesicht war unter ihrer Kapuze verborgen, aber die Augen glühten in der Dunkelheit. Über ihren Schultern lag ein Ziegenfell. Jason war nicht sicher, woher er wusste, dass es ein Ziegenfell war, aber er erkannte es und wusste, dass es wichtig war.

Willst du etwa deine Schutzherrin angreifen?, fragte die Frau vorwurfsvoll. Ihre Stimme hallte in Jasons Kopf wider. Lass dein Schwert sinken.

»Wer seid Ihr?«, fragte Jason. »Wie habt Ihr …«

Unsere Zeit ist begrenzt, Jason. Mein Kerker wird mit jeder Stunde stärker. Ich habe einen ganzen Monat gebraucht, um genug Energie zu sammeln, um auch nur die kleinste Magie wirken zu können. Ich habe es geschafft, dich herzubringen, aber jetzt bleibt mir nur noch wenig Zeit und noch weniger Kraft. Das ist vielleicht das letzte Mal, dass ich mir dir sprechen kann.

»Ihr seid im Kerker?«, Jason beschloss, das Schwert vielleicht doch nicht sinken zu lassen. »Hört mal, ich kenne Euch nicht und Ihr seid nicht meine Schutzherrin.«

Du kennst mich, sagte sie entschieden. Ich kenne dich seit deiner Geburt.

»Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.«

Nein, kannst du nicht, stimmte sie zu. Auch das musste sein. Vor langer Zeit hat dein Vater mir dein Leben zum Geschenk gemacht, um meinen Zorn zu besänftigen. Er hat dich Jason genannt, nach meinem Lieblingssterblichen. Du gehörst mir.

»Meine Güte«, sagte Jason. »Ich gehöre niemandem.«

Jetzt ist die Zeit gekommen, um deine Schuld zu begleichen, sagte sie. Finde meinen Kerker. Befreie mich, oder ihr König wird sich aus der Erde erheben und ich werde vernichtet werden. Und du wirst dein Gedächtnis niemals zurückerhalten.

»Soll das eine Drohung sein? Ihr habt mir mein Gedächtnis genommen?«

Du hast bist zum Sonnenuntergang am Sonnwendtag Zeit, Jason. Vier kurze Tage. Lass mich nicht im Stich.

Die düstere Frau löste sich auf und der Nebel zog sich wirbelnd ins Maul des Leoparden zurück. Das Feuer erwachte knisternd zum Leben, der Spielautomat piepte, und Chiron sagte: »Wer würde es wagen, dich herzubringen?«

»Vermutlich die Dame im Nebel«, schlug Jason vor.

Die Zeit löste sich aus ihrer Erstarrung.

Chiron schaute überrascht auf. »Hast du nicht eben noch gesessen … warum hast du das Schwert gezogen?«

»Ich sag Ihnen das ja nur ungern«, sagte Jason. »Aber ich glaube, Ihr Leopard hat soeben eine Göttin verspeist.«

Er erzählte Chiron von dem Besuch der düsteren Nebelgestalt, die in Seymours Maul verschwunden war.

»Ach du meine Güte«, murmelte Chiron. »Das erklärt eine Menge.«

»Dann erklären Sie mir doch auch mal eine Menge«, sagt Jason. »Bitte.«

Ehe Chiron etwas sagen konnte, waren auf der Veranda draußen Schritte zu hören. Die Tür wurde aufgerissen und Annabeth und noch ein Mädchen, eine Rothaarige, platzten herein und trugen Piper zwischen sich. Pipers Kopf pendelte hin und her wie der einer Bewusstlosen.

»Was ist passiert?«, Jason stürzte auf die Mädchen zu. »Was ist los mit ihr?«

»Die Hera-Hütte«, Annabeth keuchte, als ob sie die ganze Strecke gerannt seien. »Üble Vision.«

Die Rothaarige schaute auf und Jason sah, dass sie geweint hatte.

»Ich glaube …« Die Rothaarige schluckte. »Ich glaube, ich habe sie umgebracht.«

VIII

Jason

Jason und die Rothaarige, die sich als Rachel vorstellte, legten Piper auf das Sofa, während Annabeth wegrannte, um einen Erste-Hilfe-Kasten zu holen. Piper atmete noch, aber sie kam einfach nicht zu sich. Sie schien in eine Art Koma gefallen zu sein.

»Wir müssen ihr helfen«, sagte Jason. »Das ist doch möglich, oder?«

Als er sie so bleich sah, fast ohne zu atmen, fühlte Jason sich ganz plötzlich als Beschützer. Vielleicht kannte er sie nicht richtig. Vielleicht war sie nicht seine Freundin. Aber sie hatten zusammen den Grand Canyon überlebt. Sie waren diesen ganzen weiten Weg zusammen hergekommen. Er hatte sie nur für einen kurzen Moment verlassen, und schon war das hier passiert.

Chiron legte ihr die Hand auf die Stirn und zog eine Grimasse. »Ihr Bewusstein ist in einem sehr labilen Zustand. Rachel, was ist passiert?«

»Wenn ich das wüsste«, sagte Rachel. »Sowie ich im Camp angekommen war, hatte ich eine Vorahnung, die mit Heras Hütte zu tun hatte. Ich ging hin. Annabeth und Piper kamen dazu, als ich noch dort war. Wir haben miteinander geredet und dann – war ich einfach weg. Annabeth sagt, ich habe mit einer anderen Stimme gesprochen.«

»Eine Weissagung?«, fragte Chiron.

»Nein. Der Geist von Delphi kommt von innen. Ich kenne das Gefühl. Das hier war wie etwas aus weiter Ferne, eine Macht, die versuchte, durch mich zu sprechen.«

Annabeth kam mit einem Lederbeutel angerannt und kniete neben Piper nieder. »Jason, was da drüben passiert ist – so was habe ich noch nie gesehen. Ich kenne Rachels Weissagungsstimme. Das hier war anders. Sie hat sich angehört wie eine erwachsene Frau. Sie packte Pipers Schultern und sagte ihr …«

»Sie sollte sie aus einem Kerker befreien?«, fragte Jason.

Annabeth starrte ihn an. »Woher weißt du das?«

Chiron machte mit drei Fingern eine Geste über seinem Kopf, wie um sich vor dem Bösen zu schützen. »Jason, sag es ihnen. Annabeth, die Medizintasche, bitte.«

Chiron ließ aus einer Pipette Tropfen in Pipers Mund laufen, während Jason erzählte, was passiert war, als das Zimmer erstarrt war – von der dunklen nebelhaften Frau, die behauptete, seine Schutzherrin zu sein.

Danach sagte niemand etwas, und das machte ihm Angst.

»Passiert das häufiger?«, fragte er. »Übernatürliche Anrufe von Gefangenen, die aus dem Knast befreit werden wollen?«

»Deine Schutzherrin«, sagte Annabeth. »Nicht vielleicht dein göttlicher Elternteil?«

»Nein, sie hat Schutzherrin gesagt. Sie hat auch gesagt, dass mein Vater ihr mein Leben geschenkt hat.«

Annabeth runzelte die Stirn. »So etwas habe ich noch nie gehört. Du hast gesagt, der Sturmgeist am Grand Canyon – der hat behauptet, für irgendeine Herrin zu arbeiten, die ihm Befehle erteilt, oder? Könnte das die Frau sein, die mit deiner Erinnerung herumpfuscht?«

»Das glaube ich nicht«, sagte Jason. »Wenn sie meine Feindin wäre, warum sollte sie mich dann um Hilfe bitten? Sie ist gefangen. Sie macht sich Sorgen, weil irgendein Feind an Macht gewinnt. Irgendein König, der sich am Sonnwendtag aus der Erde erheben wird …«

Annabeth drehte sich zu Chiron um. »Nicht Kronos. Bitte, sagen Sie, dass es nicht Kronos ist.«

Der Zentaur sah verzweifelt aus. Er fühlte Pipers Puls.

Endlich sagte er: »Es ist nicht Kronos. Diese Bedrohung besteht nicht mehr. Aber …«

»Was für ein Aber?«, fragte Annabeth.

Chiron schloss die Medizintasche. »Piper braucht Ruhe. Wir sollten später darüber reden.«

»Oder jetzt«, sagte Jason. »Sir, Mr Chiron, Sie haben mir gesagt, dass die größte Bedrohung näher rückt. Das letzte Kapitel steht bevor. Sie können doch unmöglich etwas meinen, das schlimmer ist als eine Titanenarmee, oder?«

»Oh nein«, sagte Rachel mit jämmerlicher Stimme. »Die Frau war Hera. Natürlich. Ihre Hütte, ihre Stimme. Sie hat sich im selben Augenblick auch Jason gezeigt.«

»Hera?« Annabeth fauchte noch wütender als Seymour. »Die hat durch dich gesprochen? Die hat Piper das angetan?«

»Ich glaube, Rachel hat Recht«, sagte Jason. »Die Frau sah aus wie eine Göttin. Und sie hatte diesen – diesen Umhang aus Ziegenfell. Das ist ein Symbol der Juno, oder?«

»Wirklich?«, fragte Annabeth wütend. »Das hab ich noch nie gehört.«