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Jason schaute zu Annabeth hinüber, und sie nickte aufmunternd.

Jason hatte Angst, für immer schnarchend in einem der Etagenbetten zu enden, aber er schloss die Augen. Seine Gedanken wurden trübe, als versinke er in einem dunklen See.

Als Nächstes merkte er, dass seine Augen sich plötzlich öffneten. Er saß in einem Sessel am Kamin. Clovis und Annabeth knieten neben ihm.

»… wirklich ernst«, sagte Clovis gerade.

»Was ist passiert?«, fragte Jason. »Wie lange …«

»Nur ein paar Minuten«, sagte Annabeth. »Aber es war krass. Du hättest dich fast aufgelöst.«

Jason hoffte, dass sie das nicht wortwörtlich meinte; ihr Gesicht war sehr ernst.

»Meistens«, sagte Clovis, »gehen Erinnerungen aus guten Gründen verloren. Sie sinken unter die Oberfläche, wie Träume, und mit etwas gutem Schlaf kann ich sie zurückholen. Aber das hier …«

»Lethe?«, fragte Annabeth.

»Nein«, sagte Clovis. »Nicht einmal Lethe.«

»Lethe?«, fragte Jason.

Clovis zeigte auf den Ast über dem Kamin, von dem die milchigen Tropfen fielen. »Der Fluss Lethe in der Unterwelt. Der löst deine Erinnerungen auf, wischt sie einfach weg. Das da ist ein Ast von einer Pappel in der Unterwelt, der in Lethewasser getaucht worden ist. Das ist das Symbol meines Vaters, Hypnos. Lethe ist kein Ort, wo man gern schwimmen gehen würde.«

Annabeth nickte. »Percy war einmal da. Er hat mir gesagt, Lethe sei so stark, dass er sogar einem Titanen das Gedächtnis nehmen könnte.«

Jason war plötzlich froh, dass er den Ast nicht angerührt hatte. »Aber … das ist nicht mein Problem?«

»Nein«, antwortete Clovis. »Dein Gedächtnis ist nicht ausgelöscht worden und deine Erinnerungen nicht begraben. Sie wurden gestohlen.«

Das Feuer knisterte. Tropfen von Lethewasser klatschten in die Zinnbecher auf dem Kaminsims. Ein anderes Hypnoskind murmelte im Schlaf – etwas über eine Ente.

»Gestohlen«, wiederholte Jason. »Wie das?«

»Ein Gott«, sagte Clovis. »Nur ein Gott besitzt solche Macht.«

»Oder eine Göttin«, sagte Jason. »Es war Juno, das wissen wir. Aber wie hat sie das gemacht und warum?«

Clovis kratzte sich im Nacken. »Juno?«

»Er meint Hera«, sagte Annabeth. »Aus irgendeinem Grund schwärmt Jason für die römischen Namen.«

»Hmmm«, sagte Clovis.

»Was meinst du?«, fragte Jason.

»Hmmm«, sagte Clovis noch einmal, und diesmal begriff Jason, dass er schnarchte.

»Clovis!«, schrie er.

»Was? Was?« Clovis’ Lider zitterten und öffneten sich. »Wir haben gerade über Kissen geredet, oder? Nein, über Götter. Jetzt weiß ich es wieder. Griechische und römische. Klar, könnte wichtig sein.«

»Aber es sind dieselben Götter«, sagte Annabeth. »Nur andere Namen.«

»Nicht ganz«, sagte Clovis.

Jason beugte sich vor und war jetzt sehr wach. »Wie meinst du das?«

»Na ja …« Clovis lächelte. »Einige Götter gibt es nur bei den Römern. Wie Janus oder Pompona. Aber die wichtigsten griechischen Götter – die haben bei dem Umzug nach Rom nicht nur ihre Namen geändert. Sondern auch ihre Erscheinung. Ihre Attribute. Sie haben sogar ein wenig andere Persönlichkeiten angenommen.«

»Aber …« Annabeth geriet ins Stocken. »Na gut, dann sind sie im Laufe der Jahrhunderte vielleicht unterschiedlich gesehen worden. Das ändert aber nichts daran, wer sie sind.«

»Tut es wohl.« Clovis nickte schon wieder ein, und Jason schnippte unter seiner Nase mit den Fingern.

»Schon unterwegs, Mutter«, quiekte Clovis. »Ich meine … äh, ich bin wach. Also, äh, Persönlichkeiten. Die Götter änderten sich, um ihre Gastkulturen widerzuspiegeln. Das weißt du doch, Annabeth. Ich meine, heutzutage liebt Zeus maßgeschneiderte Anzüge, Doku-Soaps und dieses chinesische Restaurant in der 28. Straße, stimmt’s? In der Römerzeit war das genauso, und die Götter waren fast so lange römisch wie vorher griechisch. Es war ein riesiges Reich, hat Jahrhunderte überdauert. Und natürlich sind ihre römischen Anteile noch ein großer Teil ihres Wesens.«

»Leuchtet ein«, sagte Jason.

Annabeth schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber woher weißt du das alles, Clovis?«

»Ach, ich verbringe eben viel Zeit mit Träumen. Da begegne ich oft den Göttern – und immer ändern sie ihre Gestalt. Träume sind flüssig, weißt du. Du kannst an mehreren Orten zugleich sein und immerzu deine Persönlichkeit ändern. Als wäre man selbst ein Gott. Kürzlich habe ich geträumt, dass ich ein Konzert von Michael Jackson besuchte, und dann stand ich mit Michael Jackson auf der Bühne und wir sangen ein Duett und ich konnte mich einfach nicht an den Text von ›The Girl is Mine‹ erinnern. Oh, Mann, war das peinlich, und ich …«

»Clovis«, unterbrach ihn Annabeth. »Zurück nach Rom.«

»Genau, Rom«, sagte Clovis. »Wir benutzen die griechischen Namen der Götter, weil das die ursprüngliche Form ist. Aber zu behaupten, ihre römischen Wesen seien genau dieselben – das wäre falsch. In Rom wurden sie kriegerischer. Sie haben sich nicht so so viel mit Sterblichen abgegeben. Sie waren härter, mächtiger – die Götter eines Weltreichs.«

»Wie die dunkle Seite der Götter?«, fragte Annabeth.

»Nicht ganz«, sagte Clovis. »Sie standen für Disziplin, Ehre, Strenge …«

»Also für positive Dinge«, sagte Jason. Aus irgendeinem Grund hatte er das Bedürfnis, die römischen Götter zu verteidigen, auch wenn er nicht wusste, warum ihm das so wichtig war. »Ich meine, Disziplin ist wichtig, oder? Deshalb hatte Rom so lange Bestand.«

Clovis musterte ihn fragend. »Das schon. Aber die römischen Götter waren nicht gerade nett. Zum Beispiel mein Dad, Hypnos … zur Zeit der Griechen hat er fast nur geschlafen. Bei den Römern wurde er Somnus genannt. Er brachte gern Leute um, die bei der Arbeit nicht hellwach waren. Wenn sie im falschen Moment einnickten – bumm, dann wachten sie nie wieder auf. Er hat den Steuermann des Aeneas getötet, als sie Troja verließen.«

»Reizender Knabe«, sagte Annabeth. »Aber ich begreife noch immer nicht, was das mit Jason zu tun hat.«

»Ich auch nicht«, sagte Clovis. »Aber wenn Hera dir dein Gedächtnis genommen hat, kann nur sie es zurückgeben. Und wenn ich der Königin der Götter gegenübertreten müsste, dann würde ich hoffen, dass sie eher in Herastimmung ist als in Junostimmung. Kann ich jetzt weiterschlafen?«

Annabeth starrte den Zweig über dem Feuer an, aus dem Lethewasser in die Becher tropfte. Sie sah so besorgt aus, dass Jason sich fragte, ob sie mit dem Gedanken spielte, davon zu trinken, um ihren Kummer zu vergessen. Dann stand sie auf und warf Clovis sein Kissen zu. »Danke, Clovis. Wir sehen uns beim Abendessen.«

»Kann ich Zimmerservice kriegen?« Clovis gähnte und fiel in sein Bett. »Ich könnte jetzt … zzzzz …« Er sank in sich zusammen, reckte seinen Hintern in die Luft und begrub das Gesicht im Kissen.

»Erstickt er so nicht?«, fragte Jason.

»Dem passiert nichts«, sagte Annabeth. »Aber ich glaube so langsam, dass du ganz schön in Schwierigkeiten steckst.«

IX

Piper

Piper träumte von ihrem letzten Tag mit ihrem Dad. Sie waren am Strand in der Nähe von Big Sur und machten eine Pause vom Surfen. Der Morgen war so perfekt gewesen, dass Piper wusste, bald musste ein Dämpfer kommen – eine durchgedrehte Paparazzihorde oder vielleicht ein angriffslustiger Weißer Hai. Ihr Glück konnte einfach nicht von Dauer sein.

Aber bisher hatten sie wunderbare Wellen gehabt, einen bedeckten Himmel und eine Meile Strand nur für sich. Dad hatte diesen abgelegenen Ort am Ozean gefunden, hatte eine Villa mit Strandzugang mitsamt den benachbarten Grundstücken gemietet und das alles noch dazu auf irgendeine Weise geheim halten können. Wenn sie zu lange hierblieben, dann würden die Fotografen sie finden, das wusste Piper. Sie fanden ihn immer.

»Das hast du gut gemacht da draußen, Pipes.« Er bedachte sie mit dem Lächeln, für das er berühmt war: perfekte Zähne, Grübchen im Kinn und ein Funkeln in seinen dunklen Augen, das alle Frauen dazu brachte, zu kreischen und ihn zu bitten, ihnen mit Permanentmarker ein Autogramm auf die bloße Haut zu schreiben. (Also echt, dachte Piper, schafft euch doch ein eigenes Leben an!) Seine kurz geschnittenen schwarzen Haare glitzerten vom Meerwasser. »Du kriegst die Kurve immer besser hin.«