Выбрать главу

Piper errötete vor Stolz, obwohl sie annahm, dass ihr Dad nur nett sein wollte. Sie verbrachte noch immer die meiste Zeit damit, vom Brett zu fallen. Man brauchte schon eine besondere Begabung dafür, sich selbst mit einem Surfbrett zu überfahren. Ihr Dad dagegen war der geborene Surfer – was komisch war, weil er aus armen Verhältnissen aus Oklahoma stammte und Hunderte von Meilen vom Ozean entfernt aufgewachsen war –, aber er war einfach umwerfend, wenn er auf den Wellen stand. Piper hätte das Surfen normalerweise schon längst aufgegeben, aber so konnte sie mit ihm zusammen sein. Es gab dafür nicht viele andere Möglichkeiten.

»Sandwich?« Dad wühlte im Picknickkorb, den sein Koch, Arno, zusammengestellt hatte. »Mal sehen: Truthahn Pesto, Krabbenfleischwasabi – ah, ein Piper Spezial. Erdnussbutter und Gelee.«

Sie nahm das Brot, obwohl ihr Magen noch zu aufgeregt war, um zu essen. Sie bat immer um Erdnussbutter mit Gelee. Zum einen war Piper Vegetarierin, seit sie damals an dem Schlachthof in Chino vorübergefahren waren und ihre Innereien bei dem Geruch den Drang gezeigt hatten, sich nach außen zu stülpen. Aber das war nicht alles. Erdnussbutter mit Gelee war schlichte Kost, wie ein normales Kind sie für die Frühstückspause einpacken würde. Manchmal tat sie so, als ob wirklich ihr Dad das Sandwich für sie gemacht hatte, nicht ein Leibkoch aus Frankreich, der es in Goldfolie einwickelte, zusammen mit einer winzigen Wunderkerze statt eines Zahnstochers.

Konnte denn gar nichts einfach sein? Deshalb lehnte sie auch die eleganten Klamotten ab, die Dad ihr immer kaufen wollte, die Designerschuhe, die Ausflüge in den Schönheitssalon. Sie schnitt ihre Haare selbst mit einer Papierschere aus Plastik und trug sie bewusst unregelmäßig lang. Sie zog am liebsten ausgelatschte Laufschuhe, Jeans, ein T-Shirt und ihre alte Polartec-Jacke von damals an, als sie Snowboarding gewesen waren.

Und sie hasste diese versnobten Privatschulen, die Dad für sie als angemessen erachtete. Sie ließ sich immer wieder feuern. Und er fand immer wieder neue.

Am Vortag hatte sie ihr bisher größtes Ding gedreht – mit dem »geliehenen« BMW aus dem Autohaus zu fahren. Sie musste jedes Mal eine größere Nummer hinlegen, denn es wurde immer schwieriger, Dads Aufmerksamkeit zu erregen.

Jetzt bereute sie es. Dad wusste es noch nicht.

Sie hatte es ihm an diesem Morgen erzählen wollen. Dann hatte er sie mit diesem Ausflug überrascht, und den konnte sie schließlich nicht ruinieren. Es war ihr erster Tag zusammen seit – waren es drei Monate?

»Was ist los?« Er reichte ihr eine Flasche Limonade.

»Dad, ich muss dir etwas …«

»Hey, Pipes. Mach nicht so ein ernstes Gesicht. Zeit für Drei Fragen?«

Sie spielten dieses Spiel seit Jahren – auf diese Weise konnte ihr Dad sich ihr in der kürzestmöglichen Zeitspanne widmen. Sie hatten beide drei Fragen frei. Keine Tabuthemen, und man musste ehrlich antworten. Für den Rest der Zeit versprach Dad, sich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen – was leicht war, denn er war ja nie da.

Piper wusste, dass die meisten anderen so ein Frage-und-Antwort-Spiel mit ihren Eltern unfassbar peinlich finden würden. Aber sie freute sich darauf. Es war wie Surfen – nicht leicht, aber sie bekam dabei das Gefühl, dass sie eben doch einen Vater hatte.

»Erste Frage«, sagte sie. »Mom.«

Das war keine Überraschung. Diese Frage war immer dabei.

Ihr Dad zuckte resigniert mit den Schultern. »Was möchtest du wissen, Piper? Ich habe es dir doch schon gesagt – sie ist verschwunden. Ich weiß nicht, warum oder wohin sie gegangen ist. Nach deiner Geburt war sie einfach weg. Ich habe nie wieder von ihr gehört.«

»Glaubst du, sie lebt noch?«

Das war keine echte Frage. Dad durfte sagen, dass er es nicht wusste. Aber sie wollte hören, wie er antworten würde.

Er starrte die Wellen an.

»Dein Großvater Tom«, sagte er endlich, »hat mir immer gesagt, wenn du weit genug auf den Sonnenuntergang zuwanderst, dann kommst du ins Geisterland, wo du mit den Toten sprechen kannst. Er hat gesagt, vor langer Zeit konnte man die Toten mit sich zurückbringen, aber dann haben die Menschen es verbockt. Na ja, das ist eine lange Geschichte.«

»Wie das Land der Toten für die Griechen«, erinnerte sich Piper. »Auch das lag im Westen. Und Orpheus – der hat versucht, seine Frau zurückzuholen.«

Dad nickte. Ein Jahr zuvor hatte er seine größte Rolle als griechischer König der Antike gespielt. Piper hatte ihm geholfen, die Sagen durchzugehen, die vielen alten Geschichten über Leute, die in Stein verwandelt und in Lavaseen gekocht wurden. Es hatte Spaß gemacht, sie zusammen zu lesen, und Piper schien ihr Leben gar nicht so übel. Eine Zeit lang hatte sie sich ihrem Dad näher gefühlt, aber natürlich war es nicht von Dauer gewesen.

»Es gibt eine Menge Parallelen zwischen Griechen und Cherokees«, sagte Dad zustimmend. »Was würde dein Opa jetzt wohl sagen, wenn er uns sehen könnte, hier am westlichen Ende des Landes? Er würde uns wohl für Geister halten.«

»Soll das heißen, du glaubst diese Geschichten? Du meinst, Mom ist tot?«

Ihm traten Tränen in die Augen und Piper sah die Trauer dahinter. Auf den ersten Blick wirkte er rau und voller Selbstvertrauen, aber in seinen Augen lag solche Traurigkeit. Frauen wollten immer herausfinden, warum. Sie wollten ihn trösten, aber das gelang ihnen nie. Dad hatte Piper gesagt, das sei typisch Cherokee – sie alle hätten diese Düsterkeit in sich, durch Generationen voller Schmerz und Leid. Aber Piper dachte, dass das noch nicht alles sein könnte.

»Ich glaube diese Geschichten nicht«, sagte ihr Vater. »Es macht Spaß, sie zu erzählen, aber wenn ich wirklich an das Geisterland glaubte oder an Tiergeister oder griechische Götter … ich glaube, dann könnte ich nachts nicht schlafen. Ich würde immer jemanden suchen, dem ich die Schuld geben kann.«

Die Schuld dafür, dass Opa Tom an Lungenkrebs gestorben war, dachte Piper, ehe Dad berühmt wurde und das Geld gehabt hätte, um ihm zu helfen. Dafür, dass ihn Mom – die einzige Frau, die er je geliebt hatte – ohne auch nur einen Abschiedsgruß verlassen hatte, ihn allein mit einem frischgeborenen kleinen Mädchen, obwohl er noch gar nicht bereit war, für ein Baby zu sorgen. Dafür, dass er so erfolgreich war und doch nicht glücklich.

»Ich weiß nicht, ob sie noch lebt«, sagte er. »Aber ich glaube, sie könnte auch im Geisterland sein, Piper. Wir können sie nicht zurückholen. Wenn ich etwas anderes glaubte … das könnte ich wahrscheinlich auch nicht ertragen.«

Hinter ihnen wurde eine Autotür geöffnet. Piper drehte sich um und ihr Herz wurde schwer. Jane kam in ihrem Bürokostüm auf sie zumarschiert, sie wackelte auf ihren Stöckelschuhen durch den Sand und hielt ihren elektronischen Organizer in der Hand. Ihre Miene war gleichzeitig verärgert und triumphierend, und Piper wusste, dass sie mit der Polizei gesprochen hatte.

Bitte, fall hin, betete Piper. Wenn hier irgendein Tiergeist oder griechischer Gott helfen kann, dann mach, dass Jane auf die Nase fällt. Ihr soll ja nichts Schlimmes passieren, schaltet sie nur für den Rest des Tages aus, ja?

Aber Jane kam immer näher.

»Dad«, sagte Piper rasch. »Gestern ist mir da etwas passiert …«

Aber auch er hatte Jane gesehen. Er setzte schon wieder sein Dienstgesicht auf, denn Jane wäre nicht hier, wenn die Lage nicht ernst wäre. Ein Studio hatte angerufen, ein Projekt war geplatzt – oder Piper hatte wieder Mist gebaut.

»Wir reden später darüber, Pipes«, versprach er. »Ich muss jetzt erst hören, was Jane will. Du kennst sie ja.«

Ja – Piper kannte Jane. Dad trottete durch den Sand, um mit ihr zu sprechen. Piper konnte nicht hören, was sie sagten, aber das war auch nicht nötig. Sie war gut in der Kunst, Gesichter zu lesen. Jane erzählte ihm die Sache mit dem gestohlenen Auto und zeigte manchmal auf Piper wie auf ein ungezogenes Haustier, das auf den Teppich gepinkelt hatte.