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Jason griff in die Hosentasche. Seine Münze leuchtete in der Luft auf, und als er sie auffing, hielt er eine Lanze in der Hand, einen goldenen Stiel, etwas über zwei Meter lang, mit einer Speerspitze am einen Ende. Die anderen Halbgötter schnappten nach Luft. Rachel und Annabeth wichen zurück, um der Spitze zu entgehen, die so scharf aussah wie ein Eispickel.

»War das nicht …« Annabeth zögerte. »Ich dachte, das sei ein Schwert.«

»Na, es ist wohl auf Zahl gelandet«, sagte Jason. »Das ist eben die Seite für Langstreckenwaffen.«

»Mann, ich will auch eine!«, schrie jemand aus der Ares-Hütte.

»Besser als Clarisse’ elektrischer Speer«, stimmte einer seiner Brüder zu.

»Elektrisch«, murmelte Jason, als sei das eine schöne Idee. »Weg da.« Annabeth und Rachel hatten verstanden. Jason hob den Speer und am Himmel grollte der Donner los. Die Haare an Pipers Armen sträubten sich. Blitze jagten durch die goldene Speerspitze und trafen das Lagerfeuer mit der Wucht einer Artilleriebombe.

Als der Rauch sich verzog und Pipers Ohren nicht mehr schrillten, saß das gesamte Camp erstarrt im Schock da, halb blind, von Asche übersät, und starrte die Stelle an, wo vorher das Feuer gewesen war. Überall regnete es Ascheflocken. Ein brennendes Stück Holz hatte sich einige Zentimeter von dem schlafenden Clovis entfernt in den Boden gebohrt, und Clovis hatte sich nicht einmal bewegt.

Jason ließ den Speer sinken. »Äh … tut mir leid.«

Chiron wischte sich brennende Kohlen aus dem Bart. Er schnitt eine Grimasse, als ob seine schlimmsten Ahnungen sich bestätigt hätten. »Ein wenig übertrieben vielleicht, aber du hast die Sache klargestellt. Und ich glaube, wir wissen jetzt, wer dein Vater ist.«

»Jupiter«, sagte Jason. »Ich meine, Zeus. Der Herr des Himmels.«

Piper konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das war total überzeugend. Der mächtigste Gott, Vater der größten Helden in den antiken Sagen – natürlich konnte kein anderer Jasons Dad sein.

Die anderen im Camp schienen allerdings nicht so überzeugt zu sein. Chaos brach aus, und Dutzende von Campinsassen stellten Fragen, bis Annabeth die Arme hob.

»Aufhören!«, sagte sie »Wie kann er der Sohn des Zeus sein? Die Großen Drei haben verabredet, keine sterblichen Kinder zu zeugen … Und wieso haben wir nicht schon früher von ihm erfahren?«

Chiron gab keine Antwort, aber Piper hatte das Gefühl, dass er es wusste und dass es nichts Gutes war.

»Wichtig ist jetzt«, sagte Rachel, »dass Jason hier bei uns ist. Er hat einen Auftrag zu erfüllen, und das bedeutet, dass er seine eigene Weissagung braucht.«

Sie schloss die Augen und sank in sich zusammen. Zwei Campbewohner stürzten vor und fingen sie auf und ein dritter rannte an den Rand des Amphitheaters und schnappte sich einen bronzenen Dreifuß, als ob sie diesen Einsatz geübt hätten. Sie setzten Rachel vor der erloschenen Feuerstätte auf den Dreifuß. Ohne das Feuer war die Nacht dunkel, aber nun wirbelte grüner Nebel um Rachels Füße. Als sie die Augen öffnete, glühten sie. Smaragdgrüner Rauch entwich aus ihrem Mund. Die Stimme, die jetzt sprach, war rau und uralt – so würde eine Schlange sich anhören, wenn sie reden könnte.

»Kind des Blitzes, hüte dich vor der Erde

an den Sieben wollen die Riesen sich rächen

Schmied und Taube den Käfig zerbrechen

Durch Heras Zorn der Tod befreit dann werde.»

Beim letzten Wort brach Rachel zusammen, aber die Helfer standen schon bereit. Sie trugen sie von der Feuerstätte fort und legten sie auf die Erde, damit sie sich ausruhen konnte.

»Macht sie das öfter?«, fragte Piper. Dann merkte sie, dass sie das Schweigen gebrochen hatte und sie alle anstarrten. »Ich meine … spuckt sie oft grünen Rauch?«

»Bei den Göttern, bist du blöd!«, spottete Drew. »Sie hat soeben eine Weissagung verkündet – die Weissagung für Jason, der Hera retten soll! Warum kannst du nicht einfach …«

»Drew«, fauchte Annabeth. »Piper hat eine sinnvolle Frage gestellt. Etwas an dieser Weissagung ist eindeutig nicht logisch. Wenn Heras Zorn losbricht, sobald ihr Käfig zerbrochen wird, und wenn das zu Toten führt … warum sollten wir sie dann befreien? Das könnte eine Falle sein, oder – oder vielleicht wird Hera ihre Retter angreifen. Sie war noch nie gnädig gegenüber Helden.«

Jason erhob sich. »Ich habe keine Wahl. Hera hat mir mein Gedächtnis genommen. Das will ich zurückhaben. Außerdem können wir die Königin des Himmels nicht einfach im Stich lassen, wenn sie Probleme hat.«

Ein Mädchen aus der Hephaistos-Hütte stand auf – Nyssa, die mit dem roten Tuch um die Haare. »Vielleicht hast du Recht. Aber du solltest auf Annabeth hören. Hera kann sehr rachsüchtig sein. Sie hat ihren eigenen Sohn – unseren Dad – von einem Berg geworfen, nur weil er hässlich war.«

»Grottenhässlich«, kicherte jemand aus der Aphrodite-Hütte.

»Klappe!«, knurrte Nyssa. »Und wir müssen uns auch fragen – warum soll Jason sich vor der Erde hüten? Und was soll das mit der Rache der Riesen? Womit haben wir es hier zu tun, was ist mächtig genug, um die Königin des Himmels zu entführen?«

Niemand gab eine Antwort, aber Piper sah, dass Annabeth und Chiron sich stumm verständigten. Pipers Vermutung nach ging das ungefähr so:

Annabeth: Die Rache der Riesen … nein, das kann nicht sein.

Chiron: Erwähne das nicht. Mach ihnen keine Angst.

Annabeth: Sie machen Witze. So ein Pech können wir einfach nicht haben.

Chiron: Später, Kind. Wenn du ihnen alles erzählst, haben sie zu große Angst, um weiterzumachen.

Piper wusste, dass es verrückt war, sich einzubilden, sie könnte ihnen das alles vom Gesicht ablesen – zwei Leuten, die sie kaum kannte. Aber sie war absolut sicher, dass sie sie verstanden hatte, und das machte ihr eine Wahnsinnsangst.

Annabeth holte tief Atem. »Das ist Jasons Einsatz«, sagte sie dann. »Also ist es Jasons Entscheidung. Ganz offenbar ist er ein Kind des Blitzes. Und der Tradition getreu darf er sich zwei Reisegefährten aussuchen.«

Jemand aus der Hermes-Hütte rief: »Na, dich natürlich, Annabeth. Du hast die meiste Erfahrung.«

»Nein, Travis«, sagte Annabeth. »Zum einen werde ich Hera auf keinen Fall helfen. Immer, wenn ich das versucht habe, hat sie mich getäuscht oder es hat mir irgendwie geschadet. Das kannst du vergessen. Nie im Leben. Zweitens breche ich morgen früh auf, um Percy zu suchen.«

»Das hängt zusammen«, rutschte es Piper heraus, ohne dass sie wusste, woher sie den Mut nahm. »Das weißt du doch, oder? Diese ganze Geschichte, das Verschwinden deines Freundes – das alles hängt zusammen.«

»Wie denn?«, fragte Drew. »Wenn du so clever bist, sag’s uns!«

Piper versuchte, eine Antwort zu formulieren, aber das gelang ihr nicht.

Annabeth rettete sie. »Vielleicht hast du Recht, Piper. Und wenn das alles zusammenhängt, dann versuche ich es eben vom anderen Ende her – indem ich Percy suche. Wie gesagt, ich werde nicht losstürzen, um Hera zu retten, auch wenn ihr Verschwinden die restlichen Olympier wieder gegeneinander aufbringt. Aber es gibt noch einen Grund, warum ich nicht mit Jason gehen kann. Die Weissagung sagt etwas anderes.«

»Die sagt, wen ich mir aussuche«, sagte Jason zustimmend. »Schmied und Taube den Käfig zerbrechen. Der Schmied ist ja wohl Vul …, äh, Hephaistos.«

Unter dem Banner von Hütte 9 ließ Nyssa die Schultern sinken, als sei ihr soeben ein Amboss daraufgelegt worden. »Wenn du dich vor der Erde hüten musst«, sagte sie, »dann solltest du nicht über Land reisen. Du brauchst ein Transportmittel durch die Luft.«