»Äh, was?«, fragte Jason.
»Den Göttern sei Dank!« Aeolus seufzte vor Erleichterung. »Es ist jetzt – wie lange? Dreitausend Jahre her, dass Zeus mich zum Herrn der Winde gemacht hat. Nicht, dass ich undankbar wäre, das natürlich nicht. Aber mal im Ernst, mein Vertrag ist so vage. Offenbar bin ich unsterblich, aber Herr der Winde? Was bedeutet das? Bin ich ein Naturgeist? Ein Halbgott? Ein Gott? Ich wäre gern der Gott der Winde, denn die Vorteile sind so viel größer. Können wir damit anfangen?«
Jason sah seine Freunde verwirrt an.
»He«, sagte Leo, »Ihr glaubt, wir seien hier, um Euch zu befördern?«
»Es stimmt also?« Aeolus grinste. Sein Anzug wurde tiefblau – nicht eine einzige Wolke war zu sehen. »Wunderbar! Ich glaub, ich war ganz schön innovativ mit dem Wetterkanal, oder? Und dann werde ich natürlich dauernd in den Medien erwähnt. Und alle diese Bücher, die über mich geschrieben worden sind: Denn der Wind kann nicht lesen, Wind im Mond, Der Wind in den Weiden, Vom Winde verweht …«
»Äh, ich glaube, die handeln nicht von Euch«, sagte Jason, ehe er sah, dass Mellie den Kopf schüttelte.
»Unsinn«, sagte Aeolus. »Mellie, das sind doch Biografien über mich, oder?«
»Aber sicher doch, Sir«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
»Da habt ihr es. Ich selbst lese ja nicht. Wer hat schon die Zeit dazu? Aber die Sterblichen lieben mich offenbar. Also ändern wir meinen offiziellen Titel zu ›Gott der Winde‹. Und was mein Gehalt und die Angestellten angeht …«
»Sir«, sagte Jason. »Wir kommen nicht vom Olymp.«
Aeolus blinzelte. »Aber …«
»Ich bin der Sohn des Zeus, das schon«, sagte Jason, »aber wir sind nicht hier, um über Euren Vertrag zu verhandeln. Wir haben einen Auftrag zu erledigen und brauchen Eure Hilfe.« Das Gesicht des Aeolus verhärtete sich. »Wie beim letzten Mal? Wie jeder Held, der herkommt? Halbgötter! Ihr denkt auch nur an euch selbst, oder?«
»Sir, bitte, ich kann mich an das letzte Mal nicht erinnern, aber wenn Ihr mir schon einmal geholfen habt …«
»Ich helfe immer. Na ja, manchmal zerstöre ich auch, aber meistens helfe ich und manchmal soll ich beides gleichzeitig machen. Wie bei Aeneas, dem ersten von deiner Sorte …«
»Von meiner Sorte?« fragte Jason. »Ihr meint, Halbgötter?«
»Also bitte!«, sagte Aeolus. »Ich meine deinen Zweig der Halbgötter. Du weißt schon. Aeneas, Sohn der Venus – einziger überlebender Held von Troja. Als die Griechen seine Stadt abgefackelt haben, floh er nach Italien und gründete dort das Königreich, aus dem dann später Rom wurde, bla, bla, bla. Das habe ich gemeint.«
»Ich kapier das nicht«, gab Jason zu.
Aeolus verdrehte die Augen. »Es geht darum, dass ich auch in diesen Konflikt hineingezogen wurde. Juno sagt: ›Ach, Aeolus, mach doch bitte mir zuliebe die Schiffe des Aeneas kaputt. Ich kann den Kerl nicht leiden.‹ Dann sagt Neptun: ›Oh nein, das lässt du lieber. Das ist meine Baustelle. Beruhige du die Winde.‹ Und dann schreit Juno: ›Nein, lass seine Schiffe zerschellen, oder ich sag Jupiter, dass du nicht helfen willst.‹ Meinst du, es ist leicht, da einen goldenen Mittelweg zu finden?«
»Nein«, sagte Jason. »Das wohl eher nicht.«
»Und komm mir bloß nicht mit Amelia Earhart! Ich werde immer noch vom Olymp heruntergeputzt, weil ich sie vom Himmel geschüttelt habe.«
»Wir hätten nur gern eine Auskunft«, sagte Piper mit ihrer beruhigendsten Stimme. »Wir haben gehört, dass Ihr alles wisst.«
Aeolus strich sich das Revers glatt und sah gleich ein wenig besänftigt aus. »Na ja … das stimmt natürlich. Zum Beispiel weiß ich, dass diese Sache hier« – er zeigte mit wackelndem Finger auf seine drei Gäste –, »dieser hirnrissige Plan der Juno, euch alle zusammenzubringen, vermutlich mit einem Blutbad enden wird. Und was dich angeht, Piper McLean, da weiß ich, dass dein Vater ziemlich in Schwierigkeiten steckt.« Er streckte die Hand aus und ein Papierfetzen flatterte hinein. Es war ein Foto von Piper mit einem Typen, der ihr Dad sein musste. Sein Gesicht kam Jason tatsächlich bekannt vor. Er war ziemlich sicher, dass er ihn im Kino gesehen hatte.
Piper nahm das Foto. Ihre Hände zitterten. »Das … das ist aus seiner Brieftasche.«
»Ja«, sagte Aeolus. »Alles, was durch den Wind verlorengeht, landet irgendwann bei mir. Dieses Foto wurde weggeweht, als die Erdgeborenen ihn gefangen genommen haben.«
»Wer?«, fragte Piper.
Aeolus winkte ab und musterte Leo aus zusammengekniffenen Augen. »Und du, Sohn des Hephaistos … ja, ich sehe auch deine Zukunft.« Noch ein Stück Papier fiel in die Hände des Windgottes – eine alte zerfetzte Buntstiftzeichnung.
Leo nahm sie so vorsichtig in die Hand, als ob sie mit Gift überzogen wäre. Er taumelte rückwärts.
»Leo?«, fragte Jason. »Was ist das?«
»Etwas, das ich … das ich als Kind gezeichnet habe.« Er faltete das Bild zusammen und steckte es in die Tasche. »Es ist … ach, es ist nicht wichtig.«
Aeolus lachte. »Wirklich? Nur der Schlüssel zu eurem Erfolg! Also, wo waren wir? Ach ja, ihr wolltet eine Auskunft. Seid ihr euch da sicher? Auskünfte können durchaus gefährlich sein.«
Er lächelte Jason herausfordernd an. Hinter ihm schüttelte Mellie warnend den Kopf.
»Ja«, sagte Jason. »Wir müssen Enceladus finden.«
Aeolus’ Lächeln löste sich auf. »Den Riesen? Warum? Der ist furchtbar! Und er sieht sich nicht mal meine Sendung an!«
Piper hielt das Foto hoch. »Aeolus, er hält meinen Vater gefangen. Wir müssen ihn retten und herausfinden, wo Hera gefangen gehalten wird.«
»Aber das ist unmöglich«, sagte Aeolus. »Nicht einmal ich kann das sehen, und ihr könnt mir glauben, ich habe es versucht. Ein magischer Schleier umhüllt Heras Aufenthaltsort – sehr stark und unmöglich zu lokalisieren.«
»Sie ist an einem Ort namens Wolfshaus«, sagte Jason.
»Moment mal!« Aeolus legte sich eine Hand an die Stirn und schloss die Augen. »Da kommt etwas. Ja, sie ist an einem Ort namens Wolfshaus. Leider weiß ich nicht, wo das liegt.«
»Aber das weiß Enceladus«, sagte Piper hartnäckig. »Wenn Ihr uns helft, ihn zu finden, können wir den Aufenthaltsort der Göttin in Erfahrung bringen …«
»Ja«, sagte Leo, der begriffen hatte, worauf sie hinauswollte. »Und wenn wir sie retten, wird sie Euch ewig dankbar sein …«
»Und dann werdet Ihr vielleicht von Zeus befördert«, vollendete Jason den Satz.
Aeolus hob die Augenbrauen. »Eine Beförderung – und ihr wollt nur von mir wissen, wo der Riese sich aufhält?«
»Na ja, wenn Ihr uns auch hinschaffen könntet«, sagte Jason, »das wäre großartig.«
Mellie klatschte in vor Aufregung in die Hände. »Das könnte er! Er schickt oft helfende Winde …«
»Mellie, still!« fauchte Aeolus. »Ich bekomme fast Lust, dich zu feuern, weil du diese Leute unter falschen Voraussetzungen reingelassen hast.«
Sie wurde bleich. »Ja, Sir, Entschuldigung, Sir.«
»Es war nicht ihre Schuld«, sagte Jason. »Aber was diese Hilfe angeht …«
Aeolus legte den Kopf schräg, als ob er nachdächte. Dann ging Jason auf, dass der Herr der Winde den Stimmen in seinem Ohrstöpsel lauschte.
»Also … Zeus ist einverstanden«, murmelte Aeolus. »Er sagt … er sagt, es wäre besser, wenn ihr mit Heras Rettung bis nach dem Wochenende warten könntet, weil er eine große Party plant – au! Jetzt schreit Aphrodite los und erinnert ihn daran, dass die Sonnenwende mit der Dämmerung losgeht. Sie sagt, ich soll euch helfen. Und Hephaistos – ja. Hmm. Sie sind nur höchst selten einer Meinung. Wartet noch mal …«
Jason lächelte seine Freunde an. Endlich hatten sie ein wenig Glück. Ihre göttlichen Eltern setzten sich für sie ein.
Vom Eingang her hörte Jason ein lautes Rülpsen. Trainer Hedge kam aus dem Vorraum hereingewatschelt und sein ganzes Gesicht war mit Gras verschmiert. Mellie sah ihn über den improvisierten Boden näher kommen und schnappte nach Luft. »Wer ist das denn?«