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»Ach, das war sicher Mellie«, sagte Hedge und kaute glücklich auf seiner Nelke herum. »Diese Winde haben uns durch das halbe Land geschossen, vermute ich. Wir wären bestimmt plattgemacht worden, aber Mellies letztes Geschenk – eine feine sanfte Brise – hat unseren Fall gepolstert.«

»Und unseretwegen ist sie gefeuert worden«, sagte Leo. »Mann, was sind wir für Versager.«

»Ach, der passiert schon nichts«, sagte Hedge. »Und sie kam eben nicht dagegen an. Ich habe immer diese Wirkung auf Nymphen. Ich werde mich bei ihr melden, wenn wir diesen Auftrag erledigt haben, und ihr helfen, eine Lösung zu finden. Das ist wirklich eine Aura, mit der ich mich häuslich niederlassen und eine Herde von Zicklein aufziehen könnte.«

»Mir wird schlecht«, sagte Piper. »Möchte sonst noch jemand Kaffee?«

»Kaffee!«, Hedges Grinsen war von der Blume blau gefleckt. »Ich schwärme für Kaffee!«

»Äh«, sagte Jason. »Aber – Geld? Wo sind unsere Rucksäcke?«

Piper schaute nach unten. Die Rucksäcke lagen zu ihren Füßen und alles schien noch vorhanden zu sein. Sie griff in die Tasche und fand zwei Dinge, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Das eine war ein Stapel Banknoten. Das andere war eine Glasphiole – der Vergessenstrank. Sie ließ die Phiole in der Tasche und zog das Geld hervor. Leo stieß einen Pfiff aus. »Taschengeld? Piper, deine Mom ist super!«

»Bedienung!«, rief Hedge. »Sechs doppelte Espresso und was immer die anderen möchten. Setzen Sie es auf die Rechnung dieser Dame hier.«

Sie brauchten nicht lange, um festzustellen, wo sie sich befanden. Auf den Speisekarten stand »Café Verve, Walnut Creek, CA.«. Und von der Kellnerin erfuhren sie, dass es neun Uhr morgens am 21. Dezember war, am Tag der Wintersonnenwende, was ihnen bis zum Ende von Enceladus’ Frist noch drei Stunden gab.

Sie brauchten auch nicht nach dem Mount Diablo zu fragen. Sie konnten ihn am Horizont sehen, gleich am Ende der Straße. Im Vergleich zu den Rockies sah er nicht gerade groß aus, und verschneit war er auch nicht. Er wirkte geradezu friedlich, die goldenen Felsspalten waren von graugrünen Bäumen bewachsen. Aber bei Bergen konnte die Größe täuschen, das wusste Piper. Aus der Nähe war er bestimmt viel größer. Und das Aussehen konnte auch täuschen. Hier saßen sie – wieder in Kalifornien, wo Piper angeblich zu Hause war –, mit sonnigem Himmel, mildem Wetter, gelassenen Leuten und einem Teller voll Scones mit Schokosplittern und Kaffee. Und nur wenige Meilen entfernt, auf diesem friedlichen Berg, machte ein supermächtiger, supergemeiner Riese sich bereit, Pipers Vater zum Mittagessen zu verzehren.

Leo zog etwas aus der Tasche – die alte Buntstiftzeichnung, die Aeolus ihm gegeben hatte. Aphrodite hielt sie offenbar für wichtig, da sie sie auf magische Weise in seine neue Hose verpflanzt hatte.

»Was ist das?«, fragte Piper.

Leo faltete die Zeichnung vorsichtig wieder zusammen und steckte sie weg. »Nichts. Meine Kindergartenkunst interessiert dich sicher nicht.«

»Das ist aber mehr«, vermutete Jason. »Aeolus hat gesagt, das sei der Schlüssel zu unserem Erfolg.«

Leo schüttelte den Kopf. »Nicht heute. Er hat … später gemeint.«

»Wie kannst du da so sicher sein?«, fragte Piper.

»Glaub mir«, sagte Leo. »Und – wie ist unser Einsatzplan?«

Trainer Hedge rülpste. Er hatte schon drei Espresso und einen Teller Donuts intus, dazu zwei Servietten und eine Blume aus der Vase auf dem Tisch. Fast hätte er auch das Besteck gegessen, aber Piper haute ihm auf die Finger.

»Auf den Berg steigen«, sagte Hedge. »Alles umbringen, außer Pipers Dad. Wieder runterkommen.«

»Danke sehr, General Eisenhower«, murmelte Jason.

»He, war doch nur ein Vorschlag.«

»Jungs«, sagte Piper. »Es gibt da noch etwas, das ihr wissen müsst.«

Es war schwierig zu erzählen, denn sie durfte ja ihre Mom nicht erwähnen, aber sie behauptete einfach, in ihrem Traum einiges durchschaut zu haben. Und sie nannte ihnen ihre eigentliche Feindin: Gaia.

»Gaia?«, fragte Leo. »Ist das nicht Mutter Natur? Hat die nicht Blumen in den Haaren, und Vögel singen, wo immer sie hinkommt, und Rehe und Kaninchen waschen für sie?«

»Leo, das ist Schneewittchen«, sagte Piper.

»Okay, aber …«

»Hör mal, Zuckerpüppchen.« Trainer Hedge wischte sich Espresso aus seinem Ziegenbart. »Piper erzählt uns hier ernste Dinge. Gaia ist kein Weichei. Ich glaube, nicht einmal ich könnte sie besiegen.«

Leo stieß einen Pfiff aus. »Wirklich?«

Hedge nickte. »Diese Erddame – sie und ihr Macker, der Himmel, waren ein übles Gespann.«

»Uranos«, sagte Piper. Sie konnte nicht anders als zum blauen Himmel hochschauen und sich fragen, ob der Augen hatte.

»Genau«, sagte Hedge. »Uranos, der war so eine Art Rabenvater. Er schmeißt ihre ersten Kinder, die Zyklopen, in den Tartarus. Gaia ist stocksauer, wartet aber erst mal ab. Dann kommt der zweite Wurf – die zwölf Titanen – und Gaia hat Angst, auch die könnten ins Gefängnis geworfen werden. Also geht sie zu ihrem Sohn Kronos …«

»Der Superfiesling«, sagte Leo. »Der, den sie vorigen Sommer besiegt haben.«

»Genau. Und Gaia gibt ihm die Sense und sagt: ›Hör mal zu, soll ich nicht mal deinen Dad herrufen? Und wenn er mit mir redet und gerade nicht aufpasst, kannst du ihn in Stücke hauen. Dann beherrschst du die Welt. Wäre das nicht klasse?‹«

Niemand sagte etwas. Pipers Scone sah plötzlich gar nicht mehr so appetitlich aus. Obwohl sie die Geschichte schon kannte, konnte sie sie einfach nicht fassen. Sie versuchte, sich einen Jungen vorzustellen, der so gestört war, dass er nur aus Machtgier seinen eigenen Vater umbrachte. Dann stellte sie sich eine Mutter vor, die so gestört war, dass sie ihren eigenen Sohn dazu überredete.

»Eindeutig nicht Schneewittchen«, sagte sie dann.

»Nö. Kronos war echt ein mieser Typ. Aber Gaia ist im wahrsten Sinne des Wortes die Mutter aller miesen Typen. Sie ist so alt und mächtig und riesig, dass sie nur mit Mühe bei vollem Bewusstsein sein kann. Meistens schläft sie, und so ist sie uns am liebsten – wenn sie schnarcht.«

»Aber sie hat zu mir gesprochen«, sagte Leo. »Wie kann sie da schlafen?«

Hedge wischte sich die Krümel von seiner kanariengelben Jacke. Er war jetzt bei seinem sechsten Espresso und seine Pupillen wurden immer größer. »Auch im Schlaf ist ein Teil ihres Bewusstseins aktiv – es träumt, beobachtet, unternimmt kleine Dinge wie Vulkane ausbrechen und Monster auferstehen lassen. Auch jetzt ist sie nicht ganz wach. Und glaubt mir, ganz wach möchtet ihr sie nicht erleben.«

»Aber sie wird mächtiger«, sagte Piper. »Sie bringt die Riesen dazu, sich zu erheben. Und wenn der König der Riesen zurückkommt – dieser Porphyrion …«

»Dann wird er eine Armee zusammenrufen, um die Götter zu vernichten«, warf Jason dazwischen. »Sie werden mit Hera anfangen. Es wird wieder Krieg geben. Und Gaia wird vollständig erwachen.«

Hedge nickte. »Weshalb es schlau von uns wäre, uns so wenig wie möglich auf dem Boden aufzuhalten.«

Leo schaute misstrauisch zum Mount Diablo hoch. »Also … auf einen Berg steigen wäre zum Beispiel nicht gut.«

Pipers Herz wurde schwer. Zuerst hatte sie ihre Freunde verraten sollen. Jetzt wollten die versuchen, ihren Dad zu retten, auch wenn sie wussten, dass sie dabei in eine Falle gingen. Die Vorstellung, mit einem Riesen zu kämpfen, war beängstigend genug gewesen. Aber die Vorstellung, dass Gaia dahintersteckte – eine größere Macht als ein Gott oder ein Titan …

»Jungs, ich kann das nicht von euch verlangen«, sagte Piper. »Das ist zu gefährlich.«

»Machst du Witze?« Hedge rülpste und zeigte ihnen sein blaues Nelkenlächeln. »Wer ist bereit zum Losschlagen?«

XLI

Leo

Leo hoffte, das Taxi werde sie bis zum Gipfel bringen.

Aber so viel Glück hatten sie nicht. Der Wagen schlingerte und ächzte, als er sich die Bergstraße hochmühte, und auf halber Höhe versperrte eine Kette den Weg.