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»Das Tal ist vor sterblichen Augen geschützt«, sagte Annabeth. »Wie du siehst, ist auch das Wetter magisch kontrolliert. Jede Hütte stellt eine griechische Gottheit dar – und dort können die Kinder dieser Gottheit wohnen.«

Sie sah Piper an, um festzustellen, wie Piper mit dieser Mitteilung fertig würde.

»Du meinst, meine Mom war eine Göttin?«

Annabeth nickte. »Du nimmst das ungeheuer gelassen auf.«

Piper konnte ihr nicht sagen, warum. Sie konnte nicht sagen, dass sich nun einige der seltsamen Gefühle bestätigten, die sie seit Jahren hatte, Diskussionen, die sie mit ihrem Vater darüber geführt hatte, warum es im Haus kein Foto von Mom gab, und warum er ihr niemals genau sagen wollte, wie oder warum ihre Mom sie verlassen hatte. Aber vor allem dachte sie an den Traum, der sie gewarnt hatte, dass das hier passieren würde. Bald werden sie dich finden, Halbgöttin, hatte die Stimme gedröhnt. Und dann musst du unseren Anweisungen folgen. Tu, was wir dir sagen, dann wird dein Vater vielleicht überleben.

Piper holte zitternd Atem. »Nach diesem Morgen ist das irgendwie leichter zu glauben. Und wer ist nun meine Mom?«

»Das werden wir sicher bald erfahren«, sagte Annabeth. »Du bist – fünfzehn? Eigentlich solltest du mit dreizehn anerkannt werden. Das war die Abmachung.«

»Die Abmachung?«

»Sie mussten im vergangenen Sommer versprechen … na ja, lange Geschichte … jedenfalls haben sie versprochen, ihre Halbgottkinder nicht mehr zu ignorieren, sondern sie anzuerkennen, ehe sie dreizehn werden. Manchmal dauert es ein wenig länger, aber du hast ja gesehen, wie schnell Leo anerkannt wurde, als er erst einmal hier war. Sollte bei dir eigentlich auch so sein. Heute Abend am Lagerfeuer kriegen wir sicher ein Zeichen.«

Piper überlegte, ob ihr auch ein riesiger flammender Hammer über dem Kopf schweben würde – oder, bei ihrem üblichen Glück, etwas noch Peinlicheres. Eine flammende Beutelratte vielleicht. Wer immer ihre Mutter sein mochte, Piper hatte keinen Grund zu der Annahme, dass sie voller Stolz eine kleptomanische Tochter mit haufenweisen Problemen anerkennen würde. »Warum mit dreizehn?«

»Je älter du wirst«, sagte Annabeth, »umso mehr Monster werden auf dich aufmerksam und wollen dich umbringen. Das geht meistens los, wenn man um die dreizehn ist. Deshalb schicken wir Beschützer in die Schulen, um euch zu finden und euch ins Camp zu holen, ehe es zu spät ist.«

»Wie Trainer Hedge?«

Annabeth nickte. »Er ist – er war ein Satyr: halb Mann, halb Ziege. Satyrn arbeiten für das Camp, suchen Halbgötter, beschützen sie und bringen sie her, wenn die Zeit gekommen ist.«

Es fiel Piper absolut nicht schwer zu glauben, dass Trainer Hedge eine halbe Ziege war. Sie hatte den Typen essen sehen. Sie hatte ihn niemals besonders gut leiden mögen und konnte kaum glauben, dass er sich geopfert hatte, um sie, Leo und Jason zu retten.

»Was ist mit ihm passiert?«, fragte sie. »Als er in die Wolken aufgestiegen ist, ist er da … ist er wirklich tot?«

»Schwer zu sagen.« Annabeth machte ein gequältes Gesicht. »Sturmgeister … es ist schwer, mit denen zu kämpfen. Sogar unsere besten Waffen aus himmlischer Bronze fahren einfach durch sie durch, wenn du sie nicht überraschen kannst.«

»Jasons Schwert hat sie einfach zu Staub zerfallen lassen«, erinnerte sich Piper.

»Da hat er Glück gehabt. Wenn du ein Monster richtig triffst, kannst du es zerfallen lassen und sein Wesen zurück in den Tartarus schicken.«

»Den Tartarus?«

»Das ist ein riesiger Abgrund in der Unterwelt, wo die schlimmsten Monster herkommen. So eine Art bodenlose Grube des Bösen. Wenn Monster sich erst mal aufgelöst haben, dann dauert es meistens Monate oder sogar Jahre, bis sie sich wieder materialisieren können. Doch dieser Sturmgeist, Dylan, ist entkommen – und ich habe keine Ahnung, warum er Hedge am Leben lassen sollte. Aber Hedge war schließlich Beschützer. Er kannte die Risiken. Satyrn haben keine sterblichen Seelen. Er wird als Baum oder Blume oder so was reinkarniert werden.«

Piper versuchte, sich Trainer Hedge als überaus zorniges Stiefmütterchen vorzustellen, und fühlte sich gleich noch elender.

Sie starrte die Hütten unten im Tal an und ein Gefühl von Unwohlsein überkam sie. Hedge war gestorben, um sie unversehrt herzuschaffen. Irgendwo da unten war die Hütte ihrer Mutter, und das bedeutete, dass sie Brüder und Schwestern hatte, noch mehr Leute, die sie verraten müsste. Tu, was wir dir sagen, hatte die Stimme gesagt. Oder es wird furchtbare Folgen haben. Sie klemmte ihre Hände unter die Arme, um sie am Zittern zu hindern.

»Das findet sich schon«, versprach Annabeth. »Du hast hier Freunde. Wir haben alle ganz schön viel durchgemacht. Wir wissen, wir dir jetzt zu Mute ist.«

Das bezweifele ich, dachte Piper. »Ich bin in den vergangenen fünf Jahren von fünf Schulen geflogen«, sagte sie. »Mein Dad weiß schon nicht mehr, wohin mit mir.«

»Nur fünf?« Annabeth ließ das nicht klingen wie eine Scherzfrage. »Piper, wir sind alle als Unruhestifter abgestempelt. Ich bin mit sieben von zu Hause weggelaufen.«

»Echt?«

»Allerdings. Bei den meisten von uns ist ein Aufmerksamkeitsdefizit oder Legasthenie oder beides diagnostiziert worden …«

»Leo ist hyperaktiv«, sagte Piper.

»Siehst du. Das liegt daran, dass wir auf Schlachten gepolt sind. Ruhelos, impulsiv – wir sind nicht wie normale Kinder. Wenn du wüsstest, wie viel Ärger Percy …« Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Jedenfalls haben Halbgötter einen schlechten Ruf. Was hast du dir denn für Ärger eingehandelt?«

Wenn sonst jemand diese Frage stellte, fing Piper Streit an, wechselte das Thema oder lenkte irgendwie ab. Aber aus irgendeinem Grund ertappte sie sich jetzt bei der Wahrheit.

»Ich klaue«, sagte sie. »Na ja, klauen trifft es nicht ganz …«

»Kommst du aus einer armen Familie?«

Piper lachte bitter. »Nicht einmal das. Ich mache das … ich weiß nicht, warum. Um Aufmerksamkeit zu bekommen, nehme ich an. Mein Dad hat nie Zeit, wenn ich nicht gerade Ärger habe.«

Annabeth nickte. »Das kenne ich. Aber du hast gesagt, klauen sei nicht das richtige Wort. Wie meinst du das?«

»Na ja … das glaubt mir nie jemand. Die Polizei nicht, die Lehrer nicht – nicht einmal die Leute, denen ich Sachen wegnehme. Es ist ihnen so peinlich, die streiten alles ab. Aber die Wahrheit ist, ich klaue gar nichts. Ich bitte einfach darum. Und kriege es sofort. Sogar ein BMW Cabrio. Ich habe nur gefragt. Und der Verkäufer sagte, klar doch, nimm es. Später ging ihm wohl auf, was er getan hatte. Und dann hat er die Polizei auf mich gehetzt.«

Piper wartete. Sie war daran gewöhnt, als Lügnerin bezeichnet zu werden, aber als sie aufschaute, nickte Annabeth nur.

»Interessant. Wenn dein Dad die Gottheit wäre, würde ich sagen, du bist ein Kind des Hermes, des Gottes der Diebe. Der kann ganz schön überzeugend sein. Aber wenn dein Dad sterblich ist …«

»Und wie«, sagte Piper.

Annabeth schüttelte den Kopf und wusste nicht weiter. »Also, keine Ahnung. Wenn du Glück hast, wird deine Mom dich heute Abend anerkennen.«

Piper hoffte fast, dass das nicht passieren würde. Wenn ihre Mom eine Göttin wäre, müsste sie dann nicht von diesem Traum wissen? Müsste sie nicht wissen, was von Piper verlangt worden war? Piper überlegte, ob olympische Gottheiten Blitze auf ihre Kinder schleuderten, wenn sie etwas verbrochen hatten, oder ob sie sie einfach in die Unterwelt verbannten.

Annabeth musterte sie forschend. Piper beschloss, ihre Worte von jetzt an sehr genau zu bedenken. Annabeth war offenbar überaus intelligent. Wenn irgendwer Pipers Geheimnis herausfinden könnte …

»Na, komm«, sagte Annabeth endlich. »Ich muss noch etwas nachsehen.«

Sie gingen ein Stück weiter, bis sie eine unterhalb des Hügelkamms gelegene Höhle erreichten. Knochen und alte Schwerter lagen auf dem Boden herum. An beiden Seiten des Eingangs waren Fackeln befestigt, und vor dem Eingang hing ein mit Schlangenhaut bestickter Samtvorhang. Das Ganze sah aus wie die Bühne für ein durchgeknalltes Puppenspiel. »Was ist da drin?«, fragte Piper.