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»Jason, aufstehen!«, rief Piper. Ihre Stimme gab ihm Kraft, riss ihn aus seiner Benommenheit. Er setzte sich mit benebeltem Kopf auf, und Piper packte ihn unter den Armen und zog ihn auf die Füße.

»Stirb mir hier bloß nicht«, befahl sie. »Du wirst mir hier nicht sterben.«

»Nein, Ma’am.« Er war noch immer wie benommen, aber sie war so ungefähr das Schönste, was er je gesehen hatte. Ihre Haare schwelten. Ihr Gesicht war rußverschmiert. Sie hatte eine Wunde im Arm, ihr Kleid war zerrissen und sie hatte einen Stiefel verloren. Wunderschön.

Ungefähr dreißig Meter hinter ihr stand Leo über einem Stück von einem Baugerät – einem langen kanonenartigen Teil mit einem einzigen massiven Kolben, der an der Kante glatt abgebrochen war.

Jason schaute in den Krater und sah, wo das andere Ende der hydraulischen Axt gelandet war. Enceladus versuchte verzweifelt, auf die Beine zu kommen, und eine Axtschneide von der Größe einer Waschmaschine steckte in seinem Brustpanzer.

Seltsamerweise konnte der Riese die Axtschneide herausziehen. Er schrie vor Schmerz und der Berg bebte. Goldenes Ichor tränkte die Vorderseite seiner Rüstung, aber Enceladus hielt sich auf den Beinen.

Schwankend bückte er sich nach seinem Speer.

»Schöner Versuch.« Der Riese krümmte sich. »Aber ich kann nicht besiegt werden.«

Vor ihren Augen reparierte die Rüstung des Riesen sich automatisch und das Ichor versiegte. Sogar die Wunden in seinen mit Drachenschuppen überzogenen Beinen, die Jason solche Mühe gekostet hatten, waren jetzt nur noch bleiche Narben.

Leo rannte zu ihm, sah den Riesen und fluchte. »Was ist bloß los mit dem Kerl? Los, jetzt stirb endlich!«

»Mein Schicksal ist vorherbestimmt«, sagte Enceladus. »Riesen können weder von Göttern noch von Helden getötet werden.«

»Nur von beiden zusammen«, sagte Jason. Das Grinsen des Riesen erstarb und Jason sah so etwas wie Angst in seinen Augen. »Das stimmt doch, oder? Götter und Halbgötter müssen sich zusammentun, um dich zu töten.«

»Du wirst nicht lange genug leben, um es zu versuchen!« Der Riese kletterte stolpernd den Kraterhang hoch und rutschte auf den glatten Flächen immer wieder ab.

»Hat hier irgendwer gerade einen Gott zur Hand?«, fragte Leo.

Jason wurde kalt vor Entsetzen. Er sah den Riesen unter ihnen an, der sich abmühte, um aus dem Krater herauszukommen, und er wusste, was passieren musste.

»Leo«, sagte er. »Wenn du ein Seil in diesem Werkzeuggürtel hast, dann hol es heraus.«

Er sprang ohne Waffe, nur mit bloßen Händen, auf den Riesen zu.

»Enceladus!«, schrie Piper. »Hinter dir!«

Es war ganz klar ein Trick, aber ihre Stimme war so überzeugend, dass sogar Jason darauf hereinfiel. Der Riese fragte: »Was?«, und drehte sich um, als säße eine riesige Spinne auf seinem Rücken.

Jason packte seine Beine genau im richtigen Moment. Der Riese verlor das Gleichgewicht. Er knallte in den Krater und rutschte auf den Grund. Als er versuchte, sich aufzurichten, legte Jason die Arme um seinen Hals, zog sich auf seine Schultern.

»Runter da!«, schrie Enceladus. Er versuchte, Jasons Beine zu schnappen, aber Jason rutschte hin und her und kletterte dann auf den Kopf des Riesen.

Vater, dachte Jason. Wenn ich jemals etwas Gutes getan habe, etwas, mit dem du zufrieden warst, dann hilf mir jetzt. Ich biete dir mein eigenes Leben – aber rette meine Freunde.

Plötzlich konnte er den metallischen Geruch eines Sturmes wahrnehmen. Dunkelheit verschluckte die Sonne. Der Riese erstarrte, denn er spürte es ebenfalls.

»Runter mit euch!«, brüllte Jason seinen Freunden zu.

Und alle Haare auf seinem Kopf sträubten sich.

Krack!

Blitze jagten durch Jasons Körper, durch Enceladus und in den Boden. Der Rücken des Riesen erstarrte und Jason wurde heruntergeschleudert. Als er wieder zu sich kam, rutschte er bereits in den Krater und der Krater brach auf: Der Blitzschlag hatte den Berg gespalten. Die Erde grollte und riss auseinander und Enceladus’ Beine glitten in den Abgrund; er kratzte hilflos an den glasglatten Wänden des Spalts und konnte sich für einen kurzen Moment mit zitternden Händen am Rand festhalten.

Er starrte Jason voller Hass an. »Du hast nichts gewonnen, Junge. Meine Brüder sind dabei, sich zu erheben, und sie sind zehnmal so stark wie ich. Wir werden die Götter mit der Wurzel ausrotten! Du wirst sterben, und der Olymp mit dir …«

Der Riese rutschte ab und stürzte in den Abgrund.

Die Erde bebte. Jason glitt auf den Riss in der Erde zu.

»Festhalten!«, schrie Leo.

Jasons Füße waren schon am Rand des Abgrunds, als er das Seil erwischte und Leo und Piper ihn hochzogen.

Und da standen sie dann, erschöpft und verängstigt, während der Abgrund sich schloss wie ein wütender Mund. Der Boden zerrte nicht mehr an ihren Füßen. Für den Moment war Gaia verschwunden.

Der Berghang brannte und Rauch stieg Hunderte von Metern in die Luft. Über ihnen entdeckte Jason einen Hubschrauber – vielleicht Feuerwehrleute oder Reporter –, der auf sie zukam.

Ein Schlachtfeld umgab sie. Die Erdgeborenen waren zu Lehmhaufen geschmolzen und hinterließen nur ihre steinernen Wurfgeschosse und scheußliche Lendenschurzfetzen, aber Jason ging davon aus, dass sie sich bald wieder neu formen würden. Zerbrochene Baumaschinen lagen herum. Der Boden war aufgewühlt und rußgeschwärzt.

Trainer Hedge fing an sich zu bewegen. Er setzte sich mit einem Stöhnen auf und rieb sich den Kopf. Seine kanariengelbe Hose hatte jetzt die Farbe von mit Lehm vermischtem Dijon-Senf.

Er blinzelte und schaute sich auf dem Schlachtfeld um. »War ich das?«

Ehe Jason antworten konnte, hob er seine Keule auf und kam wackelig auf die Beine. »Na, ihr wolltet Hufe? Ich hab euch Hufe gegeben, ihr Zuckerpüppchen! Wer ist hier die Ziege?«

Er führte einen kleinen Tanz auf, versetzte den Steinen Fußtritte und bedachte die Lehmhaufen mit vermutlich obszönen Satyrgesten.

Leo musste lächeln und Jason konnte auch nicht dagegen an – er prustete los. Er klang sicher ein wenig hysterisch, aber es war eine solche Erleichterung, am Leben zu sein, dass ihm das egal war.

Dann erhob sich auf der anderen Seite der Lichtung ein Mann. Tristan McLean stolperte auf sie zu. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, sie zeigten einen tiefen Schock, wie bei jemandem, der soeben durch eine atomare Wüste gewandert ist.

»Piper?«, rief er. Seine Stimme versagte. »Pipes, was – was ist …«

Er konnte den Satz nicht vollenden. Piper rannte zu ihm und drückte ihn an sich, aber er schien sie fast nicht zu erkennen.

Jason hatte sich auch schon einmal so gefühlt – an dem Morgen am Grand Canyon, als er ohne irgendeine Erinnerung erwacht war. Aber Mr McLean hatte das entgegengesetzte Problem. Er hatte zu viele Erinnerungen, ein zu großes Trauma, mit dem sein Gehirn einfach nicht fertigwurde. Er stand kurz vor dem Zusammenbruch.

»Wir müssen ihn hier wegschaffen«, sagte Jason.

»Ja, aber wie?«, fragte Leo. »So weit kann er doch nicht laufen.«

Jason schaute zu dem Hubschrauber hoch, der jetzt direkt über ihnen kreiste. »Kannst du uns ein Megafon oder so was machen?«, fragte er Leo. »Piper muss wen bequatschen.«

XLV

Piper

Den Hubschrauber auszuleihen war leicht. Ihren Dad an Bord zu schaffen war es nicht.

Piper brauchte nur ein paar Worte durch Leos improvisiertes Megafon zu rufen, und schon war die Pilotin bereit, auf dem Berg zu landen. Der Hubschrauber des Park Service war groß genug für medizinische Rettungseinsätze oder Suchaktionen, und als Piper der überaus sympathischen Pilotin erzählte, es wäre doch eine großartige Idee, sie zum Flughafen von Oakland zu bringen, stimmte die Pilotin sofort zu.

»Nein«, murmelte ihr Dad, als sie ihn hochhoben. »Piper, was – da waren Monster – da waren Monster –«

Sie brauchte die Hilfe von Leo und Jason, um ihn festzuhalten, während Trainer Hedge ihre Ausrüstung zusammensuchte. Zum Glück hatte Hedge wieder Hose und Schuhe angezogen, deshalb brauchte Piper die Ziegenbeine nicht zu erklären.