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»Bruderherz, alles in Ordnung?«, fragte Leo. »Weißt du, wo sie ist?«

»Ja«, sagte Jason. »Sonoma Valley. Nicht weit. Zumindest nicht auf dem Luftweg.«

Piper drehte sich zu der Pilotin um, die alles mit immer verwirrterer Miene beobachtet hatte.

»Ma’am«, sagte Piper mit ihrem besten Lächeln. »Es macht Ihnen doch nichts aus, uns noch einmal zu helfen, oder?«

»Das macht mir nichts aus«, stimmte die Pilotin zu.

»Wir können keine Sterbliche in die Schlacht mitnehmen«, sagte Jason. »Das ist zu gefährlich.« Er wandte sich an Leo. »Meinst du, du könntest dieses Ding fliegen?«

»Hm …« Leos Miene machte Piper nicht gerade Mut, aber dann legte er die Hand auf die Seite des Hubschraubers und konzentrierte sich, als lausche er der Maschine.

»Bell 412HP Einsatzhubschrauber«, sagte Leo. »Kombinations-Vierflügelrotor, Fluggeschwindigkeit zweiundzwanzig Knoten, maximale Flughöhe siebentausend Meter. Der Tank ist fast voll. Klar kann ich den fliegen.«

Piper lächelte die Pilotin wieder an. »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ein Minderjähriger ohne Flugschein kurz Ihren Hubschrauber ausleiht, oder? Wir bringen ihn zurück.«

»Das«, die Pilotin verschluckte sich fast an den Wörtern, aber sie brachte sie heraus, »das macht mir nichts aus.«

Leo grinste. »Dann rein mit euch, Kinder. Onkel Leo fährt mit euch spazieren.«

XLVII

Leo

Einen Hubschrauber fliegen? Klar, wieso nicht. Leo hatte in dieser Woche schon verrücktere Dinge gemacht.

Die Sonne ging unter, als sie nach Norden flogen, und Leo konnte nicht fassen, wie schnell der Tag vergangen war. Aber das bewies wieder, dass nichts die Zeit so schnell verfliegen lässt wie ADHD und ein guter Kampf auf Leben und Tod.

Während er den Hubschrauber flog, schwankte er die ganze Zeit zwischen Zuversicht und Panik. Wenn er nicht darüber nachdachte, erwischte er automatisch die richtigen Hebel, überprüfte den Höhenmesser, zog vorsichtig den Steuerknüppel zurück und flog geradeaus. Wenn er sich erlaubte, darüber nachzudenken, was er hier machte, hätte er durchdrehen können. Er stellte sich vor, wie seine Tante Rosa ihn auf Spanisch anschrie und ihn als verrückten Verbrecher bezeichnete, der abstürzen und verbrennen würde. Ein Teil von ihm hatte den Verdacht, dass sie Recht hätte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Piper neben ihm. Sie klang nervöser als er, deshalb setzte Leo ein tapferes Gesicht auf.

»Spitzenmäßig«, sagte er. »Aber was ist denn nun dieses Wolfshaus?« Jason kniete zwischen ihren Sitzen. »Ein verlassenes Landhaus im Sonoma Valley. Ein Halbgott hat es errichten lassen – Jack London.«

Leo konnte mit diesem Namen nichts anfangen. »Schauspieler?«

»Schriftsteller«, sagte Piper. »Abenteuerkram, oder? Der Seewolf? Wolfsblut?«

»Genau«, sagte Jason. »Er war ein Sohn des Merkur – ich meine, des Hermes. Ein Abenteurer, ist um die Welt gereist. Eine Zeit lang war er sogar Landstreicher. Dann hat er mit Schreiben ein Vermögen gemacht. Er hat eine riesige Ranch gekauft und sich dieses Haus bauen lassen – das Wolfshaus.«

»Heißt es so, weil er über Wölfe geschrieben hat?«

»Zum Teil«, sagte Jason. »Aber das Grundstück und warum er über Wölfe geschrieben hat – na ja, er hat Andeutungen über seine persönlichen Erlebnisse gemacht. Es gibt eine Menge Lücken in seiner Lebensgeschichte – seine Geburt, wer sein Dad war, warum er so viel unterwegs war – Dinge, die man sich nur erklären kann, wenn man weiß, dass er ein Halbgott war.«

Die Bucht blieb hinter ihnen zurück und der Hubschrauber flog weiter nach Norden. Vor ihnen zogen sich gelbe Hügel dahin, so weit Leo blicken konnte.

»Jack London war also im Camp Half-Blood?«, vermutete Leo.

»Nein«, sagte Jason. »Nein, war er nicht.«

»Bruderherz, du machst mich fertig mit deinen Andeutungen. Erinnerst du dich jetzt an deine Vergangenheit oder nicht?«

»An Bruchstücke«, sagte Jason. »Nur Bruchstücke. Keins davon besonders deutlich. Das Wolfshaus steht auf geweihtem Boden. Da hat London als Kind seine Reise begonnen – und da hat er erfahren, dass er ein Halbgott war. Deshalb ist er dorthin zurückgekehrt. Er glaubte, dort leben, sich dieses Land zu eigen machen zu können, aber es war nicht für ihn bestimmt. Das Wolfshaus war verflucht. Es brannte ab, eine Woche ehe London und seine Frau einziehen wollten. Wenige Jahre darauf starb London und seine Asche ist auf dem Grundstück vergraben.«

»Aber«, fragte Piper, »woher weißt du das alles?«

Ein Schatten huschte über Jasons Gesicht. Vermutlich nur eine Wolke, aber Leo hätte schwören können, der Schatten habe die Gestalt eines Adlers.

»Auch ich habe meine Reise dort angefangen«, sagte Jason. »Es ist eine mächtige Stätte für Halbgötter, eine gefährliche Stätte. Wenn Gaia sie an sich reißen kann, wenn sie die Macht des Ortes nutzen kann, um Hera zur Sonnenwende zu begraben und Porphyrion zu neuer Macht zu verhelfen – das könnte ausreichen, um die Erdgöttin vollständig erwachen zu lassen.«

Leos Hand lag auf dem Steuerknüppel und er lenkte den Hubschrauber mit Höchstgeschwindigkeit nach Norden. Vor ihnen konnte er ein Unwetter sehen – einen dunklen Fleck wie eine Wolkenwand oder einen Sturm, genau dort, wo sie hinwollten.

Pipers Dad hatte ihn vorhin als Helden bezeichnet, und Leo konnte einiges von dem, was er gemacht hatte, selbst nicht fassen – er hatte Zyklopen zusammengefaltet, hatte explodierende Türklingeln entschärft, war mit Baugeräten gegen sechsarmige Ungeheuer angetreten. Ihm kam es vor, als sei das alles jemand anderem passiert. Er war doch nur Leo Valdez, ein Waisenkind aus Houston. Er war sein Leben lang weggelaufen und ein Teil von ihm wollte das noch immer. Was bildete er sich eigentlich ein, hier zu einem verfluchten Haus zu fliegen, um gegen noch mehr grausige Monster anzutreten?

Die Stimme seiner Mom hallte in seinem Kopf wider: Alles kann repariert werden.

Nur nicht die Tatsache, dass du für immer von mir gegangen bist, dachte Leo.

Der Anblick von Piper und ihrem Dad zusammen hatte ihm das noch mal richtig unter die Nase gerieben. Selbst wenn Leo diesen Einsatz überlebte und Hera rettete, es würde für ihn keine glückliche Wiedervereinigung geben. Er würde nicht in eine liebevolle Familie zurückkehren. Er würde seine Mom nicht wiedersehen.

Der Hubschrauber bebte. Metall kreischte und Leo konnte sich fast vorstellen, dass das Klappern eine Morsenachricht war: Nicht das Ende. Nicht das Ende.

Er zog den Hubschrauber gerade und das Kreischen verstummte. Er bildete sich das einfach nur ein. Er durfte nicht so viel über seine Mom nachdenken oder über diese Idee, die ihm keine Ruhe ließ – dass Gaia Seelen aus der Unterwelt zurückbrachte. Warum konnte dabei nicht auch etwas Gutes herauskommen? Solche Gedanken würden ihn in den Wahnsinn treiben. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen.

Er ließ seine Instinkte die Führung übernehmen – es war wie beim Hubschrauberfliegen. Wenn er zu sehr über seinen Einsatz nachdachte oder darüber, was danach passieren könnte, würde er in Panik geraten. Der Trick lag darin, nicht zu denken – und es einfach hinter sich zu bringen.

»Noch dreißig Minuten«, sagte er zu seinen Freunden, auch wenn er keine Ahnung hatte, woher er das wusste. »Wenn ihr noch einen Moment schlafen wollt, dann ist jetzt eine gute Gelegenheit.«

Jason schnallte sich hinten im Hubschrauber an und war fast sofort eingeschlafen. Piper und Leo blieben hellwach.

Nach einigen Minuten verlegenen Schweigens sagte Leo: »Mit deinem Dad wird alles gut gehen, weißt du. Niemand wird sich an ihn heranwagen, solange dieser irre Ziegenbock in der Nähe ist.«

Piper schaute ihn an und Leo war betroffen davon, wie sehr sie sich geändert hatte. Nicht nur vom Aussehen her. Ihre Präsenz war einfach stärker. Piper schien mehr … im Hier und Jetzt zu sein. In der Wüstenschule hatte sie das ganze Schuljahr versucht, nicht gesehen zu werden, sich in der letzten Reihe im Klassenzimmer zu verstecken, hinten im Bus, der Ecke der Mensa, so weit von den angesagten Leuten entfernt, wie es ging. Jetzt wäre es unmöglich, sie zu übersehen. Es spielte keine Rolle, was sie anhatte – man musste sie einfach anschauen.