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Piper zog den Dolch. Jason riss ein vereistes Brett vom Boden des Beckens. Leo griff in seinen Werkzeuggürtel, aber er war so nervös, dass er nur eine Schachtel Pfefferminzpastillen herausholte. Er stopfte sie wieder zurück in der Hoffnung, dass niemand etwas bemerkt hatte, und zog einen Hammer hervor.

Ein Wolf kam auf sie zu. Er zog eine menschliche Statue am Bein hinter sich her. Am Beckenrand öffnete der Wolf das Maul und ließ sie fallen, damit die anderen sie ansehen konnten – es war die Eisskulptur eines Mädchens, einer Bogenschützin mit kurzen stacheligen Haaren und verdutzter Miene.

»Thalia!« Jason stürzte vor, aber Piper und Leo rissen ihn zurück. Der Boden um die Statue war bereits von Reif überzogen. Leo fürchtete, dass Jason ebenfalls gefrieren würde, wenn er sie berührte.

»Wer war das?«, schrie Jason. Sein Körper knisterte vor Elektrizität. »Ich bringe dich eigenhändig um!«

Irgendwo hinter den Monstern hörte Leo ein Mädchen lachen, klar und kalt. Sie trat in ihrem schneeweißen Kleid aus dem Nebel hervor. Auf ihren langen schwarzen Haaren saß eine silberne Krone. Das Mädchen musterte sie aus den tiefbraunen Augen, die Leo in Quebec so schön gefunden hatte.

»Bonsoir, mes amis«, sagte Chione, die Göttin des Schnees. Sie schenkte Leo ein frostiges Lächeln. »Sohn des Hephaistos, du sagst, du brauchst Zeit? Ich fürchte, Zeit ist ein Werkzeug, das dir nicht zur Verfügung steht.«

XLIX

Jason

Nach dem Kampf auf dem Mount Diablo hatte Jason gedacht, er könnte nie größere Angst haben oder verzweifelter sein.

Jetzt lag seine Schwester gefroren zu seinen Füßen. Er war von Monstern umstellt. Er hatte sein goldenes Schwert zerbrochen und mit einem Stück Holz ersetzt. Ihm blieben noch an die fünf Minuten, bis der König der Riesen aus seinem Käfig ausbrechen und sie vernichten würde. Jason hatte seinen größten Trumpf schon ausgespielt, als er beim Kampf gegen Enceladus den Blitzschlag des Zeus herbeigerufen hatte, und er glaubte nicht, dass er die Kraft haben würde, es noch einmal zu tun, ganz zu schweigen von der Hilfsbereitschaft von oben.

Was bedeutete, dass er nur auf eine quengelnde eingesperrte Göttin, eine Beinahe-Freundin mit einem Dolch und Leo zurückgreifen konnte, der offenbar glaubte, die Armeen der Finsternis mit Pfefferminzpastillen besiegen zu können.

Zu allem Überfluss brachen jetzt Jasons schlimmste Erinnerungen über ihn herein. Er wusste genau, dass er in seinem Leben viele gefährliche Dinge getan hatte, dass er dem Tod jedoch niemals näher gewesen war als jetzt.

Die Feindin war schön. Chione lächelte, ihre dunklen Augen funkelten, als ein Eisdolch aus ihrer Hand erwuchs.

»Was hast du getan?«, wollte Jason wissen.

»Ach, so allerlei«, schnurrte die Schneegöttin. »Deine Schwester ist nicht tot, falls du das meinst. Sie und ihre Jägerinnen werden schönes Spielzeug für unsere Wölfe abgeben. Ich dachte, wir könnten eine nach der anderen auftauen und dann Jagd auf sie machen. Sollen sie doch dieses Mal selbst die Beute spielen.«

Die Wölfe fauchten gierig.

»Ja, ihr Lieben.« Chione sah weiterhin Jason an. »Deine Schwester hätte ihren König fast umgebracht, weißt du. Lycaon steckt jetzt irgendwo in einer Höhle und leckt sich die Wunden, aber seine Lieblinge haben sich uns angeschlossen, um ihren Herrn zu rächen. Und bald wird Porphyrion sich erheben und wir werden die Welt beherrschen.«

»Verräterin!«, brüllte Hera. »Du wichtigtuerische viertklassige Göttin! Du bist es nicht wert, mir Wein einzuschenken, geschweige denn, die Welt zu regieren.«

Chione seufzte. »Ermüdend wie immer, Königin Hera. Ich wollte dich schon seit Jahrtausenden zum Schweigen bringen.«

Chione machte eine Handbewegung und Eis schloss den Käfig ein und versiegelte die Zwischenräume zwischen den irdenen Ranken.

»Schon besser«, sagte die Schneegöttin. »Und jetzt, Halbgötter, was euren Tod angeht …«

»Du hast Hera hergelockt«, sagte Jason. »Du hast Zeus auf die Idee gebracht, den Olymp zu verriegeln.«

Die Wölfe fauchten und die Sturmgeister heulten, bereit zum Angriff, aber Chione hob die Hand. »Geduld, ihr Süßen. Wenn er reden will, was spielt das für eine Rolle? Die Sonne geht bald unter und die Zeit ist auf unserer Seite. Natürlich, Jason Grace. Meine Stimme ist leise und sanft, wie der Schnee, und sehr kalt. Es fällt mir leicht, den anderen Göttern etwas einzuflüstern, vor allem, wenn ich ohnehin nur ihre tiefsten Ängste bestätige. Ich habe auch Aeolus ins Ohr geflüstert, dass er den Befehl erteilten soll, Halbgötter zu töten. Es ist nur ein kleiner Dienst an Gaia, aber ich bin sicher, ich werde reich belohnt werden, wenn ihre Söhne, die Riesen, an die Macht kommen.«

»Du hättest uns in Quebec schon töten können«, sagte Jason. »Warum hast du uns am Leben gelassen?«

Chione rümpfte die Nase. »Hätte zu viel Ärger gemacht, euch im Haus meines Vaters zu töten, zumal er doch alle Besucher empfangen will. Aber ich habe es versucht, weißt du noch? Es wäre wunderbar gewesen, wenn er sich bereit erklärt hätte, euch in Eis zu verwandeln. Aber nachdem er euch freies Geleit zugesichert hatte, konnte ich ihm nicht offen Widerstand leisten. Mein Vater ist ein alter Idiot. Er hat Angst vor Zeus und Aeolus, aber er ist noch immer mächtig. Bald, wenn meine neue Herrin erwacht ist, werde ich Boreas stürzen und den Thron des Nordwinds übernehmen. Bald ist es so weit. Abgesehen davon hatte mein Vater ja nicht Unrecht. Euer Einsatz war ein Himmelfahrtskommando. Ich war fest davon überzeugt, dass ihr ohnehin versagen würdet.«

»Und um uns dabei zu helfen«, sagte Leo, »hast du über Detroit unseren Drachen vom Himmel geholt. Diese gefrorenen Drähte in seinem Kopf – das war deine Schuld. Dafür wirst du bezahlen.«

»Und du hast Enceladus die ganze Zeit über uns informiert«, fügte Piper hinzu. »Auf der ganzen Reise sind wir von Schneestürmen verfolgt worden.«

»Ja, ich fühle mich euch allen jetzt so nahe«, sagte Chione. »Als ihr dann an Omaha vorbei wart, hab ich beschlossen, Lycaon zu bitten, euch hier zu stellen, damit Jason hier sterben kann, beim Wolfshaus.« Chione lächelte ihn an. »Du musst wissen, Jason, wenn dein Blut auf diesem geweihten Boden vergossen wird, wird es ihn für Generationen besudeln. Deine Brüder, die anderen Halbgötter, werden außer sich sein, vor allem, wenn sie die Leichen dieser beiden aus dem Camp Half-Blood finden. Sie werden glauben, die Griechen hätten sich mit den Riesen verschworen. Es wird … großartig werden.«

Piper und Leo schienen nicht zu verstehen, was sie da sagte. Aber Jason wusste Bescheid. Ihm kamen genug Erinnerungen, um zu erfassen, wie gefährlich wirkungsvoll Chiones Plan sein könnte.

»Du willst Halbgötter gegen Halbgötter aufhetzen«, sagte er.

»Es ist so einfach«, sagte Chione. »Wie schon gesagt, ich ermutige nur dazu, was ihr ohnehin tun würdet.«

»Aber warum?« Piper hob die Hände. »Chione, du wirst die ganze Welt zerstören. Die Riesen werden alles vernichten. Das kannst du doch nicht wollen. Ruf deine Monster zurück.«

Chione zögerte, dann lachte sie. »Deine Überredungskunst wächst, meine Liebe. Aber ich bin eine Göttin, ich bin immun gegen Charme-Sprech. Wir Winde sind Geschöpfe des Chaos. Ich werde Aeolus stürzen und die Stürme freilassen. Wenn wir die sterbliche Welt zerstören, umso besser. Sie haben mich nie geehrt, nicht einmal in der griechischen Zeit. Die Menschen und ihr Gerede von der globalen Erwärmung. Pah! Ich werde sie schneller abkühlen, als ihnen lieb ist. Und wenn wir die alten Orte übernehmen, werde ich die Akropolis mit Schnee bedecken.«

»Die alten Orte.« Leos Augen wurden immer größer. »Das also hat Enceladus damit gemeint, dass er die Götter mit der Wurzel ausrotten will. Er meinte Griechenland.«

»Du könntest dich mir anschließen, Sohn des Hephaistos«, sagte Chione. »Ich weiß, dass du mich schön findest. Für meinen Plan würde es ausreichen, diese beiden anderen zu töten. Widersage diesem albernen Schicksal, das die Moiren dir verpasst haben. Lebe und sei mein Ritter. Deine Fähigkeiten könnten mir überaus nützlich sein.« Leo machte ein verblüfftes Gesicht. Er schaute sich um, als ob Chione vielleicht einen anderen gemeint hätte. Für eine Sekunde machte Jason sich Sorgen. Sicher bekam Leo nicht jeden Tag so ein Angebot von einer schönen Göttin.