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Ich ging zu dem auffälligen Fahrzeug und blieb, die Schlüssel in der Hand, davor stehen. Die Sonne schien auch heute wieder, ließ die Girlanden glitzern, und nach einem Augenblick machte ich kehrt und ging zu meinem Vater zurück.

»Was ist los?« fragte er etwas gereizt. »Kannst du damit nicht fahren?«

»Ist er für Fahrer in meinem Alter versichert?«

»Natürlich. Sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Hol ihn her, Ben.«

Ich ging stirnrunzelnd wieder ins Büro, ohne mich um seine Ungehaltenheit zu kümmern.

»Ihr müßt los«, meinte Mervyn ebenso gereizt. »Sie sagten doch, Sie könnten Georges Wagen fahren.«

Ich nickte. »Ein kleinerer wäre mir aber lieber. Wir sollen ja keinen Unfall bauen. Was haben Sie für einen? Könnte ich den nehmen?«

Mervyn sagte sichtlich verärgert: »Mein Wagen ist für Fahrer unter einundzwanzig nicht versichert.«

»Meiner aber«, schaltete sich Crystal ein. »Den fährt mein jüngerer Bruder manchmal. Er macht allerdings nicht viel her. Kein Vergleich mit dem Range Rover.«

Sie zog die Schlüssel aus der Handtasche und sagte, Mervyn (der Geplagte) könne sie ja nach Hause fahren, wenn wir bis halb sechs nicht zurück seien, und sie am Morgen auch wieder abholen. Ich gab ihr ungeschickt ein Küßchen auf die Wange und kehrte mit Mervyn, der abermals sein Mißfallen bekundete, zu meinem Vater zurück.

»Du enttäuschst mich, Ben«, sagte er auf Mervyn Tecks Auslassungen hin. »Morgen übst du mal schön mit dem Range Rover.«

»Gut. Aber kannst du heute, bevor wir losfahren, bitte noch einen Mechaniker bestellen, der nachsieht, ob damit alles in Ordnung ist?«

»Klar ist er in Ordnung. Ich bin damit gestern nach Brighton und wieder zurück gefahren, und er lief einwandfrei.«

»Ja, aber jetzt hat er die ganze Nacht auf dem Parkplatz gestanden, und es kann sein, daß dich vergangene Nacht jemand erschießen wollte. Wenn nun jemand ein paar Nägel in die Reifen gerammt hat oder was weiß ich?« Ich war in einen wegwerfenden Ton verfallen, als hielte ich den Gedanken an Sabotage für kindisch; doch nach kurzer Überlegung sagte mein Vater zu Mervyn: »Ich nehme Crystals Wagen. Morgen kann Ben mit dem Range Rover üben. Den lassen Sie heute bitte überholen, Mervyn.«

Mervyn warf mir einen säuerlichen Blick zu, dabei wollte doch gerade er nicht, daß wir in den Ruf der Unglücksraben gelangten; wenigstens hatte er das behauptet.

Mit Crystals kleinem Stadtflitzer brachte ich den Kandidaten also sicher zu seinen weit entfernten Auftritten, und wieder sah und hörte ich, wie er die apathische Wählerschaft wachrüttelte und mit jedem Lacherfolg, jedem Applaus mehr Leute anzog. Die Zuhörer bewunderten ihn, stellten gut-, aber auch bösgemeinte Fragen, und alle bekamen durchdachte, leicht hingeworfene Antworten.

Ich wußte zwar nicht, ob die sprühende Begeisterung vom Tage die Leute auch zu den Wahlurnen führte, aber mein Vater versicherte mir, es sei schon genug, wenn sie nicht in das gegnerische Lager liefen und ihre Stimme Bethune gaben.

Wir hatten eine Erfindung meines Vaters mit eingepackt, die im Prinzip aus zwei jeweils dreißig Zentimeter hohen, doch unterschiedlich breiten Holzkisten bestand, die aufeinandergeschraubt ein improvisiertes Podest ergaben - hoch genug, daß ein Redner gut zu verstehen war, aber nicht so hoch, daß er unterschwellig bedrohlich wirkte. »Meine Seifenkiste«, sagte mein Vater dazu, obwohl seit vielen Jahren keine Seife mehr in solche Kleinstbühnen verpackt wurde.

Ich stellte die Seifenkiste an drei verstreut liegenden Brennpunkten der Stadt auf, und an allen dreien kamen Leute zusammen, ob neugierig, kontra oder abwartend, und an allen dreien sah ich mich beim Auspacken, Zusammenbauen oder Wegräumen von vorwiegend freundlichen Fragestellern umdrängt.

»Sind Sie sein Fahrer?«

»Ja.«

»Kennt er sich so gut aus, wie er tut?«

»Noch besser.«

»Wie denkt er über Bildung und Erziehung?«

Ich lächelte. »Positiv.«

»Ja, aber -«

»Ich kann nicht für ihn antworten. Fragen Sie ihn bitte selbst.«

Sie gingen zu ihm und bekamen politisch korrekte, ehrliche Antworten, die ohne drastische Steuererhöhungen niemand in die Tat umsetzen konnte: Die wirtschaftlichen Zusammenhänge lernte ich so schnell begreifen wie früher die quadratischen Gleichungen.

Das Gastspiel meines Vaters war in ganz Quindle durch Plakate vorangekündigt worden. Die Wahlhelfer, die sie verteilt hatten, empfingen uns und begleiteten uns mit vor Engagement glühenden Gesichtern überallhin. Mein eigenes Engagement, das war mir inzwischen klargeworden, galt ausschließlich meinem Vater, nicht seiner Partei oder seinen Überzeugungen. Meiner Meinung nach waren gute Ideen breit gestreut und nicht von einer bestimmten Fraktion gepachtet - und Ideen, die ich gut fand, konnten für andere natürlich ein rotes Tuch sein. Ich begeisterte mich nicht für ein komplettes Parteiprogramm, und gerade die Unsicheren und die nicht Festgelegten, diejenigen, die aus einer vagen Unzufriedenheit ihren Mantel nach dem Wind hängten, gaben am Ende den Ausschlag für die eine oder andere Seite. Auf die Wechselwähler, die sich treiben ließen, hatte es mein Vater abgesehen.

Quindle hatte sich wie Hoopwestern mit seiner Industrie in die umliegende Flur ausgebreitet, hier allerdings wurden Möbel und Farben hergestellt, keine Glühbirnen. Die Stadtplaner hatten sich darauf konzentriert, die Wiesen zwischen den Fabriken mit zahlreichen kleinen Häusern vollzustopfen. Jetzt wurde der Stadt ihr Grüngürtel zu eng, und der Verkehr im Zentrum ging, wenn er nicht stillstand, stockend. Seifenkistenrednern konnte das nur recht sein: In der Sommerhitze krochen die Autos mit geöffneten Fenstern vorbei, und ihre Insassen hörten mit. Neben der Flut von WÄHLEN-SIE-JULIARD-Plakaten gab es einige für Titmuss und Whistle und natürlich eine Menge Bethune ist besser. Geben Sie ihm Ihr Kreuz. Bethunes Plakate sahen ziemlich zerrupft aus, und das lag, wie ich herausfand, nicht nur daran, daß er auf seiner Redetour schon vor drei Tagen durch Quindle gerauscht war, sondern daß ihm der Quindle Diary, das lokale Wochenblatt, die Schlagzeile »Bethunes Seitensprung« nachgeliefert hatte.

Da einer der Wahlhelfer mir den Quindle Diary unter den Arm geklemmt hatte, las auch ich natürlich die Titelstory.

Sollen wir uns im Parlament von einem Ehebrecher vertreten lassen, der nur vorgibt, die familiären Werte hochzuhalten, denen sich unsere Zeitung und unsere junge Stadt verschrieben haben? Sollen wir den Versprechungen eines Menschen glauben, der selbst ein feierliches Treuegelöbnis nicht einhalten kann?

Ich fand den Ton, in dem das Ganze gehalten war, reichlich geschwollen, aber für Bethunes Lager war es mit Sicherheit ungünstig.

Bei allen drei Auftritten wurde mein Vater bedrängt, sich über Bethunes Scheinheiligkeit auszulassen, und jedesmal überhörte er taktvoll die plumpe Aufforderung und griff Bethune und seine Partei nur wegen ihrer politischen Ziele und Vorgehensweisen an.

Die Zurückhaltung stieß auch bei der eigenen Freiwilligenarmee nicht nur auf Verständnis.

»Bethune wäre fertig, wenn George über seinen Charakter herfiele«, nörgelte einer. »Warum tut er das nicht?«

»Es ist gegen seine Überzeugung.«

»Man muß die Trümpfe ausspielen, die man hat.«

»Aber kein fünftes As«, sagte ich.

»Bitte?«

»Er würde das als Mogelei ansehen.«

Der Wahlhelfer verdrehte die Augen, suchte aber einen neuen Ansatz. »Sehen Sie den dünnen Kerl, der da bei Ihrem Vater steht und in ein Notizbuch schreibt?«

»Meinen Sie den im rosa Jogginganzug, mit der umgekehrt aufgesetzten Baseballmütze?«