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»Du dachtest bestimmt, das macht sowieso keiner, aber jemand hat es versucht.«

»Das wissen wir nicht genau.«

»Und die Ablaßschraube?«

Er schüttelte zwar ungläubig den Kopf, hatte aber nichts mehr dagegen, daß wir den Wandelgang nahmen, und merkte anscheinend auch nicht, daß ich auf der dem beleuchteten Platz zugewandten Seite ging.

Er wollte über das Streitgespräch reden. Und er wollte wissen, wieso ich die Hälfte davon verpaßt hatte und wo ich gewesen sei. Ich erzählte ihm von Isobels Kummer, merkte aber, daß er kaum zuhörte; in Gedanken war er immer noch bei den Argumenten, mit denen er sich gegen den ungetreuen Ehemann der Dame durchgesetzt hatte oder auch nicht.

»Er ist engagiert, weißt du. Aber ich finde sein Programm miserabel.«

Ich sagte: »Deine Ansichten werfen mich auch nicht um, aber ich kämpfe mit dem Leben dafür, daß du sie äußern darfst.«

»Gut so. Ganz verschwendet war das Schulgeld also doch nicht.«

»Komm wieder runter«, bat ich. »Du schwebst noch in den Wolken.«

Wieder blieb er kurz stehen. Inzwischen hatten wir den Wandelgang hinter uns gelassen und gingen an schwach beleuchteten Ladenfronten vorbei auf die Erkerfenster erst des Trödelladens und dann des Wahlkampfbüros zu.

»Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn man ein Publikum in den Händen hält.«

»Nein.« Außenseiter bekamen selten Beifall, und auf einem Favoriten hatte ich nie gesiegt.

Wir kamen zur Eingangstür.

Die liebe Polly empfing uns verwundert. »Wo waren Sie denn? Sie sind doch vor mir weg.«

»Der Junge«, sagte mein Vater und zeigte mit dem Finger auf mich, obwohl herzlich wenig andere Jungen zu sehen waren. »Mein Sohn Benedict hat die fixe Idee, daß jemand darauf aus ist, meinen Wahlfeldzug, wenn nicht mein Leben, gewaltsam zu beenden. Machen Sie, liebe Polly, ihm doch bitte klar, daß ich es darauf ankommen lasse und daß er gefälligst nicht noch einmal seinen Hals riskieren soll, um meinen zu retten.«

»Liebe Polly«, sagte ich - und sie lächelte auch wirklich lieb -, »ich habe nur diesen einen Vater. Bringen Sie ihn doch bitte dazu, daß er mir eine richtige Aufgabe bei diesen Wahlen gibt. Überzeugen Sie ihn, daß er rund um die Uhr einen Leibwächter braucht. Daß es nichts schaden kann, wenn er sich von mir beschützen läßt.«

»Ich brauche keinen Leibwächter.« Er beharrte darauf. »Ich brauche dich als Begleitperson. Isobel Bethune ist ihrem Mann keine Hilfe, aber du hast - zu meiner Überraschung, muß ich gestehen - ein seltenes Talent, die Leute zum Reden zu bringen. Siehe Isobel Bethune! Siehe Crystal Harley! Aus der habe ich noch keine Silbe herausgekriegt, und mit dir schwatzt sie dauernd. Siehe auch Mrs. Leonard Kitchens, die dich mit Neuigkeiten vollstopft.«

Polly nickte lächelnd. »Sie sind so jung, daß man Sie nicht als Bedrohung ansieht. Jeder braucht einen, mit dem er reden kann, und Sie sind harmlos.«

Ich sagte nachdenklich: »Was ist mit Orinda? Die hat mir bei dem Diner den Rücken gekehrt und keinen Ton gesagt.«

Polly klatschte lachend in die Hände. »Sie bekommen Orinda. Das kriege ich schon noch mal hin.«

»Aber allein«, sagte ich. »Ich könnte mich mit ihr unterhalten, wenn sie allein wäre, aber der Anonyme Liebhaber weicht nicht von ihrer Seite.«

»Wer?«

»A. L. Wyvern.«

»Anonymer Liebhaber!« rief Polly aus. »Bezaubernd. Eigentlich heißt er Alderney, glaube ich. Er spielt Golf. Er hat auch mit Dennis Golf gespielt.«

Schon rauschte sie in eine andere Ecke des Büros, um Becher herauszuholen und Kaffee zu machen. Ich konnte ihr Alter höchstens auf zehn Jahre genau schätzen: zwischen vierzig und fünfzig, aber sicher war ich mir auch damit nicht. Sie trug wieder den unpassend roten Lippenstift, dazu diesmal eine grüne Jacke und einen langen bräunlichen Tweedrock - warm für August. Von den blickdichten Strümpfen und den »vernünftigen« Schuhen hätte man auf eine gewisse Schwerfälligkeit bei ihr schließen können, doch sie bewegte sich im Gegenteil sehr elegant, wie eine gelernte Tänzerin. Sie hatte keine Ringe an den flinken Fingern und trug als Schmuck nur eine schlichte Perlenkette.

Auf den ersten Blick hätte Polly einem leid tun können, aber dazu bestand überhaupt kein Anlaß. Ihre Freundlichkeit verband sich mit innerer Stärke. Sie trug die schrecklichen Kleider unbefangen. Sie war - ich mußte nach den passenden Worten suchen - ein heiteres Gemüt.

Während sie Wasser auf den Pulverkaffee goß, sagte sie: »Es ist doch nichts dabei, wenn Benedict offiziell die Aufgabe übernimmt, auf Sie aufzupassen. Bis jetzt hat er das immerhin ganz gut gemacht. Mervyn hat sich heute abend im Rathaus dauernd darüber beklagt, daß er wegen Benedict eine Garage mieten mußte. Er läßt sich ungern von Benedict Anweisungen geben, meint er.«

»Das war ein Vorschlag, keine Anweisung«, sagte mein Vater.

»Da Mervyn es als Anweisung empfunden hat, war es für ihn eine. Ihm hat Benedict zuviel Einfluß auf Sie. Mervyn bestimmt gern selbst.«

»Ben ist doch erst zwei Tage hier«, wandte mein Vater ein.

Polly lächelte. »Zehn Minuten hätten wahrscheinlich genügt. Sie verstehen sich glänzend auf die große Politik, George, aber Ihr Sohn sieht den Leuten ins Herz.«

Mein Vater betrachtete mich nachdenklich.

»Das kann er jetzt schon«, sagte Polly, »und er ist noch keine achtzehn. Warten Sie mal zehn Jahre. Sie haben ihn mitgebracht, um auf Familie zu machen, um zu beweisen, daß Sie kein Junggeselle sind, schon gar kein eingefleischter, und da er sich als ein ungeahntes Plus erwiesen hat, sollten Sie seine Vorzüge nutzen, George.«

Sie rührte den Kaffee um und gab ihn uns schwarz. Mein Vater nahm abwesend eine kleine Dose aus der Tasche und klickte ein Süßstoffdragee in seinen Becher.

»George?« hakte Polly nach.

Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, klingelte das Telefon, und da ich am nächsten saß, nahm ich den Hörer ab.

»Juliard?« sagte eine Stimme.

»Benedict. Möchten Sie meinen Vater sprechen? Er ist hier.«

»Nein, Moment noch. Wissen Sie, mit wem Sie reden?«

»Foster Fordham.«

»Genau. Und haben Sie rausgekriegt, womit Ihre Ölwanne verstopft war?«

»Mit etwas, das bei stark erhitztem Öl schmilzt.«

Er lachte. »Ich habe das Öl gekühlt und gefiltert. Die Wachskügelchen darin hätten für einen Pfropfen allemal gereicht. Ich fand auch Baumwollfasern, die von einem Docht sein könnten. Jetzt geben Sie mir mal Ihren Vater.«

Ich gab den Hörer weiter und lauschte einem längeren Hin und Her, bei dem es offenbar darum ging, ob die Sabotage angezeigt werden solle oder nicht. Wegen des Schusses hatte die Polizei, soweit mein Vater wußte, zwar nichts mehr unternommen, doch er überredete seinen Freund Foster, einen schriftlichen Bericht über die Ölprobe abzufassen, damit er den Ordnungshütern vorsichtshalber eine Kopie davon zukommen lassen könne.

Polly und ich schnappten die Brocken auf. »Für Polizeischutz haben die nicht genug Leute ... das machen die nicht ... gegen entschlossene Attentäter gibt es keinen Schutz ... ja, schon ...«, mein Vater blickte zu mir, »... aber der ist zu jung ... alles klar dann ... verbleiben wir so.« Er legte behutsam den Hörer auf, seufzte und sagte mit Bedacht: »Foster Fordham schreibt einen Bericht für die Polizei. Ben paßt weiter auf mich auf, so gut er kann, und Mervyn muß sich damit abfinden. Und jetzt, liebste Polly, streichen wir die Stimmenwerbung für morgen, denn da habe ich etwas ganz Außerplanmäßiges vor.«

An einem Haken an der Wand hing ein großer Terminkalender mit einem Rechteck für jeden Tag. Crystal hatte darin die Marschroute meines Vaters festgehalten, so daß der jeweilige Tagesablauf auf einen Blick zu übersehen war.

Begonnen hatte das Programm am vorangegangenen Dienstag: »Kandidat kommt. Bekannt machen mit Büro und Team.« Die für Mittwoch vorgesehene »Fahrt durch den Wahlkreis« war ausgestrichen und ersetzt worden durch: »Sohn in Brighton abholen«; darunter hieß es: »Diner im Schlafenden Drachen.« Von Schüssen auf dem Heimweg stand da nichts.