»Mit bewährten Mitteln«, sagte sie dunkel. »Und kurz darauf wurde Orinda von der Rennleitung in Dorset eingeladen .«
»Da fahren wir doch hin!« rief mein Vater aus.
»Was Sie nicht sagen!« neckte ihn Polly. »Benedict«, ermahnte sie mich, »Sie bekommen Orinda ohne Liebhaber, also nutzen Sie den Tag.«
»Ja, was soll er denn machen?« warf mein Vater ein.
»Das weiß er schon«, erwiderte Polly. »Wie er es anstellt, kann ich Ihnen auch nicht sagen, aber verlassen Sie sich auf Ihren Sohn.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Orinda versteht vom Pferderennen nicht die Bohne. Sie kommt heute nur, weil sie dort Gelegenheit hat, in Gegenwart eines Dukes zu glänzen, der zur Rennleitung gehört. Da müssen Sie sich reinhängen. Können Sie das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich ein wenig hilflos. Pollys Direktheit brachte mich immer wieder aus der Fassung, dagegen ging doch das derbste Stallgerede an meinen Ohren vorbei.
»Reißen Sie sich am Riemen«, sagte sie.
Orinda saß bereits bei Hummermousse mit Gurkenstückchen, als wir in den Speiseraum der Rennleitung kamen, und obwohl sie unangenehm überrascht schien, blieb ihr doch kaum etwas anderes übrig, als zu hüsteln und ihren Unmut mit ein paar Schlückchen Wein hinunterzuspülen, während ihr Tischherr, der Duke, ihr sanft auf den Rücken klopfte.
Der Duke erhob sich und küßte Polly komplizenhaft auf die Wange, und mir dämmerte, wie das Netz für Orinda hier gesponnen worden war.
Orinda trug ein weißes Leinenkostüm, und ein grüner Seidenschal war lose um den Griff einer schwarzen Eidechstasche geschlungen, die über der Lehne ihres Stuhls hing. Schlank und braungebrannt, stach sie mühelos die anderen anwesenden Frauen aus, insbesondere Polly, die wieder einmal angezogen war, als wüßte sie nicht, was Anlaß und Jahreszeit erforderten.
Mein Vater drückte reihum Hände, und seine unverkennbare innere Kraft führte dazu, daß selbst in einem Raum voll einflußreicher Männer sich alle nach ihm umdrehten. Orinda haßte ihn.
»Mein Sohn Benedict«, stellte er mich vor, doch er allein stand im Blickpunkt.
Der Duke meinte zögernd zu mir: »Haben wir uns nicht schon mal gesehen? Sind Sie nicht gegen meinen Sohn Edward geritten?«
»Doch, Sir. An Ostern in Towcester. Er hat gewonnen.«
Der Duke erinnerte sich lächelnd. »Sie wurden Dritter. Es war Eddies Geburtstag. Wir haben spontan eine Party gefeiert. Sie waren mit dabei.«
»Ja, Sir.«
»Geht doch nichts über Pferderennen, hm? Das Beste auf der Welt, meint Eddie.«
Mein Vater sah mir scharf ins Gesicht.
»Das Beste«, sagte ich.
»Wohlgemerkt«, wandte sich der Duke an ihn, »das ist ja nur ein Hobby für die jungen Leute. Leben muß ein Amateur von etwas anderem. Früher sind die besten Amateure immer Jockeys geworden, aber aus irgendeinem Grund passiert das heute kaum noch. Eddie braucht einen Beruf. Man kann nicht auf Dauer als Amateur reiten. Das weiß Benedict ja wohl auch. Ganz in Ordnung, Ihr Benedict, meint Eddie. Setzen Sie sich, Mr. Juliard. Das Essen ist ausgezeichnet.«
Er plazierte meinen Vater zu seiner Rechten, womit Orinda, zu seiner Linken, endgültig der Tag verdorben war, obwohl draußen hell die Sonne schien. Sie ließ ihre halbverzehrte Mousse stehen, als schmecke sie ihr nicht mehr, und lächelte bemüht, mit starren Gesichtszügen, ihren Gastgeber an.
Der Duke, ein untersetzter Mann um die Sechzig, wirkte eher bodenständig als blaublütig, hatte mehr von einem weltklugen Geschäftsmann und Manager als von einer Vorstands-Gallionsfigur. Sein Sohn Eddie, selber ganz in Ordnung, hatte einmal gesagt, er beneide mich um die viele Zeit, die ich dem Rennsport widmen könne; sein Vater bestehe darauf, daß er seinen Lebensunterhalt verdiene. Tja, dachte ich kläglich, inzwischen hatte ich dank Vivian Durridge und meinem Vater den Vorsprung auf Eddie eingebüßt. Zudem besaß sein Vater im Gegensatz zu meinem Pferde, mit denen der Sohn Rennen reiten konnte.
Polly und ich wurden schräg gegenüber der angespannten Orinda am weiß gedeckten Tisch plaziert und aßen friedlich unsere Mousse mit Gurke, die wirklich ausgezeichnet schmeckte, auch wenn ich jetzt, wo ich nicht mehr zu hungern brauchte, eine große Pizza mit Salami vorgezogen hätte.
Danach gab es Curryhuhn. Als das erste Rennen näherrückte, erklärte der Duke meinem Vater, indem er auf die Uhr sah, er müsse nun leider die Tafel verlassen, um seinen Verpflichtungen als Rennleiter nachzukommen. Wie zufällig registrierte er den beinah panischen Gesichtsausdruck Orindas, die plötzlich ohne Pufferzone direkt neben ihrem scheußlichen Verdränger saß, und fand eine unwiderstehliche und scheinbar ganz spontane Lösung.
Mit einem kurzen Blick zu Polly, die ausdruckslos vor sich hin schaute, sagte der Duke freundlich zu Orinda: »Mir liegt sehr daran, daß Sie unseren trefflichen Hindernissport ein wenig kennen und schätzen lernen, Mrs. Nagle, und da ich selbst verhindert bin, kann ich Sie, glaube ich, keinem Besseren anvertrauen als dem jungen Benedict dort. Er kennt sich trotz seiner Jugend mit Pferderennen aus und kann Sie herumführen und Ihnen alles zeigen, und nach dem zweiten Rennen, denke ich mal, kommen wir hier oben alle wieder zusammen. Also Benedict«, sagte er laut über den Tisch hinweg zu mir, »seien Sie so gut und begleiten Sie Mrs. Nagle zum Führring, damit sie sich die Pferde ansehen kann. Und verfolgen Sie das Rennen mit ihr zusammen. Erklären Sie ihr, was sie wissen will.«
»Ja, Sir«, sagte ich schwach, und gutmütig nickend stieß er Orinda mehr oder weniger an meine Brust. Ich merkte, wie sie erstarrte und sich sträubte, doch der Duke drängte uns mit forschen Armschwüngen zur Tür, als gäbe es keine andere Möglichkeit, und während ich dem weißen Leinenkostüm hinaus auf den Gang folgte, sah ich aus dem Augenwinkel die erstaunte Miene meines Vaters und Pollys breites Grinsen.
Orinda marschierte durch den Gang und die Treppe hinunter ins Freie; dort blieb sie stehen und sagte: »Das ist einfach lächerlich.«
»Ja«, sagte ich.
»Wieso ja?«
»Weil Sie aus Aversion gegen meinen Vater nichts mit mir zu tun haben wollen, obwohl das bei Licht besehen eigentlich kein Grund ist, aber umgekehrt ginge es mir wahrscheinlich genauso. Wenn Sie also möchten, trennen wir uns hier; die Pferde schaue ich mir auf jeden Fall an.«
Ohne darauf einzugehen, meinte sie gereizt: »Ich bin alt genug, um Ihre Mutter zu sein.«
»Allerdings«, sagte ich. Nicht gerade taktvoll.
Trotz ihres Ärgers lachte sie beinahe. »Sie hätten das jetzt eigentlich bestreiten müssen.«
»Entschuldigung.«
»Mervyn sagt, Sie sind erst siebzehn.«
»In zwei Wochen werde ich achtzehn.«
»Was mache ich denn, wenn Sie mich hier einfach stehenlassen?«
»Das habe ich ja gar nicht vor«, sagte ich. »Aber wenn ich mich verziehen soll - um die nächste Ecke ist der Führring, wo die Pferde vor dem Rennen paradieren, damit man sehen kann, worauf man sein Geld setzt.«
»Und wenn ich wetten möchte?«
»Buchmacher oder Toto?«
»Wer macht denn das Rennen?«
Ich lächelte sie mit ungespielt guter Laune an. »Wenn ich das wüßte - wenn man das wissen könnte -, wäre ich reich.«
»Und wenn Sie reich wären?«
»Dann würde ich mir Rennpferde anschaffen und Rennen reiten.«
Ich war auf die Frage nicht gefaßt gewesen und hatte sie offen und ehrlich wie ein Kind beantwortet. Ans Erwachsensein mußte ich mich erst noch gewöhnen. Mein Verstand wie auch meine Körperbewegungen konnten beunruhigenderweise manchmal um zwei, im Traum sogar um fünf Jahre zurückfallen. An manchen Tagen wedelte ich behende auf Skiern die Hänge hinunter, an anderen brachte ich keinen Bogen zustande. Manchmal bewegte ich mich ganz im Einklang mit dem Galopp eines Pferdes, dann wieder hampelte ich mit Armen und Beinen. Nur im Schießen war ich - bis jetzt - so sicher, daß ich jederzeit ins Schwarze treffen konnte, einen Fünfzentimeterpunkt auf hundert Meter.