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Die polizeilichen Ermittlungen wurden von Joe, dessen Mutter den Schulbus fuhr, an gehobene Ränge auf Kreisebene weitergereicht, aber die Feuerwehrleute konnten nicht beschwören, daß Brandstiftung vorlag, niemand fand das verschwundene 22er Geschoß, und Foster Fordhams Bericht über Wachspartikel in der Ölwanne wurde als nicht schlüssig angesehen.

Wohl war es möglich, daß drei Anschläge auf Juliard verübt worden waren, sei es, um seine Wahl zu verhindern, sei es, um ihn aus dem Weg zu räumen, aber es stand nicht fest. Es gab keinen bestimmten Verdacht.

In der hochsommerlichen Nachrichtenflaute räumten die Londoner Redakteure dem Rätsel zwei Tage ausführlicher Berichterstattung ein. George Juliard kam landesweit ins Fernsehen. Jeder einzelne Stimmberechtigte im Wahlkreis Hoopwestern wußte, wer Juliard war.

Während mein Vater sich mit PR-Leuten abgab und Mervyn wie eine aufgeregte Schmeißfliege herumkurvte, um ein erschwingliches neues Büro zu finden, saß ich den halben Sonntag hindurch in einem Sessel am Fenster unseres Zimmers im Schlafenden Drachen, ließ die Prellungen und Kratzer heilen und betrachtete das ausgebrannte Gebäude auf der anderen Seite des Platzes.

Von irgendwo hier oben, dachte ich, irgendwo zwischen den vielen Geranien in Hängekörben (arrangiert von ihrem Leonard, dem Gärtner, hatte Mrs. Kitchens mir voll Stolz erzählt), irgendwo zwischen diesen vielen roten Pompons, den kleinen blauen Blumen mit mir unbekanntem Namen und den flaumig weißen, die das farbenfrohe Dekor der langen Vorderfront des Hotels ergänzten und abrundeten, von irgendwo hier oben hatte jemand mit einem 22er Gewehr auf meinen Vater angelegt.

In dem Zimmer, das wir für die Nacht bekommen hatten, war der Schütze eher nicht gewesen, denn das lag viel weiter in Richtung Rathaus als der Haupteingang des Hotels, aus dem wir gekommen waren. Bei einem Schuß von meinem Platz aus hätte man berücksichtigen müssen, daß die Zielperson sich nicht geradeaus, sondern seitwärts bewegte. Der Schuß eines Pirschjägers, aber nicht das Gewehr dafür.

Ein Abpraller konnte im Prinzip zwar überall hingehen, aber ich hielt es doch für unwahrscheinlich, daß eine von meinem Platz aus geschossene Kugel den Trödelladen hätte treffen können.

Schließlich erkundete ich im Schlafanzug und mit verbundenen Füßen die ganze erste Etage des Hotels, erhaschte durch ein oder zwei offene Türen einen Blick auf den Marktplatz und kam zu einem kleinen Aufenthaltsraum mit Sesseln und niedrigen Tischen, der direkt über der allgemein zugänglichen Hotelhalle liegen mußte. Vom Fenster dort sah man genau in die Richtung, aus der mein Vater und ich über das Pflaster gekommen waren.

Jeder - wirklich jeder, der kaltblütig genug dazu war hätte sich zwischen die bodenlangen Vorhänge stellen, das Fenster öffnen, den Lauf eines 22er Gewehrs über die Fensterbank legen und durch die Geranien in die laue Nacht schießen können.

Interessiert bat mein Vater den Direktor, die Gästeliste vom Mittwoch sehen zu dürfen, und sie wurde ihm sogar gezeigt, enthielt aber keinen ihm bekannten Namen.

»Wir haben’s versucht«, seufzte mein Vater, und auch die Polizei versuchte es zu gegebener Zeit, mit dem gleichen Resultat.

Bis Montag früh hatte Mervyn einen leerstehenden Laden in einer Nebenstraße gemietet und einen Schreibtisch für Crystal und ein paar Klappstühle zusammengeborgt. Zwei Tage lang stockte die Kampagne, während er seinen Stammdrucker be-kniete, quasi zum Selbstkostenpreis und im Eiltempo Flugblätter und Plakate nachzuliefern, doch am späten Dienstagnachmittag hatte sich dank Faith, Marge und Lavender, den unermüdlichen Hexen, der leere Laden bereits zu einem normal funktionierenden Büro samt Teekanne und Mobiltelefon gemausert.

Montag und Dienstag beherrschte George Juliard die Zeitungen und belebte ein paar Talkshows, und am Mittwoch morgen geschah ein Wunder.

Mervyn hatte eine neue Generalstabskarte an die Wand geheftet und zeigte mir gerade, wo ich mit Faith und Lavender (und wiederhergestellten Füßen) entlangfahren sollte, weil es noch Klinken zu putzen gab. Da unser Megaphon verbrannt war, sollte ich bitte ab und zu durch Hupen auf uns aufmerksam machen, aber nicht allzu aufdringlich, damit Leute, die wollten, daß ihr Baby schlief, nicht verärgert wurden. Junge Mütter (er drohte mir mit dem Finger) seien für jede Wahl ausschlaggebend. Ein geküßtes Baby bedeute eine Stimme. Hunderttausend Politiker, von einst und heute, könnten nicht irren.

»Ich werde jedes Baby küssen, das mir unter die Augen kommt«, versprach ich unbekümmert.

Er sah mich finster an, für keinen Spaß zu haben. Ich mußte an die jüngste Ermahnung meines Vaters denken: »Witze ja, aber nicht gegenüber der Polizei, für die ist Humor ein Fremdwort. Und mach nie einen politischen Witz, damit eckst du nur an. Denk immer dran, daß schon eine hochgezogene Augenbraue Anstoß erregen kann. Und daß jede noch so kleine Möglichkeit, Anstoß zu nehmen, genutzt wird.«

Ich hatte ihn angestarrt. »Sind die Leute so blöd?«

»Als blöd«, meinte er mit gespielter Strenge, »solltest du die

Menschen niemals bezeichnen. Sie können strohdumm sein, aber wenn du sie blöd nennst, bist du ihre Stimme los.«

»Und du willst, daß dich auch Blöde wählen?«

Er hatte gelacht. »Mach keine Witze.«

Am Mittwochmorgen, als das Wunder geschah, war er nach London gefahren. Nur Mervyn, Crystal, Faith, Marge, Lavender und ich waren in dem improvisierten Büro und behalfen uns, so gut es ging, ohne Computer (für die Spesenabrechnung), Kopierer (für die Zeitpläne) und Fax (für Nachrichten aus fernen Galaxien wie Quindle).

Orinda kam herein.

Der Bürobetrieb stand still.

Sie war ganz in Limonengrün: Hose, Jacke und Stirnband. Goldener Schmuck. Neben der schwarzen Eidechstasche trug sie eine große Plakatrolle bei sich.

Sie blickte in dem kahlen Raum umher, lächelte Marge ein wenig an und faßte mich ins Auge.

»Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte sie ruhig. »Draußen.«

Ich ging mit ihr hinaus. Die Sonne schien auf den Gehsteig. Passanten zogen an uns vorbei.

»Seit Samstag habe ich über vieles nachgedacht«, begann sie. »Am Sonntagmorgen, so gegen halb acht, stand unangemeldet ein Zeitungsmensch vor meiner Tür.«

Sie schwieg. Ich nickte nur.

»Er hat gefragt, ob es mich freut oder ärgert, daß Sie nicht in den Flammen umgekommen sind. Sie und Ihr Vater, meine ich.«

»Oh.«

»Bis dahin wußte ich von dem Brand nichts.«

»Mich wundert, daß Sie niemand verständigt hat.«

»Wenn ich schlafen gehe, ziehe ich immer das Telefon raus. Ich schlafe sowieso schlecht.« »Oh«, sagte ich wieder unbestimmt.

»Der Journalist wollte wissen, was ich von der Ansicht halte, daß auf George Juliard gezielt lebensbedrohliche Anschläge verübt werden, damit er seine Kandidatur zurückzieht und den Weg für mich frei macht.«

Sie hielt inne und musterte mein Gesicht. »Ich sehe, daß Ihnen der Gedanke nicht neu ist.«

»Nein, aber ich glaube nicht, daß Sie etwas damit zu tun haben.«

»Wieso?«

»Sie sind verletzt. Sie sind aufgebracht. Aber Sie würden keinen Mord begehen.«

»Wann werden Sie achtzehn?«

»In zehn Tagen.«

»Dann betrachten Sie das als Geschenk dafür.« Sie drückte mir die Plakatrolle in die Hände. »Mein Geschenk. Ihnen verdanke ich ...« Sie unterbrach sich und schluckte. »Machen Sie damit, was Sie wollen.«

Neugierig rollte ich die steifen Bögen auseinander, die ich oben und unten festhalten mußte, damit sie nicht wieder zusammenschlugen. Auf dem ersten stand in riesiger Blockschrift:

Orinda Nagle sagt: Wählen Sie Juliard

Ich weiß, daß mir die Kinnlade herunterklappte.

»Es sind zehn Stück«, sagte sie nur. »Alles die gleichen. Ich habe sie heute morgen drucken lassen. Die drucken gern nach, wenn Sie wollen.«