Er legte die Aktentasche auf den Tisch und nahm zwei Bogen Schreibpapier heraus.
»Ich habe vor«, sagte er, »dir ein Versprechen zu geben, und dasselbe Versprechen sollst du mir geben. Wir wissen beide, wie leicht man einem Usher Rudd ausgeliefert ist.«
»Es kann sogar sein«, warf ich ein, »daß er uns in diesem Augenblick belauscht, zumal wenn er weiß, wo wir gerade herkommen.«
Vater sah einen Moment lang erschrocken aus, grinste dann aber. »Soll er nur lauschen, der rothaarige Mistbock. Ich will dir nämlich versprechen, daß ich ihm oder Leuten seines Schlages niemals Grund zu schmutziger Publicity liefere. Ich werde die Langeweile in Person sein. Keine Schürzenjägerei, keine unerlaubten Zahlungen für Gefälligkeiten, kein Steuerbetrug und kein schräger Zeitvertreib wie Rauschgift oder abartiger Sex .«
Ich lächelte unbekümmert, belustigt.
»Ja«, sagte er, »aber das gleiche sollst du mir versprechen. Du sollst mir versprechen, daß du, wenn ich gewählt werde, meine ganze politische Laufbahn hindurch nichts tust, was mich in Mißkredit bringen, mein Amt kosten oder mir in irgendeiner Weise schaden kann.«
»Das tu ich doch sowieso nicht«, wandte ich ein.
»In deinem Alter sagt sich das leicht, aber du wirst noch sehen, was für schlimme Verlockungen das Leben bietet.«
»Ich verspreche es«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Damit ist es nicht getan. Ich möchte, daß wir es beide schriftlich machen. Damit du dir vor Augen halten kannst, was du versprochen hast. Es ist natürlich kein amtliches Dokument oder so etwas Hochgestochenes, nur eine
Willenserklärung.« Er schwieg, klickte seinen Kuli ein, während er überlegte, schrieb dann schnell etwas auf das eine Blatt, setzte seine Unterschrift darunter und gab es mir zu lesen.
Da stand: »Hiermit verspreche ich, daß ich Skandale meiden und niemals etwas Zweifelhaftes oder Ungesetzliches tun werde.«
Wau, dachte ich. Um dem Ganzen nicht zuviel Ernst beizumessen, sagte ich: »Das ist aber ziemlich weit gefaßt, oder?«
»Anders hat es keinen Wert. Aber du kannst deine Worte selber wählen. Schreib, wie du es für richtig hältst.«
Ich hatte nicht die Absicht, mich unwiderruflich auf einen engelhaften Lebenswandel festzulegen.
»Ich werde nichts tun«, schrieb ich, »was die politische Laufbahn meines Vaters beeinträchtigen oder seinem Ruf schaden könnte. Ich will mich bemühen, ihn vor Angriffen jeder Art zu schützen.«
Leichten Herzens unterschrieb ich und reichte ihm das Blatt. »Gut so?«
Er las es und lächelte. »Gut so.«
Er faltete die beiden Blätter zusammen, dann nahm er das Hochzeitsfoto und legte es mit der Bildseite nach unten auf das Glas im Rahmen. Er legte die beiden schriftlichen Versprechen auf das Bild und drückte wieder die Deckplatte mit den Klammern darauf fest.
»So«, sagte er, indem er das Bild umdrehte. »Jedesmal, wenn du dir jetzt das Foto von deiner Mutter und mir ansiehst, wirst du an die Abmachungen erinnert, die dahinter stecken. Einfacher geht’s nicht.«
Er stellte das Bild hin und gab mir ohne Umschweife meine Geburtsurkunde und meinen Paß zurück.
»Heb sie gut auf.«
»Mach ich.«
»In Ordnung. Dann also wieder auf in den Wahlkampf.«
Nachdem ich meine Papiere in einem Briefumschlag im Hotelsafe deponiert hatte, fuhren wir ins neue Büro, um Mervyn, Faith und Lavender samt Flugblättern zu einer morgendlichen Direktwerbetour durch drei Hoopwesterner Reihenhaussiedlungen abzuholen. Arbeiter aus der Glühlampenfabrik, hieß es.
Mervyn präsentierte stolz ein neues Megaphon. Sein treuer Drucker hatte Berge von JULIARDS nachgeliefert. Mervyn schien ausnahmsweise einmal mit sich und der Welt zufrieden, aber wie strahlte die Sonne erst für ihn, als Orinda eintraf und erklärte, auch sie sei kampfbereit.
Mit Faith und Lavender, die so kühl waren, wie Mervyn erhitzt war, quetschten wir uns also zu sechst in den Range Rover, während Crystal mit ihrer chronischen Scheu und Marge mit Besen und Staubtuch zurückblieben.
In acht Tagen, dachte ich, ist alles vorbei. Und was fange ich dann an? Drei oder vier Wochen blieben noch, bis das Semester in Exeter losging. Ich schob den Gedanken weg. Bis dahin war ich achtzehn. Vielleicht ein Trip nach Frankreich ... mit dem Fahrrad.
Ich fuhr in Gedanken versunken und hielt, wenn Mervyn es mir sagte.
Orinda trug einen eleganten, hell orangeroten Hosenanzug. Dazu wie immer Goldschmuck. Dezentes, perfektes Make-up.
Babys wurden geküßt. Mein Vater traf auf eine Reihe kinderhütender Hausmänner und Schichtarbeiter und erfuhr Wissenswertes über Glühfäden aus Wolfram. Ich plauderte mit einem Kaffeekränzchen alter Damen, die nicht ruhten, bis ihnen mein Vater die Hand gedrückt hatte. (Gerötete Wangen. Ein Strauß von Wählerstimmen.) Orinda traf alte Bekannte. Mervyn verkündete unser Erscheinen straßauf, straßab mit dem Elan eines Lumpensammlers, und Faith und Lavender ließen keine Klingel aus.
Als wir der letzten Siedlung den Rücken kehrten, hatten wir ein oder zwei Titmuss zu Gesicht bekommen, nicht einen
Whistle und so gut wie keinen Bethune; um so mehr Fenster warben jetzt für JULIARD. Man durfte hoffen.
Mervyn und mein Vater entschlossen sich, noch eine längere Straße anzuhängen, die aus etwas wohnlicher wirkenden Häusern unterschiedlicher Bauart bestand. Ich hatte von Hausbesuchen mittlerweile für die nächsten paar hundert Jahre genug, aber die anderen waren mit schier unermüdlichem Eifer dabei. Meinem Vater strahlte die Einsatzfreude aus den Augen, und Leute mit anderen politischen Auffassungen beflügelten ihn eher, als daß sie ihn entmutigten. Anscheinend wurde er es niemals leid, die Ungläubigen zu bekehren.
Halbherzig fragte ich Faith und Lavender, ob sie es nicht gut sein lassen und Mittagspause machen wollten. »Nein, nein«, schmetterten sie mich ab, »jede Stimme zählt.«
Einzig Orinda wirkte still und befangen statt selbstbewußt und extrovertiert wie sonst, und als ich mit ihr vor einem Altenheim, das die anderen im Sturm zu nehmen hofften, beim Range Rover wartete, fragte ich sie schließlich, was los sei.
»Nichts«, erwiderte sie, und ich hakte nicht nach, aber nach ein paar Augenblicken meinte sie: »Sehen Sie den weißen BMW dahinten?«
»Ja.« Ich runzelte die Stirn. »Der war auch in einer von den Siedlungen.«
»Er verfolgt uns.«
»Wer verfolgt uns? Usher Rudd?«
»Ach was.« Wider Erwarten wunderte sie sich über die Vorstellung. »Usher Rudd doch nicht. Das ist Alderney Wyvern.«
Das überraschte mich nun wieder, und ich fragte erstaunt: »Weshalb sollte der uns verfolgen?«
Orinda zog die Stirn kraus. »Er ist mir noch böse, weil ich Ihren Vater unterstütze.«
»Ja ... das habe ich mitgekriegt. Aber wieso?«
»Um das zu verstehen, sind Sie zu jung.«
»Ich könnte mir Mühe geben.«
»Dennis hat in allem auf Alderney gehört. Ich meine, er hat ihm seinen Aufstieg verdankt. Alderney hat ihm immer gesagt, was er tun soll. Er besitzt viel politisches Fingerspitzengefühl.«
»Warum geht er dann nicht selber ins Parlament?«
»Er sagt, das will er nicht.« Sie schwieg. »Ihn zu verstehen ist ehrlich gesagt nicht einfach. Aber er hat damit gerechnet, daß ich nominiert werde und als die Witwe Dennis’ Mandat übernehme, und er hat auf Leute wie diesen Schleimer Leonard Kitchens mit seinem grauslichen Schnurrbart eingewirkt, um meine Kandidatur durchzubringen. Aber dann hat das Parteibüro in Westminster aus heiterem Himmel beschlossen, George Juliard ins Parlament zu hieven, und der kam und hat den Wahlausschuß begeistert, der sowieso immer auf Polly hört, und die war hin und weg von ihm . Jedenfalls braucht Ihr Vater keinen Alderney. Ich glaube manchmal, die Macht, um die es Alderney geht, ist die Macht, hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen.«
Das schien mir damals eine abstruse Vorstellung. (Ich mußte immer noch viel lernen.)