»Und da ich jetzt zu Ihrem Vater halte«, sagte Orinda, »höre ich nicht mehr so auf Alderney. Sonst habe ich mich immer nach ihm gerichtet. Dennis auch, denn wenn uns Alderney gesagt hat, das und das läuft ab auf der politischen Bühne, lag er meistens richtig, und jetzt bin ich auf einmal dauernd mit Ihnen und Ihrem Vater unterwegs ... Sie werden lachen, aber ich glaube fast, er ist eifersüchtig!«
Ich lachte nicht. Immer wieder sah ich, was für eine Wirkung mein Vater auf die Frauen in Hoopwestern hatte, angefangen bei der spitzzüngigen Lavender. Es hätte mich nicht überrascht, wenn er einen Kometenschweif aus Eifersucht im Wahlkreis hinterlassen hätte, aber er brauchte ja auch die Stimmen der Männer, und ich hatte bemerkt, daß er zu Frauen bewußt Distanz hielt.
Alderney Wyvern, ein Stück entfernt, stieg aus seinem Wagen, stellte sich breitbeinig, die Hände in den Hüften, auf den Gehsteig und starrte Orinda an.
»Am besten, ich rede mal mit ihm«, meinte Orinda.
»Lieber nicht«, sagte ich instinktiv.
Sie hörte die Sorge in meiner Stimme und lächelte. »Wir kennen uns seit Jahren.«
Ich hatte Eifersucht noch nicht in ihrer krassen, ausgewachsenen Form, sondern nur als ohnmächtige jugendliche Wut kennengelernt, doch ich spürte intuitiv, daß mit A. L. Wyvern eine große - und beunruhigende - Veränderung vorgegangen war.
Bis jetzt hatte ich ihn stets als jemanden erlebt, der sich bewußt zurücknahm, der leise und selbstbeherrscht auftrat, als wollte er nicht auffallen. Damit war es vorbei. Die untersetzte Gestalt wirkte jetzt massiger, die Schultern waren hochgezogen, das Gesicht auch noch von weitem grimmig angespannt. Aus ihm sprach die hemmungslose Wut eines Aufrührers, eines militanten Streikenden.
»Bleiben Sie hier«, sagte ich zu Orinda.
»Seien Sie nicht albern.«
Selbstbewußt ging sie in ihrem lebhaften Orangerot auf ihn zu.
Ich hörte seine dumpf grollende Stimme, verstand aber nicht, was er sagte. Ihre Antwort war unbekümmert, neckend. Sie faßte nach seinem Arm, wie um ihn liebevoll zu streicheln, und er schlug ihr heftig ins Gesicht.
Sie schrie ebensosehr vor Schreck wie vor Schmerz auf. Ich lief zu ihnen hinüber, und obwohl Wyvern mich kommen sah, versetzte er ihr noch einen Schlag mit dem Handrücken auf Nase und Mund.
Schreiend nahm sie die Hände hoch, um ihr Gesicht zu schützen, und wollte gleichzeitig von ihm weglaufen, aber er hielt sie an der Schulter ihrer Jacke fest und holte mit der Faust zu einem dritten Schlag aus.
Sie riß sich los. Dabei kam sie aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte vom Gehsteig auf die Fahrbahn.
Plötzlich erschien auf der bisher so stillen und leeren Straße des Wohnviertels ein schwerer Lastwagen, der mit quietschenden Bremsen, wild plärrender Hupe auf Orinda zuhielt.
Orinda taumelte, als hätte sie die Orientierung verloren, und ich rannte auf sie zu, ohne Tempo oder Entfernung abzuschätzen, nur getrieben von der Notwendigkeit des Augenblicks.
Der Lkw-Fahrer machte bei dem Versuch, ihr auszuweichen, einen Schlenker und verschlimmerte damit nur alles, weil seine Fahrtrichtung nicht abzusehen war. Es konnte leicht passieren, daß ich sie ihm vor den Kühler stieß statt weg davon, aber ich warf mich wie bei einem Rugby-Angriff auf Orinda, so daß sie halb unter mir auf den harten Asphalt flog, und die Bremsspur der kreischenden schwarzen Reifen ging Zentimeter an unseren Füßen vorbei.
Orinda blutete aus der Nase, weinte vor Schmerzen, und darüber hinaus war sie benommen und verwirrt. Selbst noch außer Atem, kniete ich mich neben sie und hoffte, ihr nicht unnötig weh getan zu haben, wo der Lkw sie vielleicht ohnehin verfehlt hätte.
Der Lastwagen hatte ein paar Meter vor uns angehalten, und der Fahrer, der heraussprang und im Laufschritt auf uns zukam, übte sich bereits in gekränkter Unschuld.
»Sie ist mir direkt vor den Wagen gelaufen, ich hatte keine Chance. Da war ich nicht schuld ... ich konnte nichts machen ... Ich kann nichts dafür, daß sie ganz voll Blut ist.«
Weder Orinda noch ich antworteten. Es war belanglos. Ihn traf keine Schuld, und niemand würde etwas anderes behaupten. Der Schuldige stand verdutzt und wütend auf der anderen Straßenseite, steif wie ein Brett, starrte böse herüber und dachte nicht daran, uns zu Hilfe zu kommen.
Als ich wieder Luft bekam, fragte ich Orinda, ob alles in Ordnung sei. Blöde Frage eigentlich, da ihre Nase blutete und Wy-verns brutale Hände noch andere Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Ihre Jacke war zerrissen. Ein schwarzer Schuh fehlte. Das sorgfältige Make-up war verschmiert, und sie wirkte schlaff und matt am ganzen Körper.
Die Orinda, die auf der Straße lag, war von der selbstbewußten, weltgewandten, Kameras becircenden Orinda, die ich kannte, weit entfernt; sie sah aus wie eine nette, schwer erschütterte normale Frau mittleren Alters, die versuchte, ihre fünf Sinne zusammenzuraffen und zu begreifen, was geschehen war.
Ich beugte mich vor und legte ihr einen Arm in den Nacken, um zu sehen, ob sie sich aufsetzen konnte, und zu meiner Erleichterung ging sie darauf ein, richtete sich halb auf und blieb, den Kopf und die Hände auf die hochgezogenen Knie gestützt, am Straßenrand sitzen.
Sie hat sich nichts gebrochen, dachte ich aufatmend. Die Brüche waren innen, in der Seele und nicht zu heilen.
Sie versuchte sich das Blut mit den Fingern abzuwischen und fragte schluchzend: »Haben Sie ein Taschentuch?«
Ich hatte keins.
»In meiner Handtasche ist eins.«
Ihre Handtasche war im Range Rover.
»Ich hole sie Ihnen«, sagte ich.
»Nein, Benedict ... bleiben Sie bei mir!«
»Rufen Sie einen Krankenwagen«, mischte sich der Fernfahrer ein. »Ich habe sie nicht angefahren, das weiß ich genau. Ich kann nichts dafür, daß sie blutet.«
»Nein«, stimmte ich ihm zu und stand auf. »Aber Sie sind ein kräftiger Mann, und Sie können mir helfen, die Dame zu dem goldverzierten Range Rover dort hinüberzubringen.«
»So sehen Sie aus«, unterbrach er. »Ich mach mich doch nicht voll Blut, das war nicht meine Schuld, daß sie mir direkt vor die Räder läuft.«
»Schon klar«, sagte ich. »Es war nicht Ihre Schuld. Aber Sie haben immerhin angehalten, und wenn Sie mir jetzt noch helfen, sie da zu dem Wagen zu bringen, und mir Ihren Namen und den der Firma, für die Sie fahren, sagen würden, damit ich das notieren kann, dann können Sie sich auch gleich wieder auf den Weg machen.«
»Keine Polizei«, sagte er.
»Man braucht bei einem Unfall nicht die Polizei zu rufen, wenn niemand verletzt worden ist, und Sie sagen ja selbst, daß Sie die Dame nicht verletzt haben.«
»Echt? Woher wissen Sie das alles? Sie sind doch noch grün.«
Ich hatte es bei der Vorbereitung auf den Führerschein gelernt, aber wozu ihm Geschichten erzählen? Ich bückte mich und versuchte Orinda auf die Beine zu helfen, und sie stand wacklig auf und hielt sich an mir fest, um nicht wieder zu stürzen.
Unbeholfen legte ich den Arm um sie. Sie zitterte am ganzen Körper. Mein Vater hätte sie einfach gepackt und zum Auto getragen, aber abgesehen davon, daß ich nicht wußte, ob ich die nötige Kraft besaß, war mir der Altersunterschied zwischen uns peinlich. Absurd eigentlich. Ich wollte sie beschützen, dabei fühlte ich mich selbst unsicher.
Ein paar Autos fuhren vorbei, und die Insassen reckten neugierig die Köpfe.
»Also gut, gnä’ Frau«, sagte der Fahrer unvermittelt, indem er ihren weggeflogenen Schuh aufhob und ihn ihr anzog, »halten Sie sich an meinem Arm fest.«
Er stützte sie wie ein Fels, und sie ging unsicher mit uns, zaghaft einen Fuß vor den anderen setzend, als wüßte sie nicht genau, wo der Boden war. So kamen wir schließlich zu dem Range Rover und setzten Orinda auf den Beifahrersitz, wo sie matt zurücksank und dem Fahrer dankte.
»He!« sagte der plötzlich und musterte den auffälligen Wagen. »Ist das nicht die Kiste von dem Politiker? Dem mit dem komischen Namen?«