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»Sie sollen raus auf die Straße gehen und nach einem schwarzen Wagen mit Chauffeur suchen«, teilte mir Crystal mit, »aber fragen Sie mich nicht, warum und wieso, denn das hat George mir nicht gesagt, er hat nur gegrinst wie ein Honigkuchen. Also schieben Sie ab und suchen Sie den Wagen.«

»Danke, Crystal.«

Sie nickte und scheuchte mich mit einer Handbewegung hinaus, und ich fand die schwarze Limousine mit Chauffeur etwa hundert Meter entfernt, wo sie geduldig auf dem Parkplatz stand.

Der Chauffeur reichte mir wortlos einen unadressierten weißen Briefumschlag.

Auf der inliegenden Karte stand: Steig ein.

Und darunter: Bitte.

Mit aufkommender guter Laune befolgte ich die Anweisung.

Es überraschte mich wenig, daß der Fahrer (nicht derselbe wie damals, und auch der Wagen war ein anderer) mir nicht sagen wollte, wo es hinging. Aber wir fuhren offensichtlich nach Westen, und Exeter kam auf den Schildern immer näher.

Der Chauffeur lenkte in die Stadtmitte und hielt vor dem Haupteingang des größten Hotels. Wie schon einmal wurde mir feierlich der Wagenschlag aufgehalten, und mit einem nicht im Drehbuch stehenden breiten Grinsen deutete der Fahrer auf die Hotelhalle und überließ mich den livrierten Türstehern, die sich hochmütig erkundigten, ob ich kein Gepäck hätte.

Mein Gepäck bestand aus dem, was ich anhatte: ein langärmeli-ges weißes Sweatshirt, neue Bluejeans und ausgetretene Turnschuhe. Mit wesentlich mehr Selbstvertrauen als in Brighton betrat ich das Foyer und fragte an der Rezeption nach George Juliard.

Die Empfangsdame drückte Tasten an einem Computer.

»Tut mir leid, aber wir haben keinen Gast namens Juliard.«

»Schauen Sie bitte noch mal.«

Sie schaute. Schenkte mir ein geschäftsmäßiges Lächeln. Immer noch kein Juliard, heute nicht, früher nicht, niemals.

Diesmal war ich wirklich nicht im Land abgeschnittener Jeans und spruchbeladener T-Shirts. Selbst am hochsommerlichen letzten Sonntag im August dominierten hier, im besten Hotel der Domstadt, Straßenanzüge. Damen um die Fünfzig. Man war im Gottesdienst gewesen. Ich kam finster zu dem Schluß, daß der Fahrer mich falsch abgeliefert hatte.

An die Hotelhalle schloß sich auf einer Seite ein Wintergarten mit Sesseln und Grünpflanzen an, und da setzte ich mich erst mal hin und überlegte, was zu tun sei. Hatte mein Vater gewollt, daß ich Exeter kennenlernte, bevor ich dort zu studieren anfing?

Oder was?

Nach ungefähr einer halben Stunde kam ein Mann, der ähnlich wie ich gekleidet, aber gut zehn Jahre älter war, in das Hotel. Er sah sich in der Halle um und schlenderte gemütlich auf mich zu.

»Juliard?« fragte er. »Benedict?«

Ich stand auf und überragte ihn um ein paar Zentimeter, was ihn zu überraschen schien. Er hatte strohblondes Haar, weiße Wimpern und sonnengebräunte Haut. Ein kräftiger, selbstbewußter Mann, der sich in seiner Welt wohl fühlte.

»Ich heiße Jim«, sagte er. »Ich soll Sie abholen.«

»Wer sind Sie denn?« fragte ich. »Wo bringen Sie mich hin?«

Er lächelte und sagte nur: »Kommen Sie.«

Er führte mich aus dem Hotel und ein paar Ecken weiter zu einem staubigen, verbeulten roten Auto mit zerfledderten Illustrierten, zerknülltem Butterbrotpapier, kaffeegefleckten Plastikbechern und einem Mischlingshund, der auf den Namen Bert hörte, im Innern.

»Kümmern Sie sich nicht um die Unordnung«, meinte Jim vergnügt, indem er einen Stoß verknitterter Zeitungen vom Beifahrersitz auf den Boden fegte. »Herzlichen Glückwunsch übrigens.«

»Ehm ... vielen Dank.«

Er fuhr so, wie mein Fahrlehrer es mir untersagt hatte: schnell aufs Gas, ruckartig auf die Bremse. Hü und hott. Impuls und Vorsicht. Ihm hätte ich immer vertraut.

Soweit ich es beurteilen konnte, fuhren wir nur zehn bis fünfzehn Kilometer nach Westen. Raus aus der Stadt, an einem Wegweiser zum Streatham Campus der Uni Exeter vorbei (dort war auch die mathematische Abteilung), mitten hinein ins ländliche Devon, wo die Häuser tief herabgezogene Strohdächer und winzige Fenster hatten.

Jim hielt mit einem Ruck vor einer größeren Ausgabe des Grundmusters und zeigte auf eine massive Haustür.

»Gehen Sie da rein«, wies er mich an. »Durch den Flur, die letzte Tür links.« Er grinste. »Und alles Gute.«

Ich war schon froh, aus seiner Kiste herauszukommen, und sei es nur, weil mir der buntgemischte Bert dann nicht mehr den Hals ablecken konnte.

»Wer wohnt denn hier?«

»Das sehen Sie dann.«

Er stellte mich vor eine einfache Entscheidung: Entweder tun, was er gesagt hatte, oder sehen, wie ich zurück nach Exeter kam. Ab mit Alice in den Kaninchenbau, dachte ich.

Ich öffnete die schwere Holztür und ging durch den Flur zur letzten Tür links.

Kapitel 8

Im letzten Zimmer links saß ein Mann hinter einem großen Schreibtisch, und im ersten Moment dachte ich mit einem unwillkommenen Herzhüpfer, es sei Vivian Durridge, der mich aufs neue an die Luft setzen wollte.

Er blickte von seinen Papieren auf, als ich eintrat, und ich sah, daß es zwar nicht Vivian Durridge, aber ein ähnlich strenger Vertreter der gleichen Generation war.

Statt einer freundlichen Begrüßung musterte er mich langsam von oben bis unten.

»Ihr Vater gibt sich viel Mühe mit Ihnen«, sagte er. »Hoffentlich sind Sie das wert.«

Da mir keine passende Antwort darauf einfiel, schwieg ich.

»Wissen Sie, wer ich bin?« fragte er.

»Leider nicht ... Sir.«

»Stallworthy.«

Er wartete, bis ich den Namen registriert hatte, und das ging recht schnell. Aber das, was ich mit dem Namen verband, ließ mich zögern. Es war zu schön, um gleich geschluckt zu werden.

»Ehm ... Spencer Stallworthy, der Trainer?«

»Genau.« Er schwieg. »Ihr Vater hat mich angerufen. Er will ein Rennpferd kaufen und es hier bei mir in Training stellen, damit Sie morgens mit dem Rad von der Uni herüberkommen können, um es zu arbeiten. Es soll in Amateurrennen laufen, damit Sie es reiten können.«

Er musterte mein Gesicht. Die Begeisterung war mir sicher anzusehen, denn ein dünnes Lächeln erhellte langsam seine grimmen Züge.

»Ich hoffe nur«, sagte er, »Sie sind so gut im Sattel, daß Sie meinem Stall keine Schande machen.«

Ich hoffte nur, daß er nicht mit Vivian Durridge verkehrte.

»Ihr Vater bat mich, ein geeignetes Pferd auszusuchen. Wir haben natürlich über die Preislage gesprochen. Ich sagte ihm, daß von den rund vierzig Pferden, die ich trainiere, immer ein paar zum Verkauf stehen. Im Augenblick habe ich zwei da, die in Frage kämen. Ihr Vater und ich haben abgesprochen, daß Sie heute herkommen und beide Tiere reiten. Dann sollen Sie sich für eins entscheiden. Es sollte eine Geburtstagsüberraschung sein - und wie ich sehe, ist die gelungen.«

Ich nickte atemlos.

»Gut. Dann gehen Sie jetzt bitte hinten raus. Mein Assistent Jim, der Sie hierhergebracht hat, wird Sie zum Stall fahren. Die Pferde stehen bereit - also ab mit Ihnen.«

»Ehm ...«:, sagte ich. »Vielen Dank.«

Er nickte und beugte sich über seine Schreibarbeit; und Jim fuhr mich einen knappen Kilometer zu dem alten Stallhof, der einen Anstrich hätte gebrauchen können und der seit Jahren die Sieger kleinerer Rennen in Westengland stellte. Stallworthy war nicht auf Cheltenham, Sandown oder Aintree aus. Er arbeitete für die hiesigen Farmer und Geschäftsleute und ließ ihre Pferde auch hier laufen.

Jim stieg aus und zeigte nur mit dem Finger. »Da ist die Sattelkammer.« Er drehte sich um. »Das Pferd in Box 27. Okay?«

Ich sah nach dem Insassen von Box 27 und fand einen sehr kräftigen Fuchswallach, der begierig schien, an die Luft zu kommen. Er hatte gute, kurze Beine, die Sprunggelenke nicht zu stark gewinkelt, und eine breite Brust, die so oder so mit jedem Hindernis fertig wurde. Vom Typ her eher ein eingefleischter Steepler als ein auf Sprünge umgestelltes Flachpferd.