Ich traute ihm Ausdauer und die nötige Ruhe zu, um einen vorschnell ermüdenden Amateur über die letzten Meter zu tra-gen, und wenn auf den ersten Blick etwas gegen ihn sprach, dann war es sein kurz geratener Hals.
Jim ließ den Fuchs von einem Pfleger satteln und aufzäumen, obwohl er, wenn mich nicht alles täuschte, erst vorgehabt hatte, mir das selbst zu überlassen.
Jim hatte mich nicht ganz ernst genommen. Aber jetzt war ich im Stall, bei den Pferden, und vielleicht deshalb weniger ein Jux als ein Kunde für ihn. Jedenfalls leuchtete es Jim und dem Pfleger durchaus ein, daß ich zunächst sehen wollte, wie das Pferd ging, wenn es im Schritt herumgeführt wurde. Irgendwann in meiner lückenhaften Rennsportausbildung hatte ein freundlicher alter Jok-key mir gesagt - und demonstriert -, daß ein Pferd, das gut ging, auch gut galoppierte. Ein ruhiger, weit ausgreifender Gang war günstig für Jagdrennen über lange Strecken. Ein unruhiger, hüpfender Gang sprach für einen nervösen, unausgeglichenen Galopp.
Der Fuchs ging mit so langen, gemessenen Schritten, daß es aussah, als könnte er ewig marschieren. Als er mit seinem Pfleger zweimal rundgelaufen war, hielt ich ihn an und tastete seine Beine ab (keine Verdickungen durch alte Sehnenschäden), schaute ihm ins Maul (auch wenn man das bei einem geschenkten Pferd nicht tun soll) und schätzte ihn auf etwa sieben Jahre, ein gediegenes Alter für ein Jagdpferd.
»Wo kann ich ihn reiten?« fragte ich Jim, und er deutete zum Hof hinaus auf das Gatter einer großen Weide, die sich als die Haupttrainingsbahn des ganzen Stalls entpuppte. Offenes Trainingsgelände gab es in diesem gemütlichen Teil von Devon offenbar nicht.
»Sie können ans andere Ende traben oder galoppieren«, sagte Jim, »und kommen dann halbschnell zurück. Er . der Fuchs . kennt den Weg.«
Ich schwang mich auf den Rücken des Pferdes, stellte die Spitzen meiner unzweckmäßigen Turnschuhe in die Bügel und schnallte sie länger, während ich mich an das große Tier gewöhnte, mit dem ich halbschnell reiten und zumindest die Illusion sollte erleben können, in meinem Element zu sein. Vielleicht würde ich nie ein großer Jockey werden, und vielleicht war ich manchmal linkisch und unbeholfen, weil ich so sprunghaft wuchs und mein Körper sich noch dauernd veränderte, aber ich hatte schon die verschiedensten Pferde geritten, meist in der Urlaubszeit, wenn die Leute jemand brauchten, der auf ihre Tiere aufpaßte. Ich hatte Trainer gebeten, Erfahrung mit Rennpferden sammeln zu dürfen, und in den beiden letzten Jahren war ich in jedem Rennen gestartet, das mir angeboten wurde: sechsundzwanzig Mal bisher, mit drei Siegen, zwei dritten Plätzen, drei Stürzen.
Der Fuchs von Stallworthy war gut aufgelegt und zeigte es mir, indem er geduldig stillhielt, während ich die Bügel schnallte und Jim mir aus der Sattelkammer eine Sturzkappe holte, ohne die er mich nicht ziehen lassen wollte, auch wenn sie eine Nummer zu klein war.
Der breite Rücken des Fuchses strotzte vor Muskeln, und ich hatte dreieinhalb Wochen nicht mehr auf einem Pferd gesessen; wäre er an diesem Morgen fuchtig gewesen, hätte er mir durchgehen und mich lächerlich machen können, aber er ging so friedlich wie ein altes Schulpferd zum Trainingsgelände.
Sein Trab gefiel mir weniger, denn er war holprig und warf mich durch die Gegend, aber sein leichter Galopp war wie ein Sessel. Wir gingen einträchtig zum anderen Ende der dort leicht abfallenden Grasbahn - die richtige Arbeit begann also, gut zur Kräftigung der Beine, mit einem Anstieg.
Den Fuchs halbschnell zu reiten war ein bißchen so, als säße man auf einer abgefeuerten Rakete: Kraft, Zielbewußtsein, schwer vom Kurs abzubringen. Ein wenig atemlos hielt ich an und ging zu Jim hinüber, der am Gatter stand. »Gut«, sagte er nur, »jetzt versuchen Sie den anderen.«
Das andere Pferd - ein brauner Wallach mit schwarzer Mähne - war dünner und vom Typ her schneller als der Fuchs. Er trug den Kopf höher, tänzelte und brannte darauf, in die Hufe zu kommen. Wie weit ihn die schnellen Beine tragen würden, war vielleicht fraglich.
Ich stand bis zum Ende der Grasbahn in den Bügeln und ließ den Trab und den leichten Galopp unter mir wogen. Dieser Braune war nicht darauf trainiert, seinen Reiter die schöne Landschaft genießen zu lassen; er war geboren, um Rennen zu laufen, und sonst interessierte ihn nichts. Statt am Ende der Grasbahn ruhig kehrtzumachen, drehte er sich mit hängender Schulter flink um die Achse, ein Manöver, das nichtsahnende Reiter garantiert aus dem Sattel hebt. Ich hatte das schon bei vielen Pferden gesehen. Mich hatten auch schon welche abgeworfen. Bei Stallworthys Braunem war ich darauf vorbereitet, nicht weil ich ihn für link hielt, sondern weil ich seinen Eifer spürte.
Sein halbschneller Galopp zurück war ein unentwegter Kampf gegen meine Arme: er wollte viel mehr rangehen. Nachdenklich sprang ich runter und führte ihn ans Gatter zu Jim.
»Gut«, sagte Jim. »Welchen nehmen Sie?«
»Ehm ...« Ich klopfte dem Braunen den Hals. Er schüttelte heftig den hübschen Kopf, vermutlich nicht aus Mißbilligung, sondern aus Zufriedenheit.
»Wie wär’s«, sagte ich, »wenn wir in der nächsten Kneipe ein Sandwich essen gehen und ich mir die Rennberichte und die Zucht ansehe?«
In Kneipen fühlte ich mich nach dreieinhalb Wochen mit meinem Vater ziemlich wohl.
Jim lachte auf. »Ich sollte einen Schuljungen abholen, hieß es. Sie sind mir vielleicht ein Schuljunge.«
»Ich bin seit einem Monat mit der Schule fertig.«
»Ja, dann!«
Mit gutmütiger Ironie holte er bei Stallworthy die fraglichen Unterlagen und fuhr mit mir zu einer Schenke im Ort, wo man ihn als gerngesehenen Stammgast begrüßte. Wir setzten uns auf eine Holzbank mit hoher Rückenlehne, und er legte die Rennberichte zwischen seinem Bier und meiner Diätcola auf den Tisch.
Bei der Zucht von Hindernispferden kommt es auf die Mütter an. Die Mutter eines Siegers bringt mit großer Wahrscheinlichkeit noch weitere Sieger hervor. Die Mutter des Fuchses hatte zwar selbst nie gesiegt, dafür aber zwei ihrer Nachkommen. Der Fuchs hatte bisher nur einen zweiten Platz erreicht.
Die Mutter des Braunen war nie ein Rennen gelaufen, doch ihre sämtlichen Nachkommen mit Ausnahme des ersten Fohlens hatten gesiegt. Der Braune bisher zweimal. Beide Pferde waren acht.
»Erzählen Sie mir von ihnen«, sagte ich zu Jim. »Was muß ich wissen?«
Er würde mir auf keinen Fall die reine Wahrheit sagen, wenn ihm eine Provision winkte. Pferdehändler waren wie Autohändler dafür bekannt, daß sie ihre Ware zu sehr priesen. »Warum stehen sie zum Verkauf?« fragte ich.
»Ihre Besitzer brauchen Geld.«
»Mein Vater würde ein Tierarztzertifikat verlangen.«
»Das geht klar. Welches Pferd möchten Sie?«
»Ich spreche erst mit meinem Vater und sage Ihnen Bescheid.«
Jim lächelte schief. Seine Brauen waren so weiß wie seine Wimpern. Da ich mich mit ihm anfreunden mußte, wenn ich regelmäßig zur Morgenarbeit kommen wollte, ging ich, so bedauerlich das sein mochte, mit der ganzen Politikerschläue meines Vaters daran, mir seine Sympathien zu sichern, und dachte bei mir, daß ich bei aller Bereitschaft, den Sorgen und Wünschen der Leute zu lauschen, schon einige bedenkliche Kniffe gelernt hatte. Jim eröffnete mir lachend, daß er sich an Stallworthy gehängt habe, weil er keinen vergleichbaren Trainer mit einer heiratsfähigen Tochter habe finden können. Sein Glück, daß ich nicht Usher Rudd war, dachte ich.
Sonntag nachmittags schlief Spencer Stallworthy anscheinend, und so bekam ich ihn an dem Tag nicht mehr zu sehen. Jim fuhr mich gegen drei mit Bert, dem Hund, zurück nach Exeter und übergab mich grinsend und schulterklopfend dem stummen Fahrer der schwarzen Limousine.