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»Bis dann«, sagte Jim.

»Ich kann’s kaum erwarten.«

Die Zukunft erschien plötzlich in einem viel helleren Licht. Mein Vater hatte mir die ganzen Teenagerjahre hindurch keinen monatlichen Unterhalt gezahlt, sondern jeweils zu Weihnachten einen Pauschalbetrag für das ganze Jahr überwiesen, und davon hatte ich so viel gespart, daß ich mir vorübergehend eine Wohnung in Fahrradentfernung von Spencer Stallworthy suchen und mich unter Rennsportzeitungen begraben konnte.

Der Chauffeur brachte mich nicht zum Wahlkampfbüro, wo er mich abgeholt hatte, sondern zu einem Sportplatz am Rand von Hoopwestern, wo sich offenbar ein Mittelding zwischen Kirmes und politischer Kundgebung dem Ende näherte. Luftballons, Hüpfburg, bunte Rutschbahnen und Karussells hatten Kinder (und somit wählende Eltern) angelockt, und an den Kirmesbuden war außer häßlichen Blumenvasen so gut wie nichts mehr zu haben.

Gemalte Transparente verkündeten: 15 Uhr: Feierliche Eröffnung durch Orinda Nagle und 15.15 Uhr: George Juliard. Beide waren jetzt, um 17.30 Uhr, immer noch da und schüttelten ringsherum Hände.

Die liebe Polly sah den schwarzen Wagen am Tor anhalten und eilte über staubiges, dürres Gras, um mich in Empfang zu nehmen.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Benedict. Haben Sie sich ein Pferd ausgesucht?«

»Dann hat er’s Ihnen erzählt?« Ich blickte zu dem Podest auf der anderen Seite des Platzes, wo ihn Leute mit Autogrammheften umringten.

»Er war den ganzen Tag wie aufgedreht.« Polly lächelte noch breiter. »Eigentlich hätte er Sie nur als Wahlkampfdekoration mit nach Hoopwestern gebracht, meinte er, aber hier hätte er Sie erst richtig kennengelernt, und er wollte Ihnen etwas wirklich Schönes schenken zum Dank für alles, was Sie getan haben.«

»Polly!«

»Er sagte mir, es sei ihm nicht klar gewesen, welch einen Verzicht es für Sie bedeutet, wenn Sie, wie er es verlangt hat, studieren, statt Rennen zu reiten, daß Sie sich aber nicht aufgelehnt, ihm den Rücken gekehrt oder ihn zum Teufel gewünscht hätten. Deshalb sollten Sie ein ganz besonderes Geschenk bekommen.«

Ich schluckte.

Er sah mich von der anderen Seite aus, und Polly und ich gingen über den Platz und blieben vor dem Ring der Autogrammjäger stehen.

»Na?« fragte er über ihre Köpfe hinweg. »Hat dir eins gefallen?«

Ich wußte keine angemessene Antwort. Er blickte mir aber ins Gesicht, lächelte bei dem, was er darin sah, und schien mit meiner Sprachlosigkeit zufrieden. Er stieg vom Podest herunter, bahnte sich, nach links und rechts signierend, einen Weg durch das Gedränge, bis er auf Reichweite heran war, und blieb dann stehen.

Wir sahen uns mit großer Verbundenheit an.

»Na los«, forderte mich Polly auf. »Umarmen Sie ihn.«

Aber mein Vater schüttelte den Kopf, und ich hielt mich zurück, wobei mir klar wurde, daß es für Gefühlsäußerungen zwischen uns keine angestammten Regeln gab und daß wir bis zu diesem Augenblick auch keine allzu tiefen Gefühle auszudrük-ken gehabt hatten. Weit entfernt davon, uns zu umarmen, hatten wir uns nie auch nur die Hand gegeben.

»Danke«, sagte ich zu ihm.

Es hörte sich dürftig an, aber er nickte: ihm genügte es.

»Ich möchte mit dir darüber reden«, sagte ich.

»Hast du eins ausgesucht?«

»Mehr oder weniger, aber ich will das erst mit dir besprechen.«

»Beim Abendessen.«

»Wunderbar.«

Orinda lächelte mir freundlich zu; sie war voll wiederhergestellt, die verbliebenen Spuren übertüncht, die zitternde, verschreckte Frau in den blutbespritzten Kleidern restlos ausgewechselt durch die First Lady des Wahlkreises, die alle möglichen Feste eröffnet und allen die Schau stiehlt.

»Benedict, mein Liiieber!« Sie zumindest hatte keine Berührungsängste und umarmte mich so, daß es jeder mitbekam. Sie duftete nach Parfüm. Ihr kupferfarbenes Kleid war, passend zu ihren Augen, grün bestickt, und Polly erstarrte neben mir in der uralten Reaktion der Biederen gegenüber dem Biest.

Liebe Polly. Liebste Polly. Ich war nach außen viel zu jung, um zu zeigen, daß ich sie verstand, und hätte sie nur beleidigt, wenn ich sie hätte trösten wollen. Die liebe Polly trug noch Reste des scheußlichen Lippenstifts auf dem Mund, eine klobige Bernsteinkette um den Hals und breit geriemte Sandalen zu einem schlickgrünen Kleid. Ich mochte beide Frauen, aber nach ihren Kleidern zu urteilen, würden sie nie zusammenkommen.

Unwillkürlich schaute ich Orinda über die Schulter, um zu sehen, ob der anhängliche Anonyme Liebhaber wieder auf dem Posten war, doch Wyvern hatte Hoopwestern als Weg zu Macht und Einfluß endgültig abgeschrieben. Statt seiner lungerte Leonard Kitchens mit seinem unbändigen Schnurrbart dümmlich grinsend um sie herum. Mrs. Kitchens hielt sich grimmigen Blicks hinter ihm.

Usher Rudd pirschte, aufdringlich wie je, auf der Suche nach unvorteilhaft abzulichtenden Leuten umher, tat aber, als er mich erblickte, interessanterweise so, als habe er mich nicht gesehen, und zog in eine andere Richtung. Ich bildete mir nicht ein, daß er mir Gutes wollte.

Mervyn Teck und ein Troß engagierter Wahlhelfer waren überzeugt, daß dieser Nachmittag zum Erfolg beitragen würde, und brachten Vater und mich zurück zum Schlafenden Drachen. Noch vier Tage bis zum Wahltag; eine Ewigkeit.

Bei einem guten Abendessen im Hotelrestaurant erzählte ich meinem Vater von den beiden Stallworthy-Pferden. Ein phlegmatischer Fuchs mit Steherqualitäten und ein leicht erregbarer brauner Flieger mit schwarzer Mähne.

»Tja«, meinte er stirnrunzelnd. »Du hast es gern schnell. Du wirst den Braunen nehmen. Was zögerst du?«

»Das Pferd, das ich möchte, hat einen Namen, der dich vielleicht stört. Ändern kann ich den nicht, das ist verboten, wenn ein Vollblüter erst mal gelaufen ist. Ich nehme das Pferd nur mit deinem Einverständnis.«

Er machte große Augen. »Was für ein Name soll mich denn so stören?«

Nach einer Pause sagte ich: »Sarah’s Future.«

»Ben!«

»Seine Mutter war Sarah Jones, sein Vater Bright Future. Das ist eine gute Abstammung für ein Hindernispferd.«

»Der Braune -?«

»Nein«, sagte ich. »Der Fuchs. Den möchte ich. Er hat noch nie gesiegt, nur Zweiter war er mal. Ein Siegloser hat eine größere - bessere - Auswahl an Rennen. Außerdem hat die Chemie gestimmt. Er paßt zu mir.«

Mein Vater zerbröselte geistesabwesend ein Brötchen.

»Sarah’s Future«, sagte er schließlich, »- du bist ganz wörtlich Sarahs Zukunft. Ich nehme an, sie würde sich freuen. Morgen früh rufe ich Stallworthy an.«

Weit davon entfernt, im Vorfeld des Wahltags an Eifer nachzulassen, kniete sich die Juliard-Truppe in den letzten drei Tagen noch einmal tüchtig rein.

Ich fuhr den Range Rover von morgens bis abends. Ich fuhr dreimal nach Quindle und quer durch die Dörfer. Ich baute das Podest auf und nahm es wieder auseinander, bis ich es im Schlaf konnte. Ich lud kistenweise Flugblätter ein und aus. Ich beturtel-te Babys, spielte Ball mit Jugendlichen, drückte zahllose Hände und lächelte, lächelte, lächelte.

Am letzten Abend, einem Mittwoch, lud mein Vater alle Mitarbeiter und Wahlhelfer zum Dankeschön-Essen in den Schlafenden Drachen. In einem Saal hinter dem Rathaus gab Paul Bethune ein Essen.

Die Leute von Bethune hatten mehrmals unseren Weg gekreuzt; ihr Megaphon war lauter, ihr Troß größer, ihr Wahlkampfauto nicht ein bemalter Range Rover, sondern ein Doppeldeckerbus ohne Dach, den sie von ihrer Parteizentrale ausgeliehen hatten. Bethunes Botschaft folgte ihm überallhin: »Dennis Nagle war weltfremd und altmodisch. Wählen Sie Bethune, der ist von hier, der kennt sich aus.«

Nach der letzten Meinungsumfrage im Wahlkreis lag Paul Bethune zwei Punkte vorn. Titmuss und Whistle waren aus dem Rennen.

Die Gazette hatte lediglich trompetet: Dem Schmutz keine CHANCE! und von einer »neuen Moral« gesprochen, ohne diese zu definieren. Der Herausgeber hatte, obwohl sein Herz für Bethune schlug, Usher Rudd von der Leine gelassen und damit einerseits seine Auflage erhöht, andererseits ein Eigentor geschossen. Muß er sehen, wie er damit klarkommt, dachte ich belustigt.