»Laß nur«, tröstete mich Jim. »Hätte der Fuchs heute gesiegt, bekäme er nächsten Samstag in Exeter zehn Pfund draufgepackt, immer vorausgesetzt, du bringst den Alten jetzt noch dazu, daß er ihn da laufen läßt. Er hält das bestimmt für zu früh, was es wahrscheinlich auch ist.«
Der Alte (Stallworthy) lieferte sich am Telefon ein Wortgefecht mit meinem Vater.
Mein Vater gewann.
Ebenso gewann mit fabelhaften sechs Längen Sarah’s Future, weil der viel längere Kurs auf dem Haidon-Moor oberhalb Exeter ihm entgegenkam. Er trug fünf, nicht zehn Pfund Aufgewicht und nahm sie leicht. Der Wettgewinn, versicherte Vater mir nachher, würde seine Trainingskosten bis Weihnachten decken.
Zwei Tage danach, zurück aus den Wolken, fing ich an, Mathematik zu lernen.
Mein Vater lernte Hinterbänklertaktiken, aber dafür hatte die Partei ihn nicht nach Hoopwestern geschickt. Er setzte mir auseinander, daß der Weg nach oben über die »Einpeitscher« in der Fraktion führe. Für mich klang das nach Dressur, aber darüber lachte er.
»Die Einpeitscher entscheiden, ob man für ein Ministeramt taugt.«
»Und sie stehen hinter dir?«
»Tja ... bis jetzt schon.«
»Was für ein Minister?« fragte ich ungläubig. »Dafür bist du doch wohl zu jung.«
»Die ganz Flotten sind mit zweiundzwanzig auf dem Weg dahin. Mit achtunddreißig bin ich alt.«
»Politik gefällt mir nicht.«
»Ich kann keine Rennen reiten«, meinte er.
Wen die Fraktion fallenlasse, erklärte er, dessen politische Laufbahn sei praktisch beendet. Nach dem ersten großen Schritt, dem Wahlsieg, bestehe der zweite darin, die Fraktion für sich zu gewinnen. Als der frisch gewählte Abgeordnete für Hoopwe-stern kurz darauf zum Unterstaatssekretär im Handels- und Industrieministerium ernannt wurde, galt das offenbar als Signal für das ganze Regierungsgefüge, daß ein neuer, heller Stern am Himmel aufgegangen war.
Ich hörte mir, unauffällig im Publikum sitzend, seine Antrittsrede an. Er sprach von Glühlampen und brachte das ganze Haus zum Lachen, und Hoopwesterns Anteil am Beleuchtungsmarkt schoß in die Höhe.
Ich ging im Anschluß an die Rede, als er im Bewußtsein seines Erfolgs wieder die Welt hätte umarmen können, mit ihm essen.
»Warst du eigentlich noch mal in Hoopwestern?« fragte er.
»Nein.«
»Ich natürlich schon. Leonard Kitchens steckt in Schwierigkeiten.«
»Wer?«
»Leonard .«
»Ach ja. Der unbändige Schnäuzer. In was für Schwierigkeiten?«
»Die Polizei hat jetzt möglicherweise das Gewehr gefunden, mit dem damals auf uns geschossen worden ist.«
»Die Polizei?« fragte ich, als er schwieg. »Meinst du damit den Polizisten Joe, dessen Mutter den Schulbus fährt?«
»Joe, der Sohn der Schulbusfahrerin, ist de facto Kriminalkommissar Joe Duke, und der ist jetzt im Besitz eines stark angerosteten 22er Gewehrs aus dem Schlafenden Drachen. Anscheinend waren die Dachrinnen des Hotels wieder mal von Laub verstopft, so daß das Regenwasser, statt durch die Fallrohre abzulaufen, übergeschwappt ist, und der Mann, der raufstieg, um die Dachrinne zu säubern, hat nicht nur Laub, sondern eben auch das Gewehr darin entdeckt.«
»Aber was hat das mit Leonard Kitchens zu tun?«
Mein Vater aß Pfeffersteak, nicht durchgebraten, mit Spinat.
»Leonard Kitchens ist der Gärtner, der im Schlafenden Drachen die Geranien an den Fenstern pflegt.«
»Aber -«, wandte ich ein.
»Anscheinend hat er in einem Besenschrank auf der Etage ein Wägelchen mit Sachen stehen, die er dafür braucht. Blumenschere, Gießkanne mit langem Ausguß, Dünger. Es heißt, er könnte das Gewehr in dem Wägelchen versteckt haben. Wenn man einen Stuhl ans Fenster stellt, kann man von da aus ein Gewehr in die Dachrinne legen. Und irgend jemand hat eins hineingelegt.«
Ich sah finster auf mein Essen.
»Du weißt ja, wie die Leute sind«, meinte mein Vater. »Jemand sagt, Leonard Kitchens hätte wohl Gelegenheit gehabt, das Gewehr in der Rinne zu verstecken, er geht ja im Hotel ein und aus, und der nächste läßt die Gelegenheit weg und stellt es als Tatsache hin.«
»Was sagt denn Leonard Kitchens selbst dazu?«
»Natürlich, daß ihm das Gewehr nicht gehört und daß er es nicht in die Dachrinne gelegt hat - und daß ihm niemand etwas anderes beweisen kann.«
»Das sagen die, die es waren, immer«, bemerkte ich.
»Ja, aber es gibt wirklich keinen Anhalt dafür, daß er jemals ein Gewehr besessen hat. Es hat sich niemand gefunden, der ihn in irgendeiner Weise mit Gewehren in Verbindung bringt.«
»Und was sagt Mrs. Kitchens?«
»Leonards Frau tut ihm überhaupt keinen Gefallen. Sie erzählt herum, er sei so vernarrt in Orinda, daß er es auch fertigbrächte, mich hinterrücks abzuknallen, damit der Weg für Orinda frei wird. Joe Duke hat sie gefragt, ob sie je ein Gewehr bei ihrem Mann gesehen habe, und anstatt nein zu sagen wie jeder vernünftige Mensch, sagte sie, er hätte ein Gartenhäuschen voller Gerümpel, da könnte alles mögliche herumliegen.«
»Hat Joe das Gartenhäuschen durchsucht? Ich meine, hat er nachgesehen, ob Leonard vielleicht Munition besitzt?«
»Joe hat keinen Durchsuchungsbefehl bekommen, weil kein begründeter Verdacht bestand. Außerdem wirst du wissen, daß man High-Speed-Munition ohne weiteres kaufen und noch leichter verschwinden lassen kann. Es läßt sich auch nicht mehr nachweisen, ob der Schuß wirklich aus diesem Gewehr kam; selbst wenn man den Lauf wieder rostfrei bekäme, müßte man noch eine Kugel haben, und die aus dem Wandgestell ist bei dem Brand endgültig verlorengegangen. Im Hotel wurden auch keine Patronenhülsen gefunden.«
Vater widmete sich wieder dem Steak. Als er Messer und Gabel weglegte, sagte er: »Ich habe den Range Rover zu Basil Rudd in die Werkstatt gebracht und zur genauen Untersuchung der Ölzufuhr den Motor auseinandernehmen lassen. In der Wanne war nichts als Öl. An sich war es völlig unmöglich von diesem Mechaniker - Terry oder wie er hieß -, den Pfropfen einfach in die Wanne durchzustoßen, aber Basil Rudd läßt nichts auf ihn kommen, und letztlich ist ja auch nichts passiert.«
»Aber es hätte was passieren können«, sagte ich. Ich überlegte einen Moment. »Kerzenbesitz wird Leonard Kitchens wohl nicht vorgeworfen?«
»Du wirst lachen«, sagte Vater, »aber in seinem Gartenzentrum gibt es neben Plastikzwergen und dergleichen auch Tischschmuck mit Kerzen, bunten Schleifen und so weiter.«
»Kerzen kriegt man überall«, sagte ich. »Und der Brand? Hat den auch Leonard Kitchens gelegt?«
»Er war da«, erinnerte mich mein Vater, und mir fiel ein, daß Mrs. Kitchens gesagt hatte, ihr Leonard sei für ein schönes Feuer immer zu haben.
»Hat die Feuerwehr eigentlich die Brandursache geklärt?«
Vater schüttelte den Kopf. »Damals nicht. Jetzt heißt es inoffiziell, durch Kerzen könne der Brand nicht ausgelöst worden sein. Leonard Kitchens bestreitet heftig, etwas damit zu tun zu haben.«
»Und was glaubst du?«
Mein Vater trank einen Schluck Wein. Er hätte mich gern auf den Geschmack von Burgunder gebracht, aber zu seinem Leidwesen trank ich immer noch lieber Diätcola.
»Ich halte Leonard Kitchens für so verbohrt«, sagte er, »daß ihm fast alles zuzutrauen ist. Man kann ihn zwar leicht als dummen Esel abtun mit seinem überdimensionalen Schnurrbart, aber an den Besessenen krankt die Welt, und wenn er wirklich noch einen Groll gegen mich hegt, möchte ich ihn lieber im Auge behalten.«
Ich gab mir Mühe mit dem Wein, fand aber wirklich nichts daran.
»Jetzt, wo du gewählt bist, hat es doch keinen Zweck mehr, dich in Unfälle zu verwickeln.«
Vater seufzte. »Bei Leuten wie Kitchens kann man nicht sicher sein, daß sie der Vernunft gehorchen.«
Ich übernachtete in seiner Wohnung an der Canary Wharf. Die großen Fenster blickten auf die breite Wasserfläche der Themse, über der hier einst Verladekräne aufragten, doch selbst mein Vater kannte »die Docks« nur noch als ein politisches Druckmittel früherer Zeiten. Von seinem alten Büro (er hatte seine Anlageberatung von zu Hause aus geführt) zu seinem neuen in Whitehall waren es dreieinhalb Kilometer Fußweg entlang dem Embankment, ein Marsch, mit dem er sich offensichtlich gut in Form hielt. Er strotzte vor Kraft und Energie. Obwohl er mein Vater war, fühlte ich mich von seiner Vitalität angesteckt und überwältigt zugleich.