Mehr als eine Hochzeit verwandter Geister, dachte ich. Eine hochmoralische Verbindung.
»Gratuliere«, sagte ich zu meinem Vater und meinte es auch so, und er freute sich.
»Was machst du nächsten Samstag?« fragte er.
»Da reite ich in Chepstow.«
Er schüttelte den Kopf. »Da möchte ich dich an meiner Seite haben.«
»Heißt das ...«, ich zögerte, »ihr heiratet ... nächsten Samstag?«
»Genau«, stimmte er zu. »Nachdem wir uns dazu durchgerungen haben und du ja einverstanden bist, brauchen wir nicht mehr zu warten. Ich werde zu Polly in das Haus im Wald ziehen und uns auch in London noch eine größere Wohnung suchen.«
Polly, so erfuhr ich nach und nach an diesem Nachmittag, hatte das Haus im Wald von ihren Eltern geerbt, zusammen mit einem Vermögen, das es ihr erlaubte, ehrenamtlich tätig zu werden, wo immer sie es für nötig hielt.
Sie war zwei Jahre älter als mein Vater. Keine Eheerfahrung; der Schalk in ihren Augen verbat sich die damit zugleich auch schon beantwortete intimere Frage.
Sie habe nicht die Absicht, sagte sie, Orinda Nagle zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Orinda und Mervyn Teck hatten sich Tag für Tag mit großem Erfolg um den Wahlkreis gekümmert. Polly war nicht scharf darauf, Feiern zu eröffnen oder mit Kameras zu flirten. Sie würde wie gehabt hinter den Kulissen wirken. Und wo es darauf ankam, dachte ich, würde man auf sie hören.
Sechs Tage später heirateten sie und mein Vater ohne jedes Trara. Ich stand neben meinem Vater, der Duke, der Orinda zum Pferderennen gelockt hatte, führte Polly, und alle vier unterschrieben wir die Urkunden.
Die Braut trug Braun mit einer Gold- und Bernsteinkette, die ihr mein Vater geschenkt hatte, und sah edel aus. Ein von mir bestellter Fotograf hielt das Ereignis fest. The Times brachte eine kurze Notiz. Die Hoopwestern Gazette zog später nach. Mr. und Mrs. George Juliard meldeten sich nach einer Woche Paris in Hoopwestern zurück, um die Fabrikarbeiter bei der Stange zu halten.
Ich fand immer noch nichts an Politik und war unerhört froh, daß ich wegen meiner Abschlußprüfungen unmöglich noch einmal als Wahlbegleiter fungieren konnte.
Es gab viele politisch aktive Studenten in Exeter, aber ich hielt mich auch da zurück und lebte mein anderes Ich nur auf Stallworthys Trainingsgelände und diversen Rennbahnen aus. In dem Frühjahr gelang mir kein Sieg, aber es ging mir nur darum, das Tempo zu erleben, und als sei es dem Denkvermögen förderlich, begriff ich Differentialgleichungen zweiter Ordnung um so besser, je öfter ich Rennen ritt.
Die Parlamentswahlen rauschten an mir vorbei wie eine Brandungswelle, und Vater und seine Partei wurden in ihrer Macht bestätigt. Eine dünne, aber ausreichende Mehrheit.
Niemand schoß auf ihn, niemand verstopfte ihm die Ölwanne mit Wachs, niemand zündete Pollys Haus an und niemand gab der Kampfsportexpertin zu tun.
Der Verdacht gegen Leonard Kitchens, geschossen und ge-zündelt zu haben, hielt sich hartnäckig, aber diesmal hätte man ihm nichts vorwerfen können, denn seine nachhaltig verstimmte Frau hatte verlangt, daß er sie auf eine Kreuzfahrt ins Mittelmeer entführte, und keinen Widerspruch geduldet. Am Wahltag waren sie in Athen.
Die arme Isobel Bethune hatte recht gehabt: Paul war von seiner Partei nicht noch einmal aufgestellt, sondern durch eine würdige Stadträtin ersetzt worden. Das unruhige Auge Paul Bethunes hatte sich, auch wenn das keine Schlagzeilen mehr hergab, erneut ein außereheliches Ziel gesucht, und Isobel, restlos bedient, hatte ihre Ehe und ihre unleidlichen Söhne hinter sich gelassen und war zu ihrer Schwester nach Wales gezogen.
Polly hielt mich mit trockenem Humor auf dem laufenden. Eine Bessere hätte mein Vater nicht heiraten können.
Ich bat ihn aufzupassen, daß im Beisein des enthüllungsfreudigen Usher Rudd keine leicht geschürzten Schönheiten kunstvoll auf seinem Schoß landeten. Ob ich noch nicht wisse, fragte er, daß Usher Rudd wegen frei erfundener Schmutzereien von der Gazette gefeuert worden sei? Gegenwärtig, so fügte er vergnügt hinzu, stelle Usher mit der langen Linse einem untreuen Spitzenmann der Opposition nach.
Als die Regierungspartei sich nach den allgemeinen Wahlen neu formierte, wurden die Posten umverteilt. Niemand in Westminster wunderte sich, daß mein Vater einen Riesenkarrieresprung nach oben tat und Staatsminister im Verkehrsministerium wurde, nur eine Stufe unterm Kabinettsminister.
Ich ließ das beste Foto von seiner Hochzeit mit Polly rahmen und stellte es neben das von ihm und meiner Mutter. Nachdenklich las ich die Versprechen, die er und ich unterschrieben hatten, noch einmal durch und steckte sie wieder hinter Mutters Bild. Es war, als gehörten sie zu einer anderen Welt. Ich war in Exeter wirklich erwachsen geworden und hatte auch »die erste« gehabt, die ich nie vergessen würde; aber an die grundlegenden Vereinbarungen von damals hatten wir uns bis heute gehalten, und ich war mir sicher, auch wenn es jetzt vielleicht etwas melodramatisch klang, daß ich meinen Vater im Ernstfall wirklich gegen jede Art von Angriff schützen würde.
Ich machte mein Schlußexamen, und als sich abzeichnete, daß ich ein ordentliches Diplom bekommen würde, schrieb ich an Weatherbys und bewarb mich um eine Stelle.
Was für eine Stelle? wollten sie wissen.
Wieder schrieb ich. Ich könne addieren, subtrahieren und mit Computern umgehen, und ich sei Rennen geritten.
Ach, der Juliard. Sie luden mich zum Vorstellungsgespräch.
Sitz des Familienunternehmens Weatherbys, das seit seiner Gründung im Jahre 1770 immer neue, immer effizientere Wege gefunden hat, dem Galopprennsport zu dienen, war ein von Wiesen, Bäumen und friedlicher Landschaft umgebener roter Ziegelbau nahe der kleinen alten Marktstadt Wellingborough, rund hundert Kilometer nordwestlich von London in Northamptonshire.
Auch im Innern des überaus beschäftigten Sekretariats war die Atmosphäre bemerkenswert ruhig und gelassen. Da ich wußte, wieviel Arbeit aus wie vielen Bereichen dort täglich anfiel, hatte ich wohl mit der lärmenden Hektik einer Zeitungsredaktion alten Stils gerechnet, aber es ging beinah still zu, die meisten Leute saßen vor Computerbildschirmen, und wer mit Schriftstücken oder Disketten unterwegs war, lief nicht, sondern ging ohne Hast.
Ich wurde von einer Abteilung zur anderen gereicht, umhergeführt und in einem unverfänglichen Gespräch schließlich nach meinem Alter und meinen Referenzen gefragt. Enttäuscht fuhr ich heim: Sie waren nett und höflich gewesen, hatten aber nicht die zündenden Fragen gestellt, die man von jemand erwartet, der einen Posten zu vergeben hat.
Mutlos verschickte ich von Exeter aus Bewerbungen an verschiedene Firmen. Bei Weatherbys hatte ich mich vertraut gefühlt; schade, daß sie mich nicht als einen der Ihren ansahen.
Immerhin setzten sie sich mit den Leuten, die ich als Referenz angegeben hatte, in Verbindung - meinem Tutor an der Universität und Stallworthy selbst.
Der barsche alte Trainer eröffnete mir, er habe gesagt, mein Charakter und mein Lebenswandel seien zufriedenstellend. Herzlichen Dank, dachte ich bei mir. Jim lachte. »Er will nicht, daß du weggehst und Sarah’s Future mitnimmst. Ein Wunder, daß er dich nicht als Großmaul und Quertreiber hingestellt hat.« Von meinem Tutor kam ein Brief:
Lieber Benedict,
anliegend die Fotokopie des Zeugnisses, das ich an Weatherbys, eine Organisation, die wohl mit Pferderennen zu tun hat, geschickt habe.
Sein Zeugnis im Wortlaut:
Benedict Juliard dürfte ein gutes, wenn auch nicht glänzendes Diplom in Mathematik und Betriebswirtschaft erworben haben. In den drei Jahren an der Universität hat er sich kaum an studentischen Aktivitäten beteiligt, da sein Interesse, wie es scheint, ausschließlich Pferden galt. Über seinen Charakter und sein Verhalten ist nichts Nachteiliges bekannt.