Entschuldigungen wollte er nicht hören, als ich ihn anrief. Er sagte lediglich: »Pech.«
Als ich zwei Tage nach Towcester wieder zur Arbeit kam, rückte der Mann, der das Bewerbungsgespräch mit mir geführt hatte, einen Stuhl an meinen Schreibtisch und sagte: »Ihr Pferd war ja mal bei uns versichert.«
Ich erklärte ihm, warum mein Vater die Versicherung hatte verfallen lassen.
»Ich wollte aber nicht mit Ihnen über Ihren Verlust sprechen«, sagte der Mann von Weatherbys, »wenn ich auch mit Ihnen fühle. Gute Besserung auch für Ihre Schulter. Ich wollte Sie fragen, ob Sie Interesse hätten, in unsere Versicherungsabteilung zu wechseln und künftig dort zu arbeiten?«
Die Versicherungsabteilung, im wesentlichen ein einziger langer Raum, gesäumt von Büchern und Akten, noch mehr Büchern und noch mehr Akten, wurde von zwei Männern in den Zwanzigern geführt. Einer verließ jetzt die Firma.
Wollte ich seine Stelle übernehmen?
Gern.
Die Juliards erlebten zwei Beförderungen in einer Woche. Nach internen Uneinigkeiten wurden die Karten in der Regierung neu gemischt, und als die Gemüter sich beruhigt hatten, war mein Vater als Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung ins Kabinett aufgestiegen.
Ich gratulierte ihm.
»Verteidigungsminister wäre mir lieber gewesen.«
»Nächstes Mal«, scherzte ich.
Ein ergebener Seufzer kam durch die Leitung. »Hast du schon mal von Hudson Hurst gehört?«
»Nein.«
»Wenn du meinst, ich steige schnell auf - er steigt noch schneller. Er hat mir das Verteidigungsministerium weggeschnappt. Für den Premier ist er zur Zeit die Nummer eins, das Nonplusultra.«
»Wie geht’s Polly?« fragte ich.
»Du bist unverbesserlich.«
»Aal in Aspik und Brontosaurusburger sind bei dir sicher in guten Händen.«
Ausnahmsweise lag keine Landwirtschaftskrise in der Luft, und beide verbrachten wir den Herbst dieses Jahres damit, uns in unser jeweiliges neues Reich einzuleben.
Es überraschte mich nicht weiter, daß mir die Versicherungsarbeit neuen Auftrieb gab: Sie kam nicht nur meinem Faible für Zahlen und Wahrscheinlichkeiten entgegen, sondern führte mich nicht selten auch auf Reisen, etwa wenn zu prüfen war, ob es die Poloponys, für die ich eine Prämie festsetzen sollte, wirklich gab.
Da Evan, mein Mitstreiter und Chef im Versicherungsressort, die Arbeit am Schreibtisch und am Computer vorzog, übernahm ich zusehends den Außendienst, eine durchaus sinnvolle Aufteilung, da ich wußte, wie ein guter Stall beschaffen war, und schnell ein Gespür dafür entwickelte, wo sich Mogeleien anbahnten. Versicherungsbetrug im Planungsstadium zu verhindern war spannend wie Schach: Sah man die Züge voraus, konnte man die Springer in Angriffsstellung bringen.
Als großer Vorteil dabei erwies sich meine Jugend. Ich sah vielleicht nicht mehr wie siebzehn aus, aber auch mit zweiundzwanzig nahm man mich oft nicht ganz für voll. Ein Fehler.
Im normalen, gradlinigen Arbeitsalltag hatten Evan (neunundzwanzig) und ich es mit unverdächtigen Versicherungen für Pferde und Fährnisse aller Art zu tun, angefangen von möglicher Zeugungsunfähigkeit bei Hengsten bis zum Güstsein bei Stuten.
Auch für Stallhöfe, Gebäude, Personen- und Sachschäden, Feuer, Diebstahl und Masern boten wir Versicherungsschutz an. Alles für jeden. Versicherungsträger hatten wir genug.
Die Morgenarbeit mit Sarah’s Future fehlte mir fürchterlich, aber als es auf den Winter zuging und immer kälter und immer später hell wurde, sagte ich mir, daß ich wie im Vorjahr doch nur an Wochenenden richtig hätte mitziehen können.
Was das Rennreiten anging, hatte ich Glück: Der Trainer in Northamptonshire, der den Fuchs übernommen hatte, rief mich eines Tages an, daß einer seiner Besitzer, ein Farmer, einen Amateur - also einen unbezahlten Reiter - für ein Pferd suchte, das er für chancenlos hielt.
Warum läßt er es dann laufen? dachte ich. Ich nahm den Ritt mit Freuden an und rackerte, und das Pferd wurde Dritter. Der entzückte Farmer holte mich noch öfter ran, und obwohl ich nie für ihn siegte, wurde ich unter seinen Bekannten herumgereicht wie eine Schachtel Pralinen und galoppierte fast jeden Samstag irgendwo zum Start.
Es war nicht dasselbe wie mit Sarah’s Future, aber noch widerstrebte es mir, ein neues Pferd zu kaufen, selbst wenn ich es mir hätte leisten können. Eines Tages vielleicht. Wenn ich mein Auto abbezahlt hätte.
Für meinen Hang zur Geschwindigkeit fand ich eine plausible Erklärung. Wenn man erwachsen wurde, war es schließlich normal, den Kitzel des Risikos zu suchen. Kampfgeist war angeboren: Vielleicht ersetzten die Rennbahnsprünge und die Skihänge den Krieg.
Vor Weihnachten sagte mein Vater, wir - er selbst, Polly und ich - seien zu einem Empfang in der Downing Street Nr. 10 geladen, zum traditionellen Weihnachtsplausch des Premierministers mit den Angehörigen seines Kabinetts und ihren Familien.
Polly zog ein annehmbares Kleid an, mein Vater mietete einen Chauffeur, und die Juliards traten in Dreierformation durch die berühmte Haustür. Das Personal begrüßte meinen Vater als einen, der dort hingehörte. Auch Polly war schon dort gewesen, aber ich war unwillkürlich beeindruckt, als ich in einem Strom von anderen Gästen durch den Flur mit den schwarzweißen Fliesen und den roten Wänden ins Innere kam und die historische Treppe hinaufging. Porträts aller bisherigen Premierminister hingen in dem leuchtend gelben Treppenhaus, und der wohlwollende Ausdruck, mit dem mein Vater sie betrachtete, sagte mir, daß er sich bemühen würde, eines schönen Tages dazuzukommen.
Daß noch zwanzig andere Kabinettsminister den gleichen Traum träumten, nicht zu reden vom Schattenkabinett der Opposition, spielte keine Rolle: Ohne Ehrgeiz bekam man niemals einen Platz an dieser Wand.
Der Empfang fand unter angeregtem Geplauder in einem großen, festlichen Bereich im ersten Stock statt, der sogenannten Säulenhalle. (So genannt wegen der zwei Säulen.)
Wir wurden liebenswürdig von der Frau des Premiers begrüßt - ihr Mann müsse jetzt wirklich bald kommen - und zu Tabletts mit gefüllten Gläsern und mistelumrankten Weihnachtsplätzchen dirigiert.
Ich fragte nicht mehr eigensinnig nach Diätcola. Ich trank den premierministerlichen Sekt und mochte ihn.
Natürlich kannte ich so gut wie niemand, und sei es nur vom Sehen. Polly hielt mich eine Zeitlang im Schlepptau, während ihr Mann sich längst abgekoppelt hatte, lachend und grüßend umherzog und sich keine Feinde machte. Nach anderthalb Jahren an Vaters Seite kannte Polly das ganze Kabinett, aber niemanden davon nach Orinda-Art als »mein Liiieber«.
Schließlich erschien der Premierminister wirklich, und mein Vater sorgte dafür, daß der große Mann Polly mit Herzlichkeit und mir zumindest mit gespieltem Interesse die Hand gab.
»Sie reiten erfolgreich Rennen, nicht wahr?« fragte er, die Stirn in Falten.
»Ehm ... manchmal«, erwiderte ich schwach.
Er nickte. »Ihr Vater ist stolz auf Sie.«
Da sah ich wohl verblüfft aus. Der Premierminister, ein etwas rundlicher Mann mit stahlhartem Händedruck, lächelte ironisch, ehe er sich der nächsten Gruppe zuwandte, und mein Vater war unschlüssig, ob er ihn einen Lügner schimpfen sollte oder nicht.
Die liebe Polly drückte mir den Arm. »George sagt nicht, daß er stolz auf dich ist. Aber es hört sich ganz so an, wenn er von dir redet.«
»Dann hält er’s wie ich.«
»Du bist wirklich ein netter Mensch, Benedict.«
»Ich hab dich auch gern«, sagte ich.
Vater hatte sich suchend umgeschaut. »Seht ihr den Mann da drüben?«
»Da drüben« waren ungefähr zwanzig Männer.
Polly sagte: »Meinst du den mit den flachen weißen Haaren und den runden Augen? Das ist doch der Innenminister.«
»Genau, Liebes. Aber ich hatte den gemeint, mit dem er sich unterhält. Der so regierungsfähig und für hohe Ämter wie gemacht aussieht. Das ist Hudson Hurst.«