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Polly schüttelte den Kopf. »Ach was. Hudson Hurst hat doch einen geölten schwarzen Pferdeschwanz und so eine alberne

Bart-Schnurrbart-Kombination, die den Mund einrahmt und davon ablenkt, was einer sagt.«

»Jetzt nicht mehr.« Mein Vater lächelte, aber ohne Freude. »Jemand muß Hudson Hurst klargemacht haben, daß sein Styling politisch unklug war. Er hat sich die Haare abgeschnitten und den Bart abrasiert. Was man jetzt sieht, sind die unge-schmückten, launischen Lippen des Verteidigungsministers, gnade uns Gott.«

Fünf Minuten später legte mein Vater dem Verteidigungsminister scheinbar freundlich die Hand auf die Schulter und sagte: »Mein lieber Hud, darf ich Ihnen meine Frau und meinen Sohn vorstellen?«

Liebet eure Feinde ...

Ich haßte Politik.

Hud hatte einen feuchtkalten Händedruck, für den er vermutlich nichts konnte, und wenn er unlängst noch einen geölten schwarzen Pferdeschwanz und eine schwarze Bartzier um den Mund getragen hatte, dann war beides sehr wahrscheinlich gefärbt gewesen. Jetzt waren seine Haare von einem leicht graumelierten Braun, das sich einer meiner verflossenen Freundinnen zufolge nicht künstlich erzeugen ließ, und er trug es zurückgekämmt und im Nacken spitz zulaufend, ein Schnitt geradewegs nach James-Bond-Manier. Vornehm. Durchaus eindrucksvoll. Vertrauenerweckend.

Die dichten dunklen Locken meines Vaters waren so geschnitten, daß die schöne Kopfform ins rechte Licht gerückt wurde. Meisterhaft. Nun ja.

Hudson Hurst war überaus freundlich zu Polly. Lächeln, lächeln, dachte ich in Erinnerung an Hoopwestern: Lächeln, lächeln, Hände schütteln und Stimmen gewinnen. Er streifte mich mit einem Blick, aber ich zählte nicht.

Die liebenswürdige Frau des Premierministers erschien neben mir und fragte mich, ob ich mich gut unterhielte.

»Aber ja. Danke, sehr gut.«

»Sie sehen ein bißchen verloren aus. Kommen Sie mal mit.« Sie führte mich auf die andere Seite des großen Raums und blieb vor einer streng gekleideten Frau stehen, die mich stark an Orin-da erinnerte. »Jill, das ist der Sohn von George Juliard. Kümmern Sie sich doch bitte um ihn.«

Jill musterte mich von Kopf bis Fuß und schaute der entschwindenden Gastgeberin ohne Begeisterung nach.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »ich weiß nicht, wie Sie heißen.«

»Vinicheck. Erziehung.«

»Ministerin für?«

Ihre grimmigen Lippen kräuselten sich. »Natürlich.«

Eine andere schlicht und elegant gekleidete Frau gesellte sich zu ihr: noch ein Orinda-Klon. Sozialministerin.

Sie sagte unverblümt: »Wo kauft Ihre Mutter denn ihre Kleider?«

Ich folgte ihrem Blick und sah Polly auf der anderen Seite unbefangen mit dem weißhaarigen, rundäugigen Mann reden -dem Innenminister. Pollys Kleider entsprachen wie immer nicht dem landläufigen Geschmack, spiegelten aber unverkennbar ihre Persönlichkeit.

Jill Vinicheck meinte freundlich: »Ihr Vater hat vielleicht eine glänzende Karriere vor sich, aber dann muß Ihre Mutter sich anders anziehen, sonst reißen die Modeweiber der Zeitungen sie in Stücke.«

Die Sozialministerin schloß sich an. »Alle Frauen in der Politik werden durch die Mangel gedreht. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«

»Eigentlich nicht, nein.«

»Die Rocklänge Ihrer Mutter stimmt nicht, wenn ich das sagen darf. Ich meine es nur gut. Wobei man sich in der Rocklänge offen gestanden immer vergreift, wenn’s nach den Modeweibern geht. Aber vielleicht können Sie ihr doch ein paar Tips von uns geben.«

»Ehm .«

»Vor allem«, sagte Jill Vinicheck gutgelaunt, »darf sie nie Kleider im Laden kaufen.«

Soziales nickte. »Sie muß sie anfertigen lassen.«

Jill Vinicheck: »Immer Wolle, Seide oder Baumwolle. Niemals Polyester oder Nylon.«

»Wir kennen einen fabelhaften Mann, der Ihrer Mutter, die so lang und mager ist, wirklich Stil geben könnte. Er hat dafür gesorgt, daß die Zeitungen uns jetzt ganz anders behandeln. Sie schreiben über unsere Politik statt über unsere Kleider. Und er tut das nicht nur für Frauen. Allein, wie er Hudson Hurst umgekrempelt hat! Hud sah ehrlich gesagt ein bißchen nach Gangster aus, aber jetzt ist er ein Staatsmann.«

»Worauf warten wir?« sagte Jill Vinicheck mit der Energie, die ihren Aufstieg zweifellos gefördert hatte. »Unser Zauberkünstler muß hier irgendwo sein. Machen wir ihn doch gleich mit Ihrer Mutter bekannt.«

»Ehm ...«:, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß sie -«

»Ach, da ist er ja«, sagte Soziales, trat einen Schritt zur Seite und stürzte sich auf ihr Ziel. »Darf ich vorstellen .«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm, er drehte sich zu ihr um, und vor mir stand A. L. Wyvern.

Alderney Anonymer Liebhaber Wyvern.

Kein Wunder, daß Erziehung und Soziales mich an Orinda erinnert hatten. Auch sie war damals nach seinen Vorstellungen gekleidet gewesen.

Ich erkannte ihn sofort, während er ein paar Sekunden brauchte, um meinem damaligen Aussehen vier Jahre hinzuzufügen.

Dann wurde sein Gesicht hart und böse, und er schien aus der Fassung gebracht, obwohl er, da mein Vater im Kabinett saß, davon hätte ausgehen können, daß wir beide zum Weihnachtsempfang für die Angehörigen geladen waren. Vielleicht hatte er nicht daran gedacht. Jedenfalls war er unangenehm überrascht, mich hier wiederzusehen.

Ich umgekehrt auch.

Erziehung und Soziales schauten verwirrt drein.

»Wir kennen uns«, sagte Wyvern knapp.

Auch er sah jetzt anders aus. In Hoopwestern hatte er eine unauffällige Erscheinung gepflegt, die man leicht vergaß. Vier Jahre später fiel es ihm nicht mehr so leicht, sich unsichtbar zu machen.

Ich hatte ihn damals auf Ende Dreißig geschätzt, aber das war vermutlich doch zu tief gegriffen. Er hatte Falten bekommen und schüttere Haare, und er trug jetzt eine Brille mit einem dünnen, dunklen Gestell. Nach wie vor aber umgab ihn die Aura stiller, verborgener Macht.

Auf dem Weihnachtsempfang in der Downing Street kam die latente Gewaltbereitschaft, die sich in einer Ohrfeige für Orinda entladen und sie beinah das Leben gekostet hatte, nicht offen zum Ausdruck. Er sagte nicht wütend: »Eines Tages krieg ich Sie« zu mir, aber ich sah, wie sich die böse Absicht wieder in den zusammengekniffenen Augen spiegelte, als hätte er keinerlei Zeit gehabt, sich zu besinnen.

Erstaunlicherweise reizte mich das eher, als daß es mich ängstigte. Der Adrenalinstoß in meinem Blut signalisierte nicht Flucht, sondern Kampf. Und ob er mir das so deutlich ansah, wie ich es empfand, oder nicht, jedenfalls blendete er die Bosheit hinter dem dunklen Brillengestell aus und seilte sich mit einer kurzen Floskel von Erziehung und Sozialem ab. Als er fortging, war es, als lenke er bewußt jeden seiner langsamen Schritte.

»Hoppla«, rief Jill Vinicheck aus. »Gesprächig ist er ja nie, aber ich finde, das war jetzt doch ... unhöflich.«

Nicht unhöflich, dachte ich.

Mordlüstern.

Nach dem Empfang aßen Polly, Vater und ich in einem der wenigen guten Londoner Speiserestaurants, die ohne Lärm auskamen. Man verstand sein eigenes Wort.

Mein Vater hatte sich brüderlich mit dem Premier unterhalten, und Polly fand, die runden Augen des Innenministers seien wohl doch kein Anzeichen von Besessenheit.

Ich fragte, ob es der Innenminister sei, der dafür sorge, daß Häftlinge in Haft blieben und illegale Einwanderer rausflogen.

Mehr oder weniger, stimmte Vater zu.

»Habt ihr gewußt, daß da ein Schaubild mit sämtlichen Regierungsämtern auf einer Art Staffelei zu sehen ist?«

Mein Vater, angelegentlich mit Broccoli beschäftigt, die ihm eigentlich nicht schmeckten, nickte, aber Polly sagte, sie habe es nicht gesehen.

»Sind komische Sachen dabei«, meinte ich, »zum Beispiel Minister für ehemalige Länder und Unterstaatssekretär für den Busverkehr.« Polly staunte, aber Vater nickte. »Jeder Premier denkt sich Ämter und Titel aus, die zeigen, worauf es ihm ankommt.«