»Theoretisch«, sagte ich, »könnte man also einen Minister zur Abschaffung gelber Plastikenten ernennen.«
»Nun mach mal einen Punkt, Benedict«, meinte Polly.
»Er spielt doch nur darauf an«, sagte mein Vater, »daß man die Leute am schnellsten dazu kriegt, etwas haben zu wollen, indem man es ihnen verbietet. Wenn es heißt, das und das dürft ihr nicht haben, dann kämpfen sie drum.«
»Trotzdem«, tippte ich an, »sollte der Premierminister ein Gesetz erlassen, das es Alderney Wyvern verbietet, in Downing Street Nr. 10 Sekt zu trinken.«
Polly und meinem Vater klappte die Kinnlade herunter.
»Er war da«, sagte ich. »Habt ihr ihn nicht gesehen?«
Sie schüttelten die Köpfe.
»Er ist auf der anderen Seite des Raums geblieben, wo du nicht hinkamst. Er sieht etwas verändert aus. Älter, mit weniger Haaren. Er trägt eine Brille. Aber die Erziehungsministerin, die Sozialministerin und der Verteidigungsminister beten ihn an, um nur die zu nennen, bei denen ich mir sicher bin. Orinda und Dennis Nagle waren Kinderkram. Alderney Wyvern hat die Hände jetzt an Hebeln, mit denen er eure Politik entscheidend beeinflussen kann.«
»Ich glaub das nicht«, sagte mein Vater.
»Die Damen für Erziehung und Soziales haben mir erzählt, sie hätten einen Bekannten, der, ehm . meiner Mutter ein wunderbares neues Outfit zaubern könnte. Er hätte schon Hudson Hurst vom Gangstertyp zum Mann von Welt umgemodelt. Was glaubst du, was Alderney dafür von ihnen kriegt?«
»Nein«, sagte mein Vater. »Keine Geheiminformationen. So läuft das nicht!«
Er war empört. Ich schüttelte den Kopf.
»Was denn?« fragte Polly. »Was bekommt er dafür?«
»Ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich«, sagte ich. »Ich nehme an, sie hören auf ihn und halten sich an seine Ratschläge. Orinda hat mir vor Jahren gesagt, er habe ein glänzendes Gespür für politische Vorgänge. Er könne voraussagen, was kommt, und mit seinen Tips, wie Dennis Nagle sich auf dies und das einstellen sollte, habe er fast immer richtig gelegen. Dennis Nagle war auf dem Weg nach oben, als er starb, und ich denke mal, wenn er nicht gestorben wäre, säße er jetzt, von Wyvern flankiert, im Kabinett.«
Mein Vater stieß die Broccoli zur Seite. Gut, daß seine Broccolibauern nicht zusahen. Sie rührten gerade die Trommel für eine allgemeine Broccoliwoche, um das Gemüse unters Volk zu bringen. Ein Gesetz zur Eindämmung des Broccoliverzehrs hätte mehr bewirkt.
»Wenn er so clever ist«, fragte Polly, »warum sitzt er dann nicht selbst im Kabinett?«
»Orinda hat mir erklärt, daß Alderney Macht ausüben möchte, indem er hinter den Kulissen die Fäden in der Hand hält. Ich fand das erst abwegig. Aber ich habe dazugelernt.«
»Macht ohne Verantwortung«, meinte Vater leise.
»Verbunden«, sagte ich kläglich, »mit einem erschreckenden Jähzorn, der zum Ausbruch kommt, wenn er auf Widerstand stößt.«
Mein Vater hatte nicht mit eigenen Augen gesehen, wie Wyvern auf Orinda losgegangen war - wie schnell, wie hart und rücksichtslos. Aber er hatte das Blut und die Tränen gesehen und war drauf und dran gewesen, dafür Vergeltung zu üben. Wyvern hatte den Ruf meines Vaters ruinieren wollen, indem er ihn zum Zuschlagen provozierte. Ich konnte es mir zwar noch nicht ganz erklären, ahnte aber dunkel, daß Gewalt gegen Wyvern letztlich den Angreifer zerstören würde.
Mit dem Segen Evans, meines Chefs, hatte ich den Donnerstagabendempfang in Nr. 10 mit dem Freitagmorgentermin bei einem Versicherungsinspektor verbunden, um zu klären, ob im Fall eines abgebrannten Heuspeichers Zufall oder Vorsatz im Spiel war, und wollte den Freitagabend mit Polly und Vater in London verbringen, um dann am Samstag in Stratford-upon-Avon ein Rennen zu reiten, aber Freitag früh erreichte mich die Nachricht meines Vaters, ich solle mich am Nachmittag mit ihm noch einmal in der Downing Street treffen.
»Ich dachte, du möchtest dir das Haus vielleicht etwas genauer ansehen«, meinte er vergnügt. »Bei diesen Empfängen kriegt man ja nichts mit.«
Er hatte einen sogenannten Boten vom Hauspersonal gebeten, uns offiziell herumzuführen, und so stiegen wir noch einmal die gelbe Treppe hinauf, ließen uns mehr Zeit beim Betrachten der Gemälde und schlenderten durch die drei großen Gesellschaftsräume, die sich an den Vorraum anschlossen: den weißen Saal, den grünen Saal und die Säulenhalle, wo der Empfang stattgefunden hatte.
Der Bote sagte stolz, das Haus sehe so gut aus und werde so gut gepflegt wie nie zuvor in seiner wechselvollen Geschichte. Ursprünglich war es einmal ein Doppelhaus gewesen (ähnlich wie das abgebrannte Wahlkampfbüro in Hoopwestern), das kleinere mit Blick auf die Downing Street, dahinter ein Herrenhaus mit Blick in die Gegenrichtung. Im Innern war es zweieinhalb Jahrhunderte hindurch immer wieder umgestaltet worden, und seit der jüngsten großen Renovierung besaß das Ganze einen Anstrich von achtzehntem Jahrhundert, den es vorher nicht gehabt hatte.
»Der grüne Saal hieß früher mal blauer Saal«, sagte der Bote vergnügt. »Der schöne Stuck, der jetzt fast alle Decken ziert, ist verhältnismäßig neu. Die klassizistischen Tympana ebenso. Jetzt sieht das hier so aus, wie es immer schon gedacht war.«
Zu seiner Freude sparten wir nicht mit Bewunderung.
»Hier drüben«, er marschierte auf eine Ecke der Säulenhalle zu, »liegt der kleine Speiseraum.« (Mit Platz für zwölf Personen.) »Dahinter der Raum für die Staatsbankette.« (Dunkle Wandtäfelung, Platz für vierundzwanzig Esser.)
Er kommentierte uns sämtliche Gemälde in den Räumen. Ich dachte an die vielen Premierminister, die all diese Pracht und Eleganz nicht gekannt hatten, für die das Gebäude nur ein Büro gewesen war. Sie hatten schon etwas verpaßt.
Wieder im Vorraum, wies unser Führer mit dem Finger nach oben. »Im nächsten Stock liegt die Privatwohnung des Premierministers, und hinter der verschlossenen Tür dort liegt sein eige-nes Gemach, das man nur betritt, wenn er darum bittet. Unten aber ...«, schon brachte er uns per Lift ins Erdgeschoß, »geht es dort entlang und durch den Vorraum in den Sitzungssaal des Kabinetts, was ich Ihnen, Sir, natürlich nicht zu sagen brauche, doch den können Sie Ihrem Sohn selbst zeigen, ich warte dann nachher am Ausgang auf Sie.«
Mein Vater dankte ihm herzlich für seine Mühe, und ich dachte etwas überwältigt, daß ich mir noch nie so richtig das lebendige Erbe der Geschichte vor Augen geführt hatte, das mein Vater anzutreten hoffte.
Der Vorraum war ein Vorraum: ein Sammelplatz eben, aber mit leuchtend roten Wänden.
Der Sitzungssaal im hinteren Teil des ehemaligen Herrenhauses war länglich, mit hohen Fenstern auf der einen Längs- und der hinteren Schmalseite, die auf einen friedlichen, ummauerten Garten blickten.
Irische Terroristen hatten in diesem Garten einmal eine Bombe deponiert, als das ganze Kabinett im Haus war. Die Bombe hatte wenig Schaden angerichtet. Jetzt sah das Gras unberührt aus. Frieden war relativ. Guy Fawkes konnte wieder auferstehen.
Erstaunlicherweise hatte Sir Thomas Knyvet, der Stadtrat, der Guy Fawkes in flagranti mit seinen Pulverfässern ertappte, genau an der Stelle gewohnt, wo der Bauunternehmer George Downing später das Haus Nr. 10 errichten ließ.
»Da sitze ich normalerweise«, sagte mein Vater, als er zu dem Tisch in der Saalmitte ging und hinter einem der zwei Dutzend Stühle stehenblieb. »Der Stuhl in der Mitte, der mit den Armlehnen, gehört dem Premier. Es ist der einzige mit Lehnen.«
Der große Tisch war nicht rechteckig, sondern ein langgezogenes Oval, damit, wie Vater erklärte, der Premierminister die einzelnen Kabinettsmitglieder besser sehen konnte.
»Na los«, neckte ich ihn. »Nimm dir den Lehnstuhl.«
Er war halb verlegen, halb scheu, konnte der Versuchung aber nicht widerstehen. Es sah ja nur sein Sohn. Er krebste seitwärts um den Tisch herum und setzte sich in den Lehnstuhl; machte es sich bequem, lehnte die Arme an, lebte den Traum.