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Hinter ihm an der Wand hing das einzige Gemälde in diesem Raum, ein Porträt von Sir Robert Walpole, der als erster den Titel Premierminister erhalten hatte.

»Alles wie für dich gemacht«, sagte ich.

Er stand verlegen auf und sagte, wie um der Situation das Prickelnde zu nehmen: »Auf dem Platz gegenüber dem Premier sitzt normalerweise der Finanzminister.«

»Und wie viele von euch legen die Füße auf den Tisch?«

Er warf mir einen ungehaltenen Blick zu. »Mit dir kann man wirklich nirgends hingehen.«

Wir kehrten ins Foyer zurück, wo mein Vater auf die Uhr sah. Wie aufs Stichwort erschien der Bote, um uns zur Tür zu bringen, und ich fragte mich flüchtig, ob sie drinnen, wie es nur vernünftig gewesen wäre, Videokameras hatten, um das Kommen und Gehen von Besuchern aufzuzeichnen.

Während wir uns noch verabschiedeten, öffnete sich die Tür, und herein kam der Premierminister, gefolgt von zwei wachsamen jungen Männern: Leibwächtern.

Der Premierminister sagte ohne Überraschung: »Tag,

George« und warf seinerseits einen vielsagenden Blick auf die Uhr. »Kommen Sie mit. Und Sie, ehm .«

Mein Vater sagte: »Ben.«

»Ben, ja. Der Rennreiter. Sie auch.«

Er führte uns durchs Foyer und an der Treppe vorbei in ein enges, hektisch betriebsames Büro voller Leute, die sich bei seinem Eintritt von ihren Plätzen erhoben.

»So, Ben, Sie bleiben mal bei diesen braven Leuten hier, während ich mich mit Ihrem Vater unterhalte.«

Er ging durch den Raum, öffnete eine Tür und bedeutete meinem Vater, ihm zu folgen. Das Büropersonal begrüßte mich freundlich, bot mir einen Stuhl an und erklärte mir, daß ich in dem Raum sei, wo die eigentliche Arbeit stattfinde; hier werde das Leben des Premierministers organisiert, wie es seine Politik erfordere.

Freitag nachmittags gehe es etwas ruhiger zu, sagten sie, aber an die zweihundert Leute seien insgesamt in den Büros beschäftigt, und einmal habe jemand gezählt, wie oft die Eingangstür von Nr. 10 in vierundzwanzig Stunden geöffnet und geschlossen wurde, und sei auf über neunhundert Mal gekommen.

Ununterbrochen klingelte das Telefon. Schließlich galt ein Anruf mir, und ich wurde gebeten, wie mein Vater nach nebenan zu gehen. Ich kam in einen großen, gepflegten stillen Raum, der halb Büro, halb Salon war.

Mein Vater und der Premierminister saßen entspannt in dik-ken Sesseln, und mit einer Handbewegung wurde mir bedeutet, mich dazuzusetzen.

»Ihr Vater und ich«, sagte der Premierminister, »haben uns über Alderney Wyvern unterhalten. Ich bin ihm ein- oder zweimal begegnet, fand aber nichts an ihm auszusetzen. Ich weiß, daß Jill Vinicheck und andere Frauen im Kabinett der Meinung sind, ihm viel zu verdanken, und daß er vor allem auch Hudson Hurst ein neues, besseres Image verschafft hat. Das finde ich in keiner Weise bedenklich oder inakzeptabel. Der Mann ist taktvoll und zurückhaltend und hat politisch, soweit ich weiß, nie einen Fehler gemacht. Besonders Jill Vinicheck findet, daß seine Ratschläge ihr einige Male geholfen haben, und fest steht, daß die Presse jetzt nicht mehr über ihre Kleider lästert, sondern sie als Politikerin ernst nimmt.«

»Ehm ...«, sagte ich. »Ja, Sir.«

»Ihr Vater sagt, er und Sie haben Alderney Wyvern von einer anderen Seite kennengelernt. Einer gewalttätigen Seite. Er sagt, daß Ihrer Ansicht nach diese Gewaltbereitschaft noch besteht. Es fällt mir schwer, das zu glauben, kann ich dazu nur sagen, und solange ich nichts dergleichen bei ihm erkenne, muß ich von Wyverns Unschuld ausgehen. Ich bin sicher, daß Sie mich beide in der besten Absicht auf den möglichen Einfluß Wyverns in meinem Kabinett aufmerksam gemacht haben, aber wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, George, Ihr Sohn ist ein sehr junger Mann ohne rechte Lebenserfahrung, und möglicherweise bauscht er Probleme hier unnötig auf.«

Mein Vater verzog keine Miene. Ich fragte mich, was der Premierminister von Wyvern gehalten hätte, wenn er ihn auf Orinda hätte losgehen sehen. Ohne einen solchen Anschauungsunterricht war er anscheinend nicht davon zu überzeugen, daß sich in der äußeren Schale des Mannes, den er kannte, etwas völlig anderes verbarg - so wie die schimmernde, schön gezackte Muschelschale den glitschigen, schneckenähnlichen Mollusk beherbergt, der bäuchlings vorwärtskriecht.

Der Premierminister sagte: »Ich nehme zur Kenntnis, was Sie mir mitgeteilt haben, und werde es im Kopf behalten, aber einen Handlungsbedarf sehe ich im Augenblick nicht.«

Er erhob sich zum Zeichen, daß die Unterredung beendet sei, gab meinem Vater gutmütig wie immer die Hand, und ich mußte daran denken, wie Vater mir auf unserer Fahrt von Brighton nach Hoopwestern am Tag, da alles anfing, gesagt hatte, daß die Menschen nur glauben, was sie glauben wollen. Offenbar galt das auch für den Premierminister.

Als wir Haus Nr. 10 verlassen hatten, sagte ich düster zu meinem Vater: »Geholfen habe ich dir nicht.«

»Es mußte sein. Es war richtig, ihn zu warnen. Selbst wenn es meiner Karriere abträglich sein sollte, war es richtig.«

Vaters unbedingte Redlichkeit, dachte ich, konnte ihm noch einmal zum Verhängnis werden.

Kapitel 11

Nach Weihnachten jenes Jahres geschah einiges, das im Leben vieler vieles änderte. Zunächst kam eine Kaltfront vom Polarkreis herunter und fror ganz Kanada, ganz Nordeuropa und ganz Großbritannien ein. Die Wetterkundler hörten auf, sich über den Treibhauseffekt zu ereifern und sprachen mit langen Gesichtern von der nächsten Eiszeit. Niemand verlor ein Wort darüber, daß vor fünftausend Jahren, als Stonehenge erbaut wurde, ausgesprochen milde klimatische Verhältnisse herrschten, und niemand erinnerte sich an die harten Winter des neunzehnten Jahrhunderts, die so kalt gewesen waren, daß man in London auf der Themse Schlittschuh lief, Kirmes feierte und Ochsen briet.

Damals kuschelten sich die Leute in ihre Ohrensessel und legten die Füße hoch, um sich vor Zug zu schützen, und die Frauen trugen ein Dutzend Unterröcke übereinander.

In dem Winter, als ich zweiundzwanzig wurde, regnete es Eis auf Schnee. Die Leute liefen auf ihrem Rasen Schlittschuh und bauten ihren Kindern Iglus. Dieselöl gefror. Pferderennen wurden nur noch auf einigen speziell angelegten Allwetterbahnen ausgetragen, aber ohne Schneeräumer ging es selbst dort nicht. Die Besitzer schimpften, da die Trainingskosten weiterliefen, Berufsrennreiter kauten an den Nägeln und Amateure erhielten Startverbot.

Weatherbys wurde mit Versicherungsansprüchen wegen Frostschäden überschwemmt, und mittendrin erklärte Evan, mein Chef, er wolle die Firma verlassen, um die Leitung einer neu gegründeten Versicherung zu übernehmen. Ich nahm an, Weatherbys würde ihn über meinen Kopf hinweg ersetzen, doch statt dessen baten sie ihn, mich bis zum Ablauf der dreimonatigen Kündigung in seine Arbeit einzuweisen. Mein Geburtsdatum schien sie nicht zu kümmern, obwohl ich mich selbst nach Weatherbys-Maßstäben für zu jung hielt; sie meinten lediglich, um Evan zu ersetzen, müsse man früh aufstehen.

Evan, schlaksig und hager, mit einem vogelähnlichen Kopf auf dem langen Hals, hatte seinerzeit eine Abteilung übernommen, deren Hauptfunktion darin bestand, Pferdebesitzern und Trainern unnötige Arbeit zu ersparen, und sie innerhalb von fünf Jahren mit Phantasie und Findigkeit zu einer Versicherung ersten Ranges ausgebaut.

In seinen letzten drei Monaten stellte er mich zusätzlich zu unserer täglich anfallenden Arbeit persönlich allen Versicherern vor, mit denen er am Telefon verhandelte, so daß die Leute in den Konsortien bei Lloyds schließlich wußten, mit wem sie es zu tun hatten, und ich lernte, ihre Sprache zu sprechen.

Er wies mich auf Versicherungstricks hin. »Hüte dich vor dem Freundschaftstrick«, sagte er.

»Der wäre?«

»Wenn sich zwei zusammentun«, meinte er belustigt. »Einer besitzt ein Pferd, das nicht mehr zu retten ist, weil es beispielsweise ein Nierenleiden hat, okay? Statt zum Tierarzt bringt Freund A das kranke Tier zur Auktion. Freund B ersteigert es und versichert es ab Fallen des Hammers. Diese Versicherung wurde eingeführt für Fälle, wo ein Millionen-Pfund-Hengst beim Verlassen des Verkaufsrings stolpert und sich ein Bein bricht. Sie tritt in Kraft, bevor ein Arzt sich das Tier ansieht. Freund B also kauft ein wertloses Pferd und versichert es ab Fallen des Hammers. Freund A tut unschuldig ... >Das Pferd wäre mir doch nie zur Auktion gekommen, wenn ich das geahnt hätte .< Freund B läßt seinen Kauf einschläfern und kassiert die Versicherung. Freund A und Freund B machen halbe-halbe.« Er lachte. »Du hast einen Riecher für Ganoven, Ben. Das schaukelst du schon.«