In eben diesen drei Monaten wurde mein Vater zur Hauptfigur in einem Fischereikrieg, bei dem auf höchster internationaler Ebene erörtert wurde, wer wieviel Fisch von welcher Art und Größe aus einer bestimmten Region der Weltmeere entnehmen durfte. Mit Einfühlung und Witz und indem er persönlich an Bord der salzverkrusteten, netzbewehrten Seekrankheitserzeuger ging, lernte er die Klagen und berechtigten Argumente jener kennen, die sich täglich den unzähmbaren Elementen aussetzten.
Die Presse nahm Notiz. Schlagzeilen erschienen: JULIARDS Fischzug und Juliard in Japan.
Leute aus der Versicherungsbranche meinten: »Dieser Juliard - wohl nicht verwandt mit Ihnen?«
»Mein Vater.«
»Scheint sich gut für Fisch und Fritten einzusetzen.«
Fisch und Fritten - das Grundnahrungsmittel - verschafften meinem Vater Geltung.
Ein Fernsehsender schickte einen Kameramann mit ihm auf See, und obwohl dem Ärmsten die ganze Zeit kotzschlecht war, drehte er unvergeßliche Filmmeter von meinem Vater, wie er im Ölzeug halb über der Reling, über den Brechern hing und -grinste.
Jedes Schulkind erkannte ihn auf Bildern gleich als den »Fischminister«; seinen Kabinettskollegen behagte das wenig.
Ein Sensationsblatt grub das fünf Jahre alte Superfoto von Vater beim Sprung aus dem brennenden Wahlkampfbüro aus und brachte es groß in einem doppelseitigen Artikel zum Lob der Männlichkeit, der Geistesgegenwart und der zupackenden Politik, die sich derzeit auf dem weiten blauen Meer bewährten.
Das behagte nun auch dem Premierminister nicht ganz. George Juliard als relativer Neuling und Chef eines eher unauffälligen Ministeriums ging in Ordnung. George Juliard als Mann von schnell wachsender Popularität war eine Bedrohung.
»Man darf um einen Minister keinen Kult treiben«, äußerte sich der Premier in einem Fernsehinterview, aber andere sprachen von »Führungsqualitäten« und »Dynamik«, und Polly riet dem lieben George, etwas leiser zu treten, damit sein Erfolg die Kollegen nicht gegen ihn aufbringe.
Mein Vater huldigte daher ausgiebig dem Heer von Beamten, mit denen er seine Fischkriegslösungen erarbeitet hatte. »Ohne ihre Unterstützung ...« und so weiter und so fort. Demütig verbeugte er sich im Kabinett nach allen Seiten.
Gegen Ende der langen Frostperiode berichteten die Rennsportzeitungen, die nach Wochen weitgehender Stagnation um Material verlegen waren, des langen und breiten über den Entschluß von Sir Vivian Durridge, mit dem Trainieren aufzuhören.
Ein von wohlklingenden Klischees wie »lange, glänzende Laufbahn« wimmelnder Artikel erinnerte an seine Siege im Derby (vier) oder in anderen großen Rennen (»mehr, als der Platz uns zu nennen erlaubt«) und führte seine wichtigsten Besitzer (»vom Königshaus abwärts«) ebenso auf wie die wichtigsten Jockeys, die er engagiert hatte (»Champions allesamt«).
Ziemlich weit unten kam dann die fesselnde Kunde, daß den Rennberichten zufolge »Benedict Juliard zwei Jahre lang als Amateur für Durridge geritten hat«.
»Benedict Juliard ist, wie jeder im Rennsport weiß, der Sohn George Juliards, unseres charismatischen Ernährungsministers. Ben Juliard hat dreimal auf von Sir Vivian trainierten Pferden gesiegt und dann bei ihm aufgehört.«
Soviel zu Sir Vivian Durridge. Einen angenehmen Ruhestand, Sir Vivian!«
Anscheinend waren bei den eisigen Temperaturen auch die Seitensprünge zurückgegangen. Usher Rudd, unverändert aktiv mit langer Linse und mieser Gesinnung, erlebte eine Durststrek-ke bei der gnadenlosen Verfolgung des unglücklichen, Frauen liebenden und Frauen schlagenden, aber auch Chorknaben nicht verschmähenden Spitzenmanns der Opposition, der entweder eine Pause eingelegt hatte oder sich besser versteckte.
Usher Rudd, von der Hoopwestern Gazette als Falschmelder gefeuert und seither bei vielen Blättern schlecht angesehen, hatte dennoch als freier Mitarbeiter ziemlich schräger Sexmagazine ein Auskommen gefunden.
Das Motto, nach dem er unverändert lebte: Schmutz verkauft sich.
Und wo keiner ist, erfinde ihn.
Der Oppositionspolitiker beging Selbstmord.
Ein Schock lief durch das Parlament, ein Zittern durch manch ein Gewissen.
Er war der Schattenschatzkanzler gewesen, derjenige, dem der Staatshaushalt unterlegen hätte, wenn seine Partei an der Macht gewesen wäre. In ihrer Buchführung hatte Rudd bei aller Stöberei keinen Fehler entdecken können.
Die Leitartikler wiesen mit halb gespieltem Entsetzen darauf hin, daß Ehebruch (wie Selbstmord) vielleicht Sünde sei, nach britischem Recht aber kein Verbrechen. Einen Menschen zur Verzweiflung zu treiben - war das Sünde? War das ein Verbrechen?
Usher Rudd wiederholte reulos grinsend nur immer wieder sein Credo: Wenn Leute, die im Rampenlicht standen, privat verwerflich handelten, hatte die Öffentlichkeit ein Recht, das zu erfahren.
War dem so? Was hieß verwerflich? Wer sollte das beurteilen? Die Talkshows kauten es endlos durch.
Usher Rudd war entweder »der Wachhund des Volkes« oder ein gemeingefährlicher Spanner.
Vater meinte auf einem Spaziergang in den Wäldern um Pol-lys Haus zu mir, Usher Rudd halte wahrscheinlich bereits Ausschau nach einer neuen Zielscheibe.
»Bis er dem nächsten armen Teufel im Nacken sitzt, denk immer daran, wie er uns im Schlafenden Drachen belauscht hat, und sieh dich vor«, sagte er. »Damals wollte er uns reinreiten, und wir haben ihn um seine Stelle gebracht.«
»Ja, aber du hast dich bestimmt an die Abmachung gehalten, die du damals unterschrieben hast - nichts Zweifelhaftes oder Unrechtmäßiges zu tun und keinen Skandal zu verursachen. Usher Rudd kann dir also nichts anhaben.«
Er lächelte. »Diese Abmachungen! Ja, daran habe ich mich gehalten. Aber Kleinigkeiten wie ein sauberes Gewissen bremsen den rothaarigen Mistkerl nicht. War es für dich schwer, zu deinem Wort zu stehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mich dran gehalten.«
Allerdings hatte das von mir selbst formulierte Versprechen sich eindeutig hemmend auf mein sogenanntes Sexualleben ausgewirkt. Ich hatte zwei kurze, wenn auch schöne Romanzen erlebt, eine an der Universität, eine in der Rennwelt, mich in beiden Fällen aber nicht auf eine tiefere Beziehung eingelassen. Dem ungeregelten Geschlechtsverkehr hatte Usher Rudd wirksamer entgegengestanden als die Aidsgefahr.
Als die Sonne endlich warm auf das Haus am Rand von Wellingborough schien, in dem ich eine eigens für die geliebte, aber verstorbene Oma der Familie hergerichtete Wohnung gemietet hatte, sickerte infolge eines Rohrbruchs im Dachgeschoß erst Wasser durch die Zimmerdecken, bevor die Decken selbst herunterkamen. Für die Zeit der nun erforderlichen großen Renovierung packte ich mein Zeug wieder in Kisten, schaffte es ins Büro und lagerte es in dem freien Raum unter meinem Schreibtisch.
Evan räumte nach und nach den Ramsch, der sich in seiner fünfjährigen Amtszeit angesammelt hatte, aus dem Büro. Vielbewunderte Pin-ups verschwanden. Übersichtlich ordnete er tausend Akten und schrieb mir ein Register. Er vermachte mir drei zerrupfte Grünpflanzen, die nach mehr Licht schrien.