»Natürlich.«
»Jetzt ist die Zeit gekommen.«
»Aber Ben ... was willst du denn tun?«
»Ich verklage ihn wegen Verleumdung.«
»Wen? Hurst? Usher Rudd? Vivian Durridge?«
»Nein. Den Redakteur der Shout!«
Nach einer Pause sagte mein Vater: »Dafür brauchst du einen Anwalt.«
»Anwälte sind teuer. Ich versuche es erst mal so.«
»Ben, das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht. Aber wenn ich Shout! Verleumdung nachweisen kann, muß Hudson Hurst den Mund halten, und wir dürfen auch keine Zeit verlieren, oder soll die Wahl des neuen Parteichefs nicht kommende Woche schon in die erste Runde gehen?«
»Doch. Am Montag.«
»Dann kümmere dich weiter um Fisch und Fritten, und ich sage Usher Rudd den Kampf an.«
Von Durridge in Kent fuhr ich quer durch Südengland nach Exeter und zu dem Rennstall, der noch wie ein Zuhause für mich war: Spencer Stallworthys Reich.
Ich kam gegen halb sieben an, als er gerade die Stallkontrolle abschloß.
»Tag«, sagte er überrascht. »Mit Ihnen habe ich aber nicht gerechnet.«
»Nein .« Ich sah zu, wie er den letzten Pferden Mohrrüben zu naschen gab, und warf einen Blick in die Box, in der drei herrliche Jahre lang Sarah’s Future gestanden hatte. Sie gehörte jetzt einem langhalsigen Schimmel, und ich trauerte der Sorglosigkeit vergangener Tage nach.
Jim war noch dort, sah nach, ob die Heunetze gefüllt, die Trinkeimer bereitgestellt waren und verschloß die Boxen zur Nacht; alles so vertraut, so lange vermißt.
Nach der Stallkontrolle fragte ich, ob sie ein wenig Zeit hätten, sich mit mir zu unterhalten, und schon waren wir mit dem Auto unterwegs zu Stallworthys Wohnung und seinem unvergessenen Sherry.
Sie wußten, daß mein Vater dem Kabinett angehörte, und ich erzählte von dem Machtkampf. Ich zeigte ihnen den Mittelteil von Shout!, der sie so schockte, daß sie von neuem zur Flasche griffen. Jim blinzelte heftig mit den weißen Wimpern, immer ein Zeichen von Beunruhigung, und Stallworthy sagte: »Das stimmt doch nicht, oder? Sie haben nie Drogen genommen. Das hätte ich gemerkt.«
»Genau«, sagte ich dankbar, »und das hätte ich gern schriftlich von Ihnen. Eine Erklärung, daß ich drei Jahre lang mit Erfolg für Ihren Stall geritten bin und nie das geringste Interesse für Drogen gezeigt habe. Je mehr schriftliche Erklärungen ich beibringen kann, aus denen hervorgeht, daß ich kein Drogensüchtiger bin und nach dem Wissen der Unterzeichner auch nie einer war, desto besser. Ich will das Blatt wegen Verleumdung verklagen.«
Sowohl Stallworthy wie auch Jim machten ihrer Empörung Luft und setzten sich mit heftigeren Worten für mich ein, als ich es hätte verlangen können.
Stallworthy gab mir ein Bett für die Nacht und früh am Morgen ein Pferd zum Reiten, und nach dem Frühstück verabschiedete ich mich und fuhr über die vertraute Landstraße zur Universität.
Die zwei Jahre seit meinem Abschluß schienen sich in Luft aufzulösen. Ich parkte am Straßenrand vor dem Streatham Campus und ging den steilen Weg zum Laver Building hinauf, das die mathematische Abteilung beherbergte. Dort fand ich nach einigem Hin und Her meinen Tutor - denjenigen, der mir die von Weatherbys verlangte Referenz geschrieben hatte - und erklärte ihm wie zuvor Stallworthy und Jim, was ich von ihm wollte.
»Drogen? Klar probieren viele Studenten mal was aus, und die es gar nicht lassen können, entfernen wir nach Möglichkeit, wie Sie wissen, aber Sie wären so ungefähr der letzte, bei dem ich Angst gehabt hätte, daß er darauf abfährt. Schon weil Drogen und Mathematik schlecht zusammenpassen, und gerade Ihre Arbeit war immer sehr nüchtern. Der Artikel ist Blödsinn.«
Ich bat ihn, mir seine Auffassung schriftlich zu geben, und er erledigte das prompt.
»Viel Glück«, wünschte er mir zum Abschied. »Diese Zeitungsleute können sich doch wirklich alles erlauben.«
Ich kehrte zu meinem Wagen zurück und fuhr übers Land zu meiner alten Schule in Malvern.
Dort auf dem Campus am Berghang, steil wie das Unigelände in Exeter, nur nicht so groß, stöberte ich den Mann auf, bei dem ich Mathematik gelernt hatte. Er verwies mich an meinen damaligen Hauptlehrer, und der hörte mir zu und schickte mich zum Rektor.
Der Rektor ging mit mir über den Steinboden des vertrauten, breiten Ganges im Hauptgebäude und die Steintreppe hinauf in sein Arbeitszimmer, wo ich ihm die Shout! und eine Kopie des Briefs von Vivian Durridge zeigte.
»Natürlich unterstütze ich Sie«, sagte er ohne Zögern, schrieb von Hand etwas auf ein Blatt Papier und gab mir das Geschriebene zu lesen.
Da stand:
Benedict Juliard hat Malvern College fünf Jahre lang besucht. In den beiden letzten Jahren, als er für das Abitur und die Zulassung zum Studium lernte, hat er seine Freizeit damit verbracht, entweder Rennpferde zu reiten - er gewann drei Jagdrennen - oder Ski zu laufen - er gewann eine JugendEuropameisterschaft im Abfahrtslauf.
Darüber hinaus war er ein hervorragender Sportschütze: mit der Schulmannschaft errang er den begehrten Ashburton Shield.
Bei all diesen Aktivitäten hat er einen klaren Kopf, angeborenen Mut und eine hohe Konzentrationsfähigkeit bewiesen. Ihm eine Neigung zum Rauschmittelgenuß zu unterstellen ist absurd.
Ich blickte auf, und mir fehlten die Worte.
»Ich bewundere Ihren Vater«, sagte der Rektor. »Das soll nicht heißen, daß ich politisch immer mit ihm übereinstimme, aber England könnte es allemal schlechter treffen.«
»Vielen Dank«, sagte ich etwas schwach, und er gab mir lächelnd die Hand.
Weiter ging es nach Wellingborough, wo ich im Büro vorbeischaute, um dem Direktor zu sagen, was ich bis jetzt getan hatte und was ich noch tun wollte. Dann nahm ich ein paar Kopien von Vivian Durridges Brief und seiner Empfehlung aus dem Aktenschrank, kopierte die neu hinzugekommenen Briefe, fuhr damit zum Bahnhof Wellingborough und setzte mich, da ich die Straßen leid war, in den Zug nach London.
Die Shout! wurde, wie ich herausfand, in einem kleinen, verwahrlosten Gebäude südlich der Themse produziert. Ihr Redakteur legte sicher keinen Wert darauf, mich zu empfangen, aber am späten Nachmittag marschierte ich zwischen wie Bugwellen weichenden Sekretärinnen hindurch geradewegs in sein Büro. Er saß im Sweatshirt hinter einem mit Papieren übersäten Schreibtisch an der Tastatur eines Computers.
Natürlich kannte er mich nicht. Als ich ihm sagte, wer ich war, bat er mich zu gehen.
»Ich werde Sie wegen Verleumdung verklagen«, sagte ich und schlug meine Shout! in der Mitte auf. »Dem Impressum vorne entnehme ich, daß der Chefredakteur Rufus Crossmead heißt. Falls Sie das also sind - ich verklage Rufus Crossmead persönlich.«
Er war ein kleiner, aggressiver Mann, der die Brust herausstreckte und das Kinn einzog wie ein Boxer. Flüchtig kam mir der Gedanke, daß der Umgang mit wütenden Opfern seines rücksichtslosen Treibens für ihn zum Alltag gehörte.
Ich wußte noch, wie mein Vater vor fünf Jahren den Redakteur der Hoopwestern Gazette niedergemacht hatte, aber einen so bedrohlich ruhigen Auftritt bekam ich nicht hin. Dazu fehlte es mir an Ausstrahlung und Autorität. Dennoch ließ ich Rufus Crossmead nicht über meine Absichten im unklaren.
Ich legte die kopierten Fürsprachen von Spencer Stallworthy, Jim, meinem Tutor in Exeter und dem Rektor des Malvern College vor ihn hin und gab ihm schließlich eine Kopie des Briefs von Vivian Durridge.
»Um eine Verleumdungsklage abzuschmettern«, sagte ich, »muß man schon nachweisen, daß man die Wahrheit geschrieben hat. Das geht bei Ihnen nicht, weil Sie Lügen verbreitet haben. Ich kann unschwer beweisen, daß Sir Vivian Durridge infolge eines Schlaganfalls hoffnungslos verwirrt ist und nicht mehr weiß, was er sagt. Usher Rudd war sich darüber mit Sicherheit im klaren. Er wollte meinem Vater heimzahlen, daß ihn die Hoopwestern Gazette seinetwegen gefeuert hat. Seitdem kommt er bei keiner achtbaren Zeitung mehr unter. Ihnen paßt er ins Konzept, aber auch Sie hat er jetzt in Bedrängnis gebracht.«