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Es war die erste politische Versammlung, der ich beiwohnte, und von mir aus hätte es gern die letzte sein können.

Zuerst wurden vom Podium herunter einige Reden gehalten. Der Vorsitzende der Wählervereinigung kam vom Hundertsten ins Tausendste. Der Parteibonze sprach zwanzig Minuten im Stehen. Seine Frau lächelte beifällig dazu.

Mein Vater trat vor und lockerte die Sache auf, indem er den Saal zum Lachen brachte. Ich merkte, wie sich ein schmalziges Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete, ähnlich dem der Frau des Bonzen, nur daß bei mir vor allem Erleichterung dahinterstand. Ich hatte befürchtet, er käme vielleicht nicht an, er könnte mich in peinliche Verlegenheit bringen, indem er sein Publikum langweilte.

Irrtum. Er sagte ihnen, was das Land brauchte und warum. Er sagte ihnen, was im argen lag und wie es sich ändern ließ. Er lieferte ihnen ein schmackhaftes Rezept. Er sagte ihnen, was sie hören wollten, und sie applaudierten ihm mit Händen und Füßen.

Der Kameramann des Lokalfernsehens filmte den Jubel.

Orinda war das natürlich überhaupt nicht recht. Sie saß so steif auf ihrem Platz, als hätte sie statt der Wirbelsäule einen Eisenstab im Rücken. Ich sah die harte Linie ihres Kinns und den grimmig angespannten Zug um ihren Mund. Sie hätte nicht kommen sollen, dachte ich; aber es konnte immerhin sein, daß sie die Entscheidung des Wahlausschusses tatsächlich für einen krassen Fehler hielt. Die liebe Polly, Chefabwählerin von Dennis’ Witwe, betrachtete hingerissen meinen Vater, als hätte sie ihn selbst kreiert, und ohne sie hätte er diese Gelegenheit, an seinem Glück zu schmieden, vielleicht ja wirklich nicht bekommen.

Strahlend über den gelungenen Auftakt, bat er um Fragen und zog, wie er es sich vorgenommen hatte, die Fliege aus. Er warf sie auf den Tisch und kam dann um den Tisch herum nach vorn, so daß nichts mehr zwischen ihm und dem Publikum war. Er umfing sie mit weit offenen Armen. Er lud sie ein, sich mit ihm gemeinsam auf ein politisches Abenteuer einzulassen, auf eine bessere Welt, insbesondere auf ein besseres Hoopwestern hinzuarbeiten.

Er hatte sie im Griff. Er brachte sie zum Lachen. Sein Timing hätte von einem Alleinunterhalter gelernt sein können. Er war mitreißend, überzeugend, aufrüttelnd, und ich auf meinem unauffälligen Eckplatz konnte nur staunen und schließlich stolz auf diesen Vater sein, der einen solchen Auftritt hinlegte.

»Ich bin für Sie da«, sagte er. »Kommen Sie über den Platz in mein Büro. Sagen Sie mir, was Sie drückt, was Ihnen Sorgen bereitet hier in Hoopwestern. Mit wem ich sprechen, wen ich anhören soll. Erzählen Sie mir, wie es hier früher war ... und ich sage Ihnen, was auf Sie zukommt. Wenn Sie mich wählen, werde ich für Sie arbeiten, Ihre Wünsche ins Parlament tragen, mich in allen Belangen für Sie einsetzen. Ich werde dem Unterhaus ein paar Glühbirnen aufstecken .«

Gelächter übertönte ihn. Die Glühlampenfabrik war der wirtschaftliche Motor der Stadt, und er wollte die Stimmen der Arbeiter.

Wer Gutes tun will, braucht Macht, sagte er, wie die Glühbirne den Strom. Allerdings sollte man nur Menschen Macht verleihen, die genug Kraft in sich haben, um sie zurückzugeben wie Wärme und Licht. »Wenn Sie mir Ihr Vertrauen schenken, lasse ich Ihre Lampen leuchten.«

Die Energie meines Vaters sprang auf die Leute über. Sie fragten laut, er antwortete laut. Wo es darauf ankam, war er ernst, sonst scherzte er. Völkermord entsetzte ihn, und Katzen waren ihm sympathisch. Er ließ sich nicht festnageln, versprach aber, niemals für etwas einzutreten, über dessen Tragweite er sich nicht im klaren sei.

»Die Gesetzgebung«, sagte er scherzhaft, »erreicht nicht selten genau das, was sie eigentlich verhindern soll. Das wissen wir alle. Wir beklagen die Folgen. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich zu keinen unüberlegten Handlungen hinreißen lassen werde, solange ich Ihre Interessen vertrete. Sie als Bürger von Hoopwestern sagen mir bitte klipp und klar, wo Gefahren drohen und worauf ich achten muß. Ich werde leise für Sie sprechen, nicht poltern und lärmen, denn Lärm stiftet nur Unfrieden, aber das leise Wort wirkt im stillen, findet Gehör und wird in sinnvolles Tun umgesetzt.«

Ob sie ihn verstanden oder nicht, sie mochten ihn.

Als eifrigste Zwischenrufer des Abends entpuppten sich nicht etwa die Anhänger des Oppositionskandidaten Paul Bethune, obwohl einige an dem Diner teilgenommen hatten und nachher auf den Klappstühlen ein kampflustiges Trüppchen bildeten, sondern die vermeintlichen politischen Mitstreiter (de facto aber persönlichen Gegner) meines Vaters, Orinda Nagle und Leonard Kitchens.

Beide verlangten ein entschiedenes Bekenntnis zu der von ihnen gewünschten Politik. Beide erregten sich und gestikulierten wild. Mein Vater antwortete mit gelassenem Humor und hielt sich an das erklärte Grundsatzprogramm seiner Partei: Er mußte sich auch die Stimmen der extrem Linientreuen sichern.

Orinda mit ihrer Erfahrung merkte zwar, daß sie keinen Stich bekam, kämpfte aber weiter. Mr. A. L. Wyvern kniff halb die Augen zu und vergrub die Ohren im Jackenkragen. Ich konnte richtig zusehen, wie sein Einfluß auf Leonard und Orinda nachließ.

Mein Vater würdigte die Leistung Dennis Nagles. Orinda sagte, keineswegs besänftigt, ein blutiger Anfänger wie George Juliard könne unmöglich weitermachen, wo ihr Mann aufgehört habe, ganz gleich, wie breit die Heldenbrust, wie geistreich, schlagfertig und charismatisch er sei.

Ein Buhruf kam aus den hinteren Reihen. Gelächter brach aus, löste die von Orinda aufgebaute nervöse Anspannung. Das gab meinem Vater wieder Aufwind, der Orinda herzlich für die Jahre ihrer Arbeit in der Partei dankte und ihr geschickt die Anerkennung des Publikums verschaffte, indem er ihr zuklatschte und alle ermunterte, es ihm nachzutun. Es gab großzügigen, wenn auch nicht lebhaften Beifall.

Orinda, durch dieses Dankeschön zum Schweigen gebracht, mußte sich in ohnmächtiger Wut geschlagen geben. Leonard Kitchens sprang von seinem Platz auf, um für sie zu sprechen, und wurde niedergeschrien. Sein Schnauzbart sträubte sich vor Ärger, die dicken Brillengläser blinkten im Licht, während er wie ein verwundeter Stier hin und her wankte. Sein gemütliches Frauchen sah aus, als würde sie ihm, wenn sie heimkamen, den Gnadenstoß versetzen.

Mein Vater lobte Leonards treue Haltung und versprach ihm, sich im Falle seiner Wahl immer an den hohen Zielen und dem ehrenvollen Vorbild Dennis Nagles zu orientieren. Mit weniger sei den Menschen in Hoopwestern nicht gedient.

Wieder gab es Jubel. Wieder forderte er sie zum persönlichen Gespräch auf, und sie drängten sich an den Sitzen vorbei nach vorn, um ihn beim Wort zu nehmen.

Die liebe Polly, munter plaudernd mit Parteipromi und Frau, winkte mich aufs Podium, und der Promi meinte angesichts der lärmenden, erregten Menge zu mir, mein Vater verfüge bereits über alle Voraussetzungen, um ganz nach oben zu kommen. »Er braucht lediglich Glück - und darf sich nicht die Finger verbrennen«, sagte er.

»Wie Paul Bethune«, meinte Polly nickend.

»Hat er sie sich verbrannt?« fragte der Promi.

»Ach herrje!« Polly wurde ganz verlegen. »George hat uns verboten, über Paul Bethunes Charakter herzuziehen. Solche Schmähkampagnen können nach hinten losgehen, meint er. Paul Bethune hat eine Geliebte und mit der Geliebten ein uneheliches Kind, was er nach Kräften zu vertuschen versucht hat, und George will das nicht gegen ihn verwenden.«

Mrs. Promi sah mich abschätzend an. »Über Ihrer Geburt liegt doch wohl kein Schatten, junger Mann?«

»Natürlich nicht«, versicherte ihr Polly mit Vehemenz, und ich fragte mich, ob mein Vater seinerzeit vielleicht daran gedacht hatte, daß es für ihn einmal wichtig sein könnte, ein Kind zu haben, das ehelich war. So wie ich ihn an diesem Tag kennengelernt hatte, schien zwar alles möglich, am wahrscheinlichsten aber blieb, daß er meine Mutter aus dem für ihn typischen Ehrgefühl heraus geheiratet hatte. Ich war nach wie vor überzeugt, daß er sich niemals vor der Verantwortung für seine Taten drückte. Daß ich kein Wunschkind war, wußte ich, aber das Leben, das er mir ermöglicht hatte, ließ wirklich nichts zu wünschen übrig.