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Ich besaß noch so viel Geistesgegenwart, daß ich, da ich mich unerwartet so nahe dem Festland sah, mich aufrichtete und versuchte, so weit als möglich nach dem Ufer hin zu gelangen, ehe eine andere Welle kommen und mich mitnehmen würde. Dieser Versuch mißlang jedoch. Eine Woge wie ein großer Hügel, gleich einem wüthenden Feinde, mit dem zu kämpfen ich mir nicht einfallen lassen konnte, stürzte hinter mir her. Es blieb mir Nichts übrig, als den Athem einzuhalten und mich, so gut es ging, über dem Wasser zu halten. Dabei war mein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, daß die See mich nicht, wie sie mich eine gute Strecke landeinwärts getrieben, auch ebenso weit wieder zurücktrage.

Die neue Woge begrub mich sofort wieder zwanzig bis dreißig Fuß in die Tiefe. Ich konnte fühlen, wie sie mich mit großer Gewalt und Schnelligkeit eine geraume Strecke nach der Küste hintrug. Wiederum hielt ich den Athem an und bemühete mich, mit aller Kraft vorwärts zu schwimmen. Fast wäre mir der Athem ausgegangen, als ich plötzlich auftauchte und Hand und Kopf über dem Wasser sah. Obwohl dies nur zwei Sekunden dauerte, reichte es doch aus, mir neue Luft und neuen Muth zu verschaffen. Abermals war ich eine gute Weile mit Wasser bedeckt, dann aber, als sich die Woge erschöpft hatte und zurückkehrte, fühlte ich Grund unter den Füßen. Ich stand einige Augenblicke still, schöpfte Luft und eilte sofort mit allen Kräften dem Ufer zu. Aber auch diesmal entrann ich nicht der wüthenden See, die mich aufs Neue überflutete. Zweimal noch erfaßten mich die Wellen und trieben mich, da die Küste sehr flach war, vorwärts wie vorher.

Das letzte dieser beiden Male hätte leicht verhängnißvoll für mich werden können. Das Meer warf mich nämlich dabei gegen ein Felsstück, und zwar mit solcher Gewalt, daß ich die Besinnung verlor und ganz hülflos dalag. Der Schlag traf mich in die Seite und gegen die Brust und benahm mir dadurch den Athem, so daß ich, wäre alsbald wieder eine Welle gekommen, ertrunken sein würde. Jedoch kam ich kurz vor der Rückkehr der Wogen wieder zu mir und beschloß diesmal, mich fest an dem Fels zu fassen und wenn möglich den Athem bis zur Rückkehr der Welle einzuhalten. Dies gelang denn auch, da die Wogen nicht mehr so hoch wie vorher gingen. Ein weiterer Lauf brachte mich dann so nahe dem Strand, daß die nächste Welle, obwohl sie mich übergoß, mich nicht mehr fortzutragen vermochte. Abermals rannte ich weiter und diesmal gelangte ich zum festen Lande, wo ich in großer Freude die Anhöhe der Küste erkletterte und mich da frei von Gefahr und außerhalb des Bereichs der See ins Gras niedersetzte.

Jetzt, da ich mich gerettet sah, hob ich meine Augen empor und dankte Gott für das Leben, auf dessen Erhaltung ich vor einigen Minuten noch nicht hatte hoffen können. Ich glaube, es ist unmöglich, das Entzücken und die Wonne eines Menschen, der sozusagen unmittelbar dem Grabe entronnen ist, zu schildern. Ich begreife jetzt, daß, wenn man einem armen Schächer, der schon den Strick um den Hals hat, Begnadigung schenkt, man zu gleicher Zeit einen Wundarzt schickt, der ihm zur Ader läßt, damit die Ueberraschung ihm nicht das Herz abdrücke:

«Denn rasche Freud' gleicht jähem Leid«.

Mit emporgehobenen Händen, ganz versunken in das Gefühl meiner Errettung, ging ich am Strande auf und ab. Ich dachte an meine ertrunkenen Gefährten und daß ich die einzige gerettete Seele unter Allen sei; denn ich sah Keinen wieder, habe auch kein Zeichen von ihnen mehr wahrgenommen, außer drei Hüten, einer Mütze und zwei nicht zusammengehörigen Schuhen.

Als ich nach dem gestrandeten Fahrzeug, das durch die Stärke der Brandung meinem Anblick fast entzogen worden war, blickte, rief ich unwillkürlich aus:»Gott, wie ist es möglich gewesen, daß ich das Land erreichen konnte!«

Nachdem ich nun meine Seele in solcher Weise an der tröstlichen Seite meiner Lage erhoben hatte, begann ich umherzublicken und auszuschauen, auf was für einem Lande ich mich eigentlich befinde und was zunächst zu thun sei. Da sank nun bald wieder mein Muth und ich erkannte, daß meine Errettung eine furchtbare Begünstigung sei. Ich war durchnäßt und konnte die Kleider nicht wechseln; hatte weder etwas zu essen, noch etwas zu meiner Stärkung zu trinken; keine andere Aussicht bot sich mir, als Hungers zu sterben oder von den wilden Thieren gefressen zu werden; und, was mich besonders bekümmerte, ich besaß keine Waffen, um irgend ein Thier zu meiner Nahrung zu tödten, oder mich gegen andere, die mich zu der ihrigen zu verwenden Lust hätten, zu wehren. Nichts trug ich bei mir als ein Messer, eine Tabakspfeife und ein wenig Tabak in einem Beutel. Dies war meine ganze Habe, und ich gerieth darob in solche Verzweiflung, daß ich wie wahnsinnig hin und her lief. Die Nacht kam, und ich begann schweren Herzens zu überlegen, was mein Loos sein würde, wenn es hier wilde Thiere gäbe, von denen ich wußte, daß sie stets des Nachts auf Beute auszugehen pflegen.

Die einzige Auskunft, die mir einfiel, war, einen dicken buschigen Baum, eine Art dorniger Fichte, die in meiner Nähe stand, zu erklettern. Ich beschloß, dort die ganze Nacht sitzen zu bleiben und am nächsten Tag die Art, wie ich meinen Tod finden wolle, zu wählen, denn auf das Leben selbst hoffte ich nicht mehr. Ich ging einige Schritte am Strande her, um nach frischem Wasser zu suchen: das fand ich denn auch zu meiner großen Freude. Nachdem ich getrunken und etwas Tabak in den Mund gesteckt hatte, um den Hunger abzuwehren, erstieg ich den Baum und versuchte mich in demselben so zu lagern, daß ich im Schlafe nicht herunter fallen könnte. Vorher hatte ich mir einen kurzen Stock, eine Art von Prügel zu meiner Vertheidigung abgeschnitten, und dann verfiel ich in Folge meiner großen Müdigkeit auf dem Baum in einen tiefen Schlaf und schlief so erquickend, wie es wohl Wenige in meiner Lage vermocht hätten. Nie im Leben hat mir, glaube ich, der Schlummer so wohl gethan wie damals.

Als ich erwachte, war es heller Tag. Das Wetter hatte sich aufgeklärt und der Sturm sich gelegt, so daß die See ruhig ging. Am meisten überraschte mich, daß das Schiff in der Nacht durch die Flut von der Sandbank, auf der es gestrandet, fast bis zu dem früher erwähnten Felsen, an welchen mich die Woge so heftig geschleudert hatte, getrieben war. Es befand sich etwa eine Meile von der Küste, und da es noch aufrecht stand, wünschte ich sehr an Bord zu sein, um wenigstens einige nöthige Gegenstände für mich retten zu können.

Als ich von meiner Schlafstätte auf dem Baum heruntergestiegen, schaute ich umher, und das Erste, worauf meine Augen fielen, war das Boot. Der Wind und die Wellen hatten es etwa zwei Meilen zu meiner Rechten entfernt auf den Strand geschleudert. Ich ging die Küste entlang danach hin, aber ein kleiner, etwa eine halbe Meile breiter Meeresarm hinderte mich zu ihm zu gelangen. Da ich nun für den Augenblick mein Augenmerk mehr auf das Schiff gerichtet hatte, wo ich Etwas zu meiner nächsten Lebensfristung zu finden hoffte, kehrte ich für diesmal wieder um.

Kurz nach Mittag ward die See sehr ruhig und die Ebbe so stark, daß ich bis auf eine Viertelmeile dem Schiffe nahe kommen konnte. Hier wurde mir ein neuer Schmerz bereitet. Ich sah nämlich klar, daß wir, wären wir Alle an Bord geblieben, sämmtlich gerettet sein würden. Wir würden dann Alle ans Land gelangt und ich nicht so jammervoll von allem Trost und aller menschlichen Gesellschaft verlassen gewesen sein wie jetzt. Die Thränen traten mir bei diesem Gedanken in die Augen. Da ich aber wenigstens einige Erleichterung meines Aufenthalts auf dem Schiffe zu finden hoffte, beschloß ich den Versuch zu machen, ob ich es erreichen könne. Ich zog wegen der großen Hitze die Kleider aus und begab mich ins Wasser. Als ich zu dem Schiff gelangt war, zeigte sich eine neue besonders große Schwierigkeit, in der Frage nämlich, wie ich an Bord gelangen sollte. Das auf dem Grunde aufliegende Fahrzeug ragte hoch aus dem Wasser, und ich konnte nirgends eine Handhabe finden, um mich daran in die Höhe zu heben. Erst nachdem ich es zweimal umschwommen, erspähete ich beim letzten Male ein kleines Tauende, das an dem Vordertheil so tief herunter hing, daß ich, wenn auch nur mit großer Mühe, es fassen und mit Hülfe desselben in den Vordertheil des Schiffes gelangen konnte.