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Leicht gekrümmt.

Lieber Freitag, hast du auch nur die blasseste Vorstellung von dieser Wirrnis der Schnittpunkte, die hier verursacht werden? Mein Computer hat ausgerechnet, daß die jeweils gleiche Zahl erst Weihnachten 2040 wiederkehren wird. Und auch nur 1 Minute lang. Meine eintausend Gangster mit ihren eintausend Computermaschinen werden es in eintausend Jahren nicht bewerkstelligen, die verdammte Zahlenkombination zu finden. Laß mich dieses schöne Bild, lieber Freitag, in meinem schönen großen blauen Haus, in dem ich mich befinde, vor dir ausbreiten.

Außerdem hat sich mein Computer noch eine zusätzliche Perfidie einfallen lassen, auf die niemals und kein lebender Mensch je kommen würde, für ihn hat die Stunde nicht 60, sondern 61 Minuten.

*

«Na, und», fragt man mich, «wie bist du denn hierhergekommen?»

Anscheinend hänge ich schon wieder an der Bar, wo ich alle Biere bezahlen muß (Geschenk Rot-Chinas an die Republik Tuvalu). Und man will es auch gar nicht wissen, fragt aber trotzdem.

«Hat man dich ausgesetzt?»

Gelächter.

«Von Kiribati, ich bin von Kiribati hierher.»

Und davor?

«Von Torkelau.»

Und davor?

«Von Paumotu, davor Niue.»

Und davor?

«Tonga.»

Das ist auch so eine Eigenart, man fragt hier immer rückwärts. Jemand, der in Hongkong geboren ist, benötigt eine halbe Stunde, bis er dort anlangt.

– –

Gelächter.

– –

Aber es ist berechtigt. Alle hängen an der Bar und trinken die vierzehn Fidji, die mir nachher berechnet werden. Es ist eher komisch, mich haben sie immer furchtbar geschunden, auf der «Cook» und anderswo, es waren furchtbare Jahre, wenn man mir glauben will, und ich habe Salzwasser schlucken gelernt, das kann man mir glauben. Man ist aber fröhlich hier. Selbst der arme Reisende aus Christchurch, der sein gesamtes Sortiment verloren hat, drei Musterkoffer mit Bürsten, Kämmen, Nagelscheren, Trockenwicklern und Lockenhauben, mit den Tits und Bits und kostenlosen Proben, die auch verloren sind. Inklusive seiner Jungmilch «Rosenhaut», wie er ausführt. Und ist immer noch fröhlich.

«Lost all my luggage.»

Eine tragische Geschichte, immerhin geht es um eine Existenz. Da hatte also Pago-Pago-Airlines nicht abheben können, weil das Passagiergepäck zu schwer war, welches ausgeladen später nicht mehr gefunden wurde. Jetzt sitzt der Passagier seit zwei Jahren auf dem Barstuhl, während Pago-Pago-Airlines nach den Musterkoffern sucht, sie können sich ebensogut auf Torkelau wie auf Paumotu befinden. Ich spendiere ihm ein fünfzehntes Fidji, immerhin geht es um Leben und Tod. «Lost my luggage.»

Obwohl es mir auch nicht gerade gut ergangen ist. Nicht daß sie mich kielgeholt haben, das nicht, aber nahe dran bin ich gewesen, das ist die reine Wahrheit. Ich habe Käpten Kuk kennengelernt, und ich habe ihn fürchten gelernt, ich habe ihn bewundert, und ich habe ihn gehaßt. Aus gutem Grund.

Du kennst die Strafe!

Wenn du das Gesetz gebrochen hast.

Sie binden dir ein Tau um den Bauch, das quer unter dem Schiff hindurchgezogen ist, von Nock zu Nock. Und dann der Druck, das Dröhnen und das Maul, groß wie ein Zimmer voller Wasser. Und das Grünblau der Ewigkeit. Ja, aber ich kann mit gutem Gewissen behaupten, ich sei unter Käpten Kuk gefahren. Das sollte man mir abnehmen.

Übrigens ist das die leichtere, die zivile Methode. Eine weitaus schwerere und wohl auch endgültige besteht darin, den Mann längs vom Bug bis zum Heck unter dem Schiff durchzuziehen. Da habe ich es doch vorgezogen zu springen.

Ach, der Weg ins Paradies.

Es gibt einen Blick, der zu den schmerzlichsüßesten Blicken der Welt zählt. Der Blick auf das langsam sich entfernende Schiff mit dem fluchenden Kapitän im Achtersteven. Der flucht dann noch sehr lange, und der Mann starrt noch sehr lange auf die Stelle, wo das Schiff nicht mehr vorhanden ist. Dreißig Jahre lang.

«Na und», fragen sie mich, «da bist du also gesprungen?»

«Nackt und bloß», erwidere ich, «und wenn mir jetzt noch jemand sagen kann, wo ich mich hier befinde!»

Gelächter.

21

Lieber Freitag.

Es gibt gute Menschen, und es gibt böse, und es gibt sehr böse Menschen.

Käpten Kuk herrschte über ein Reiseunternehmen, das von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang reichte, bestehend aus sechzehn Hütten am einen Ende und zwölf am anderen, und dem Zweimaster «Cook» zwischen ihnen, der allein mit Segelkraft, allenfalls bei absoluter Flaute mit e i n e m Dieselmotor verkehrte. Denn der Käpten setzte seine Ehre daran, selbst den letzten Meter im Hafen unter Leinwand zu meistern. Von den Fahrgästen entsprechend gewürdigt, wenn er am Ende der Reise mit offener Hand an der Gangway stand, während ich selber — ich muß es erwähnen — mehr seitlich stehend auch etwas die Hand aufhielt. Nicht sehr erfolgreich, aber das ist die Ausgangsposition einer einigermaßen schrecklichen Geschichte. Immer auf der Suche nach dem Glück.

*

Käpten Kuk war Melanesier, und das heißt, er war groß und stark, hatte krauses Haar und dicke Waden, seine Vorväter hatten noch Menschenfleisch gegessen. Davon zeugten die Instrumente in seiner Kajüte, die er dort an die Wand genagelt hatte: Messer, Schaber, Löffel aus Hartholz, auch lange Spatel für die Weichteile und Zinken fürs Gehirn. Das ganze Sammelsurium, zur Freude der Gäste. An mir hatte er einen Narren gefressen. Käpten Kuk, von ständigem heiteren Zorn erfüllt, immer mit einer Blume links hinter dem Ohr, welches bedeutete: Desperately looking! Steckte die Blume rechts hinter dem Ohr, bedeutete es: Taken (bereits vergeben)! Und es waren immer ausgesucht schöne Dragon-Blüten, die er trug! Wenn er morgens wild aus seiner Kajüte trat, brüllte er laut: «Bulla!» Guten Morgen, ein neuer Tag!

Seid heiter

und sehr grausam

und voller Blumen.

Meine Aufgabe war es, die Schnorchel einzusammeln, die unsere Touristen mit großer Regelmäßigkeit am Strand liegen ließen. Wir steuerten dieses wunderbare Kuri an und danach das wunderbare Lati, wo nur blaue Seesterne und Doktorfische wohnen, die Doktorfische alle sehr gelehrt und immer etwas beleidigt, wenn man nach ihnen faßt, aber das Blau der Seesterne ist so unerhört blau, daß man denkt, das Wasser sei von innen beleuchtet. Mit einem Stich ins Hysterische. Daneben der weiße Strand fast schattig. Jedes Mal, wenn wir Lati oder Kuri ansteuerten, brach eine Art Panik unter unseren Touristen aus und eine Dreiviertelstunde lang ragten die dreißig Pos aus dem Wasser, ich konnte dann hinterher zusehen, wie und wo ich die dreißig Schnorchel wieder einsammelte. Meine Aufgabe.

Sie kamen auf die wahnsinnigsten Ideen. Ein ganz bestimmter Dornbusch war immer reich dekoriert, es hingen Schnorchel an den Ankern der Boote, an den Rudern, am Wrack einer Boje, die schräg im Sand stand. Einmal hatte sie einer armen Schildkröte den Schnorchel umgebunden, die damit verstört davonkroch. An sich wäre ein vergessener Schnorchel keine Katastrophe gewesen, da wir in spätestens einer Woche Kuri und Lati wieder ansteuerten und sonst kein Mensch sich dorthin verirrte. Nicht so unser Käpten Kuk!

Für Käpten Kuk mußten es immer dreißig sein, die ich gefälligst abzuliefern hatte. Nicht achtundzwanzig, nicht neunundzwanzig. Dreißig! Sonst werde ich oder würde ich kielgeholt!

Käpten Kuk in roter Hose und breiter Brust vor versammelter Mannschaft. Ich verstockt.

«Du weißt, was dich erwartet.»

Ich schweige verstockt.

«Du kennst die Strafe.»

– –

«Sag es.»

– –

«Sag es. Die Strafe auf hoher See!»

«Kielholen», sage ich.

Die versammelte Mannschaft bestand aus sechs Mann, mich eingeschlossen. Da war der Koch, da war Nauli, der sich nirgends blicken lassen konnte, ich glaube, er war auf so ziemlich jeder Insel straffällig geworden, dann Kauri, der nie etwas sagte, und ein sehr dünner Mann, der portugiesisch sprach, es kann aber auch polnisch gewesen sein. Dann war da noch Oki, eine Masse Mensch, ein Ding, vor sich hin brütend, ab und zu mit geballter Faust. Der war mir auch keine Hilfe. Und dann ich.