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Ich sage, niemand, der nicht eines Morgens, eines seidigen frühen Morgens auf Naoumu erwachte, kann ermessen, was ihn dort erwartet. Das Wunder.

Es beginnt mit einer leisen Aufhellung. Die gerade Linie wird gepunktet mit zehn, zwölf Inselchen, weit draußen, groß wie Erbsen. Das Perllicht wandelt sich ganz langsam in ein sanftes Grün, gleichzeitig aber in ein sanftes Dunkelrot, wie der Alexandrit, der in sich selbst die Farbe wechselt, heller jetzt mit grünrosa Sprenkeln und Goldaugen auf dem Wasser. Die neun Inselchen draußen, jede mit einem spitzen Hut, wandeln sich zu plötzlich beleuchteten Eidechsen, und das Meer wird zu einer Scheibe aus Perlmutt. Das Farbwunder, das wir immer verschlafen haben. Das tiefe Indigo, das Kupfer, das Messing und die Rosentöne japanischer Kugelfische, die wir auch immer verschlafen haben.

Und dann erhebt sich der Feuerball.

Ich habe da halbwach in meinem Traum, in meinem sandigen Bett gelegen und gesehen, wie die Schöpfung geschah. Über mir stand ein Vogel am Himmel und schrie, völlig lautlos. Stand still auf der Stelle. Ruhe. Ich habe dann noch ein wenig geschlafen, bis es heiß wurde im Sand.

Der Tag.

Man wünscht sich einen guten Morgen. Man erkundigt sich, wie man geschlafen hat, und fügt noch gute Wünsche für den kommenden Tag hinzu, aber nur der Mund bewegt sich. Das schadet ja nicht.

Der Tag ist wunderbar anzusehen, die Sonne scheint, vorn ist das Wasser vom weißen Untergrund her hell beleuchtet. Dort steht Freitag im Seichten und ist glücklich, er ruft mir eine Botschaft zu, die auf halbem Weg erstickt, jedenfalls erreicht sie mich nicht. Aber das macht ja auch nichts, denn jetzt watet Freitag auf seinen feinen, feinen Beinen im Seichten herum, und es könnte nicht besser sein. Was sonst noch?

Das Donnergetöse.

Das mag nun wie ein Widerspruch klingen, ist aber keiner: Draußen, wo das Wasser dunkler wurde und somit auf große Tiefe deutete, herrschte ein fortwährendes Donnergetöse. Anders konnte man es nicht bezeichnen, ein fortwährendes, immerwährendes, und von Anfang an — ich habe das bisher nicht erwähnt, weil es eigentlich unhörbar war. Aber so laut, so ungeheuerlich laut, daß es sich sozusagen in sich selbst aufhob, wie ein gestopftes Kissen. Und zwar — jetzt muß ich es doch erwähnen — eigentlich nur mit den Füßen spürbar, ein Dauerdonnern unter den Fußsohlen. Was immer das bedeuten mochte.

Wir haben dann die Insel erforscht, Freitag und ich, den Kokosgürtel, den Regenwald im Inneren, Anhöhen mit Brotbäumen, Tümpel mit tonnenweise Wassersalat. Wir fanden zwei Schweine, die davonstoben. Fanden sogar Hühner und ein Gelege. Erstiegen schließlich den höchsten der Hüte bis zur Spitze, von wo sich ein göttlicher Rundblick ergab, er zeigte, wie dieses leuchtende Eiland inmitten eines Ringes dunklen Wassers lag, der sich vom hellen Wasser in Strandnähe scharf abgrenzte. Als ob dort eine plötzliche Stufe abwärts führte. Schön anzusehen.

Dazu gab es aber noch eine andere Freude. Beim Abstieg. Nämlich unten auf der Flanke des Hutes hatten sich durch Kalkablagerung lauter kleine Becken gebildet, schneeweiß und glatt, eines über dem anderen. Das war nun wirklich schön anzusehen. Lauter Botticellimuscheln, und das Wasser, das sich dort gesammelt hatte, war auch noch warm wie Badewasser, der reine Luxus. Freitag in dem einen Becken winkte mir als Botticellischönheit zu, und ich lag in einem anderen und winkte zurück, auch als Schönheit — das vielleicht weniger, aber irgendwie muß ich ja auch ausgesehen haben. Es war erfülltes Leben.

Die ganze Insel ein einziger Luxus.

Und die Luft wie Götterspeise.

Den letzten Luxus aber durften wir am Abend, am Spätnachmittag erfahren, als das Licht sich senkte, teefarben wurde, — ich scheue mich nicht, bernstein- und havannafarben wurde und jeden Stein, jeden Baumstrunk in ein eßbares Objekt verwandelte. Ich glaube, das ist so ziemlich das Äußerste, das dem Menschen beschieden sein kann, sich in einer wirklich großen Sarah Bernard-Torte zu befinden. Wie es uns beschieden war. Freitag mit seinem törichten Stöckchen versuchte Fische aufzuspießen, die sowieso stillstanden, um sich greifen zu lassen. Traf natürlich keinen einzigen. Stand immerhin sehr schön wie ein Stück schwarze Schokolade im Seichten, es war eine Pracht mit dem Jungen.

Zum Abschluß spät am Abend gab es dann noch ein Gewitter draußen, fern am Horizont. Mit himmelhohen, zuckend beleuchteten Wolkentürmen. Dazu aßen wir Schildkröteneier. Und der Brandungsdruck, oder wie man das Getöse nennen mochte, war in dieser Nacht besonders laut, der Boden zitterte, überall fielen Nüsse. Es war ein rauschendes Fest.

Am Morgen war Freitag verschwunden.

Er war weg.

Wie, weiß ich nicht, ich habe die ganze Insel abgesucht, jeden Busch, jede Ecke, jeden verdammten Hexenhut, und kann mir sein Verschwinden nur mit einer Landbrücke erklären, die es eben doch gegeben haben muß. Oder nächtliche Besucher haben ihn aufgegessen, in der Südsee weiß man nie, wer, wann und wo.

Meine eigene Abreise stellte dann kein Problem dar, in dieser heutigen Welt. In einer früheren hätte ich vielleicht dreißig Jahre lang am Strand gesessen und auf ein vorbeifahrendes Schiff gewartet, das dann tatsächlich vorbeigefahren wäre. Bis endlich das nächste, nach weiteren dreißig Jahren, ebenso vorbeifährt. Heute zücke ich mein Mobilphone und bestelle mir ein Taxi — es sind ohnehin nur anderthalb Flugstunden bis Pago Pago, also kein Problem (sprich Pengo Pengo).

Ja, das Phänomen, über das so lange gerätselt wurde. Im Korallenmeer gibt es merkwürdige Formationen unter Wasser, es gibt gewaltige Korallenbrücken von einem Pfeiler zum anderen. Man sieht sie nicht, man sieht nur die Schwellung. Der Pazifik drückt herein, drückt unter die Brücke und erzeugt einen anschließenden Wasserbuckel von beträchtlichen Ausmaßen, die «Schwellung». Die macht die Stille, wenn ich das noch erwähnen darf.

Ich verlasse jetzt dieses Haus.

Den Schlüssel lege ich für dich unter die Matte.

23

Und? Bin ich nun schwul?

– –

Lieber Freitag, einen Freitag solltest du mir zugestehen. Einer, glaube ich, ist erlaubt.

– –

Aber zwei?

– –

Du siehst, ich bin zurück in Grevesmühlen, du mußt nicht eifersüchtig sein, er war doch nur eine Chimäre, ein Fetisch. Ein Pai Pai — das sind diese Lehmmännchen, die sie an Stelle ihrer Feinde essen.

– –

An Stelle ihrer Herzen, lieber Freitag.

– –

Und das ist auch nur symbolisch gemeint, sie essen sie nicht wirklich.

Ich möchte, daß wir uns treffen.

Du möchtest …

Ich möchte, daß wir uns sehen.

Du …

Ja, das allerdings war nun eine Wendung, die niemand erwartet hatte. Wir würden uns sehen! Das bedeutet, daß wir eine Verabredung hatten, ein erstmaliges Treffen! Zweier Chimären! Ich hätte nicht gedacht, daß so etwas geschehen könnte.

Dazu mußte ein Zeitpunkt bestimmt werden, und ein Ort. Heute war Montag, also am Mittwoch, und wo, in Grevesmühlen. Ich sollte ihm also am Mittwoch um sechzehn Uhr in Grevesmühlen am Bahnhof vor dem Ausgang erwarten. Rechts, wo eine Gruppe Kübelbäume steht.

Ok.

Der Robinson, die alte Erdkröte, erwartet die strahlende Erscheinung, den schönen Freitag im Glanz seiner Glieder. Aufgeregt? Ich kann gar nicht sagen, wie aufgeregt ich war. Kennzeichen «rote Tasche».

An diesem Tag kleidete ich mich sehr sorgfältig, ich machte sehr sorgfältig Toilette, und da ich von meiner Südsee her noch angenehm gebräunt war, sah ich wahrscheinlich gut aus. Es war ein warmer sonniger Tag, also trug ich meinen Edelknitter, stahlblau mit leichtem Glanz, dazu weißes T-Shirt und Schnabelschuhe. Also fabelhaft.