Hier hob Vater den Finger, und ich vermutete, daß er sich jetzt in sicherem Fahrwasser befand.
Der Webervogel imponiert der Glücklichen durch seine große Kunstfertigkeit, ein kugelförmiges Nest zu weben. Und es ist, mein Sohn, sagte Vater, ganz makellos kugelförmig. Dagegen hängt der Anglervogel sein Nest an einem langen roten Faden auf, frei schwebend und schwankend aber sicher, ganz sicher. Er bietet die Sicherheit (und die sei auch nicht ohne Reiz).
Was Vater damit wahrscheinlich zum Ausdruck bringen wollte — ich kann das nur rekonstruieren —, daß sich jegliche Bautätigkeit ganz unmittelbar auf die Weibchen bezieht. Ich weiß es nicht. Das Unstillbare!
Der Mocking Bird baut tief im Baumgestrüpp, wo er mit seinem Weibchen sitzt. Er baut aber ein zweites Nest vorn in voller Sicht, von dem man nur annehmen soll, daß er darin mit ihr sitzt. Er sitzt aber nicht! Ein noch intelligenteres Sicherheitssystem und durchaus imponierend.
Der Mauersegler, der ein Nest aus Spucke baut?
Ja.
Der Yamyam gar, der sein Leben ausschließlich im Flug verbringt, und der ein Wolkenschloß baut?
Der auch.
*
Es war nur nicht ganz klar geworden, was denn die Liebe mit (diesen) Vögeln zu tun hatte. Aber vielleicht sollte ich mich einmal generell über das Hausbauen auslassen. Wir haben hier drei Grundsätze, Sicherheit, Bequemlichkeit und Schönheit, die sich gegenseitig im Weg stehen. Sind die Mauern dick und schwer, hat man ein klammes Interieur, so etwa, ist die Schönheit gewährt, brennt der Feind das Haus nieder.
Das Haus des Nordländers sitzt unter einer dicken Wetterhaube frei im Gelände. Es ist nach allen Seiten offen und für jedermann von allen Seiten her zugänglich. Jedermann ist willkommen. Wenn er an dem Hund vorbeikommt, von dem er zerrissen wird. Muß aber nicht zerrissen werden.
Das Haus des Südländers ist das genaue Gegenteil. Es ist völlig eingemauert, hat keinerlei Fenster oder Türen, höchstens, daß sich irgendwo in einem Mauergang eine Pforte findet, schwer beschlagen und nur gebückt betretbar. Innen aber öffnet sich die Pracht, öffnet sich der Innenhof mit wasserblauen Säulen und dem Gemurmel der Brunnen. Vorhänge wehen, Pfauen schreien, das Haus des Südens hat viel Erotik, aber das Haus des Nordens hat viel Ehre.
Das sicherste Haus ist das Haus des Japaners. Es besteht nur aus Papier, ein Mann könnte diagonal frei durch alle Wände hindurchlaufen, ohne daß ihn etwas hinderte. Ja, aber es hat den Nachtigallenboden, und der zwitschert bei jedem Tritt, bei jeder Fliege, die sich daraufsetzt. Und der Hausherr, der mit dem japanischen Schwert, dem Katana, zur Seite schläft, ist in der Lage, aus dem Schlaf heraus mit einem einzigen Stampfschritt und einem bogenförmigen Schmetterlingshieb zwei Eindringlingen zugleich den Kopf abzuschlagen, einem vor ihm und einem hinter ihm.
Ein Reflex: Zwitschern, Schlagen, Hinlegen, Weiterschlafen. Jedes arme verirrte Huhn ist bereits tot, wenn es nur den Fuß hereinsetzt.
Sicherheit, Schutz und Schönheit, und der Standort natürlich, der ist auch noch wichtig. Das Haus des Russen zum Beispiel ist um einen einzigen großen gemauerten Ofen herumgebaut, auf dem geschlafen, gegessen und geliebt wird. Keine schlechte Lösung, aber es steht eben in Rußland. Das Haus des Afghanen dagegen fällt bei Regen in sich zusammen, ja, doch es regnet dort nicht. Das englische Haus steht eben in England, und das Grevesmühlener in Grevesmühlen — man verzeihe mir —, und doch gibt es ein Idealhaus, das alle Vorzüge vereint, allen Ansprüchen gerecht wird. Ich weiß es, ich habe es selbst entworfen. Das Vierdimensionale.
*
Wenn du vorn aus dem Wohnzimmer auf den Weihnachtsmarkt blickst, dann blitzen dort Lichter, es schneit ein wenig, pausbäckige Kinder werden in Schlitten gezogen, um die Ecke fährt eine Straßenbahn. Was noch? Drüben leuchtet das Kaufhaus Mandel.
Aber dann gehst du in die Tiefe des Hauses hinein, gehst durch den langen Korridor, der nach hinten führt, nimmst einen Glühwein, du kannst auch eine heiße Dusche nehmen. Du passierst die Stelle im Korridor, wo die Uhren falsch gehen, die eine ist sechs und die andere ist auch sechs, aber sechs Uhr früh. Und eine Stufe führt sowohl rauf als auch runter, dieses Haus ist eine langgestreckte Konstruktion, wohlgemerkt, und dann betrittst du das Schlafzimmer.
Aha!
Das Schlafzimmer trägt die berühmte Papageientapete, es hat, wohlgemerkt, eine rückwärtig geöffnete Fensterfront und einen Frühstückstisch mit Blick auf das Korallenmeer: Der Passatwind weht milde herein, die Dünung schlägt in langen Schlägen an den Strand, das Beiwasser blitzt und die Sonne geht auf. Die soeben vorne untergegangen ist.
– –
«Na und», hatte mein Vater gefragt, und er hatte noch nicht einmal leicht gelächelt, «wer ist denn nun die Glückliche?»
– –
«Ist es Jutta Drehfahl von nebenan? Oder ist es die schöne Gitte Rehlein an der Ecke?»
Bin ich rot angelaufen?
Sehr.
25
Lieber Freitag.
Ich weiß gar nicht, wie ich dich anreden soll.
Liebe gnädige Frau.
Anbetungswürdige.
Meine Schöne, Wunderschöne.
– –
Liebe Freitag!
– –
Heute Morgen finde ich einen Zettel in der Tür, jemand hat ihn über Nacht eingesteckt: Schlüssel bitte in der Hausverwaltung, Zimmer 3, abholen.
Welcher Schlüssel?
Und in welcher Hausverwaltung, ich wußte gar nicht, daß es hier eine gibt. Bin also etwas beunruhigt auf die Suche nach Zimmer 3 gegangen, wo man mir verkündet, daß die Handwerker den Schlüssel hinterlegt hätten, und hier, bitte, soll ich quittieren.
Welche Handwerker (um Gottes willen).
Die jetzt fertig seien, und sie hätten den Schlüssel hinterlegt.
Ja, was ist denn das! sage ich, was haben die Handwerker denn um Gottes willen gemacht?
Im vierten Stock.
Im vierten Stock? Da bin ich doch gar nicht!
Neben der Treppe.
Also marschiere ich in den vierten Stock, wo sich, identisch mit meiner eigenen Kammertür, gleich neben dem Treppenaufgang eine ebensolche befindet. Und siehe, der Schlüssel paßt.
Er paßt!
Augenblick mal, ich schließe auf, drinnen empfängt mich teefarbenes Licht, eine leise Musik aus «Hotel Costes». Ich bin überwältigt.
Der Sandelholzgeruch ist hier stärker als bei mir unten, wahrscheinlich, weil die Wandverkleidung frisch ist, erst vor kurzem fertiggestellt? Die Kammer ist natürlich nicht völlig identisch, zum Beispiel ist die Duschecke schräg eingezogen, optisch einigermaßen geschickt, muß ich zugeben, und eigentlich intelligenter, weil dadurch der Raum vergrößert erscheint. Aber im Prinzip, ja, eine gelungene Kopie, und das an geheimem Ort — wenn auch im Teeton nicht ganz getroffen. Wobei sich allerdings der Gedanke aufdrängt, ob eigentlich ich mich auf der Spur Freitags befunden hatte, oder Freitag allezeit eher auf der meinen. Auf dem Tischchen steht der Glenfiddich zur Begrüßung, und ich — ja, ich bin hier oben gewissermaßen Gast bei mir selber.
Lieber Freitag, liebe Freitag.
Das ist eine traumhafte Idee, ein wundervoller Gedanke, der euch (beiden) da gekommen ist. Wir ziehen zusammen!
Ich bin überwältigt, und ich kann mir gut vorstellen, wie etwa ein Durchbruch nach unten oder nach oben ein wahrer Traum wäre. Wir lebten nicht in einem großen, aber einem hohen Haus. Morgens erwachten wir gemeinsam, jeder in seiner Besenkammer, wir duschten gemeinsam, du in deiner Schräggestellten, ich in meiner Graden. Zum Frühstück reichten wir das Rührei nach oben und die Marmelade nach unten.
Es wäre wunderbar.
Allein die Täuschungsmanöver, die sich durch den Doppelstock ergäben, könnten raffinierter gar nicht sein. Wir könnten hineingehen und anscheinend erst nach einem halben Jahr wieder herauskommen, oder ich gehe hinein und du kommst heraus, oder wir sind beide verschwunden. Die Leute wüßten überhaupt nicht mehr, woran sie sind. Oder denken wir an die doppelte Ausführung. Wir lesen gemeinsam ein Buch, das doppelt ist, wir benutzen eine doppelte illuminierte Zahnbürste, selbst der Tango von Hotel Costes wäre doppelt.